Dallas Mavericks:Verlierer des Sommers

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Die Dallas Mavericks suspendieren Delonte West nach einem Kabinenstreit und revidieren die Entscheidung sogleich. Die Posse steht sinnbildlich für den Zustand des US-Basketballteams zwei Wochen vor Saisonstart: Die Mannschaft will sich nicht finden, das Knie von Dirk Nowitzki nicht abschwellen.

Jürgen Schmieder

Schwierige Vorbereitung für die Dallas Mavericks: Aufbauspieler Delonte West (rechts) wurde suspendiert, dazu will das Knie von Flügelspieler Dirk Nowitzki einfach nicht abschwellen. (Foto: imago sportfotodienst)

Es gibt eine Geschichte, die amerikanische Väter ihren Kindern erzählen, wenn sie ihnen beibringen möchten, dass schlimme Taten schlimme Konsequenzen nach sich ziehen. Die Moral: Wer dumme Entscheidungen trifft, der darf später mal nicht zum US-Präsidenten! Protagonist der Erzählung ist Delonte West, Basketballspieler bei den Dallas Mavericks. Der durfte im Januar nicht zum Empfang ins Weiße Haus, weil er zuvor wegen unerlaubten Waffenbesitzes verhaftet und verurteilt worden war.

West interpretiert die Lehre aus der Geschichte freilich ein wenig anders. "Das ist eine Schande", sagte er, "dem Präsidenten wird die Chance verwehrt, mich kennenzulernen." Als die Götter Zurückhaltung an die Menschen verteilten, stand West nicht in der Schlange - wahrscheinlich deshalb, weil er sich gerade um eine zweite Portion Aggression bemühte, wie nun ein Vorfall nach dem Vorbereitungsspiel gegen die Houston Rockets zeigt: In der Umkleidekabine kam es zum Streit, aus dem Umfeld des Vereins heißt es, dass neben Schimpfwörtern und Fäusten auch Stühle durch den Raum geflogen seien. Auslöser und Mittelpunkt der Rangelei: Delonte West.

Die Mavericks suspendierten West, revidierten die Entscheidung aber nicht einmal 24 Stunden später. "Delonte wird beim Spiel gegen Phoenix im Kader stehen. Er ist einer unserer besten Spieler", erklärte Trainer Rick Carlisle nach einem Gespräch mit West lapidar. Die Posse um den Aufbauspieler steht sinnbildlich für den Zustand der Dallas Mavericks zwei Wochen vor dem Beginn der neuen Saison

Die Mannschaft will nicht so recht zusammenfinden, das rechte Knie von Dirk Nowitzki nicht abschwellen - weshalb er zuletzt auf Vorbereitungsspiele verzichtete und lieber im Pool einige Übungen absolvierte. "Ich will auf eine Operation verzichten, aber ein geschwollenes Knie ist nicht die beste Ausgangslage für eine 82-Spiele-Saison und hoffentlich lange dauernde Playoffs", sagt Nowitzki.

Nun also der Eklat um West. "Die meisten Spieler brauchen Benzin, Delonte braucht Diesel. Er ist eben ein bisschen anders", sagt Carlisle. Zu behaupten, dass West ein bisschen anders sei, das ist ungefähr so, als würde man sagen, Dirk Nowitzki sei ein nicht so schlechter Basketballer. West leidet an einer bipolaren Störung, die sich in extremen Stimmungsschwankungen ausdrückt. Im vergangenen Jahr steckte er während eines Spiels dem Gegenspieler den feuchten Zeigefinger ins Ohr, zu Beginn der Saison hatte er schlimme Finanzprobleme, er übernachtete zeitweise in seinem Truck. Auf Twitter beleidigt er Journalisten, beschimpft die ganze Welt oder präsentiert sein Lieblingsmotiv: Delonte Wests tätowierte Hand zeigt auf etwas, das Delonte West wahnsinnig komisch findet, obwohl es meist nur wahnsinnig ist.

Schlimmer für die Mavericks jedoch ist, dass West seit seiner Zeit in Cleveland als Zerstörer des Teamgeistes gilt. In den Playoffs 2010 erlebten die Cavaliers einen grotesken Einbruch, vor allem der prägende Akteur LeBron James spielte einfach nur schrecklich. Kurz darauf tauchte im Internet das Gerücht auf, West habe mit James' Mutter Gloria ein Verhältnis gehabt - und dass dies auch der Grund sei, warum James aus Cleveland flüchtete und nach Miami wechselte.

"So was ist nie passiert", sagt West seitdem bei jeder Gelegenheit, doch wirklich zerstreuen konnte er das Gerücht nicht. Wests Ehe - während der seine Frau Kimberly ihn wegen häuslicher Gewalt angezeigt hatte - wurde geschieden, er verließ Cleveland und landete nach Stationen in Minnesota und Boston vor der vergangenen Saison bei den Mavericks.

Nowitzki in Berlin
:"Ich glaube, ich bin zu alt zum Dunken"

Alle Augen auf Dirk Nowitzki: Im Freundschaftsspiel der Dallas Mavericks gegen Alba Berlin feiern die Fans den deutschen NBA-Profi. Unerwartet knapp gewinnen die Mavericks, auch Nowitzki offenbart vor dem Saisonstart noch Schwächen - die sind ihm sogar ein bisschen peinlich.

Dass Dallas nun nicht härter durchgreift, sondern den Vorfall herunterspielt, liegt natürlich auch daran, dass der Klub auf die Dienste von West kaum verzichten kann. Die Mavericks gelten als Verlierer des Transfersommers, sie haben Stammspieler wie Jason Kidd (New York), Brandon Haywood (Charlotte) und Jason Terry (Boston) abgegeben, weil sie hochkarätige Akteure verpflichten wollten.

Doch Dwight Howard unterschrieb lieber bei den Los Angeles Lakers, Deron Williams blieb bei den New Jersey Nets, Blake Griffin bei den Los Angeles Clippers. Die Mavericks haben deshalb auf dem Schnäppchenmarkt eingekauft: Center Chris Kaman etwa, Aufbauspieler O.J. Mayo oder Flügelspieler Elton Brand - allesamt eher ungewollte Spieler bei den abgebenden Vereinen.

Aus diesen Spielern soll Carlisle nun eine Mannschaft formen, die zumindest um den Einzug in die Playoffs spielen kann. Der Kader ist dünn besetzt, der Trainer braucht den Ergänzungsspieler West, der in der vergangenen Saison 9,6 Punkte und 3,2 Zuspiele pro Spiel schaffte, und den wohl kein anderer Verein will.

Ohnehin gilt Dallas als idealer Verein für schwierige Spieler, die Mavericks sind der einzige Profiklub in den Vereinigten Staaten, der eine psychologische Abteilung unterhält. Wests Mutter Delphina sagte über den Team-Psychologen Don Kalkstein: "Es ist phänomenal, wie sie meinen Sohn aufgenommen haben und sich nun um ihn kümmern." Es könnte sein, dass Kalkstein in diesen Tagen der meistbeschäftigte Mann bei den Mavericks ist.

© SZ vom 19.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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