Philippe Coutinho beim FC Bayern:Magier aus einer anderen Dimension

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Bescheidener Zehner: FC-Bayern-Zugang Coutinho. (Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)
  • Beim 3:0 des FC Bayern gegen Roter Stern Belgrad deutet Philippe Coutinho seine große Qualität an.
  • Mit ihm auf der Zehnerposition könnte das Spiel der Münchner variabler werden.
  • Das Duell um diese Position mit Thomas Müller verläuft im Gegensatz zu anderen ruhig und zivilisiert.

Von Martin Schneider, München

An einem Abend der lauten Töne sprach Philippe Coutinho sehr leise. Uli Hoeneß hatte gerade über alles Mögliche geschimpft, da verließ der Brasilianer als einer der ersten Spieler die Kabine. Ursprünglich wollte er gar nichts sagen, aber kurz vorm Ausgang blieb er dann doch stehen. Halb hinter einem Stützpfeiler versteckt, sagte er auf Englisch, dass er heute schon gerne sein erstes Tor für Bayern schießen wollte, das wäre ein schönes Gefühl gewesen. Aber er habe kein Glück gehabt. Sprach's und ging. Wichtiger seien sowieso der Sieg und das Team. Niko Kovac, Coutinhos Trainer, hatte den Brasilianer in einer Pressekonferenz als "bescheiden" beschrieben - dem Eindruck mochte man nicht widersprechen.

Das 3:0 des FC Bayern zum Champions-League-Auftakt gegen Roter Stern Belgrad war noch kein richtiges Coutinho-Spiel, aber es deutete an, wie Coutinho-Spiele beim FC Bayern aussehen könnten. Allein die Anwesenheit des mit 1,72 Metern kleinsten Bayern-Profis sorgte für einen Schub an Kreativität. Auf dem Feld tritt Coutinho nicht bescheiden auf, er fordert die Bälle in den schwierigen Zonen; und wo man bei anderen Spielern den Eindruck hat, dass sie im Zentrum des Feldes mit der Enge überfordert sind, fand Coutinho mühelos Platz.

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Aus dem Stadion von Martin Schneider

In Liverpool nannten sie ihn "Little Magician", kleiner Magier, und würde man den Zauberfachbereich spezifizieren wollen, wäre Coutinho als Entfesselungskünstler am stärksten. Je dichter die Verteidiger um ihn standen, desto eleganter schlüpfte er durch deren Netz. Bei manchen Ballannahmen, bei manchen Drehungen bekam man eine Ahnung davon, warum dieser Brasilianer mal der zweitteuerste Fußballer der Welt war.

Ein System mit Müller und Coutinho - das ist Kovac zu offensiv

Trainer Niko Kovac sprach später von einer "anderen Dimension", die Coutinho ins Bayern-Spiel bringe, und so intergalaktisch übertrieben, wie sie zunächst klingt, war die Aussage gar nicht. Der FC Bayern agierte in der Robben-Ribéry-Ära traditionell stark über die Flügel, unter Kovac litt das Außenbahnspiel aber zuweilen darunter, dass es nicht in Tempodribblings endete, sondern in Flankenkaskaden. Mit Coutinho hat Kovac wieder die Zehnerdimension zur Verfügung - was auch daran liegt, dass Kovac mit Coutinhos Vorgänger auf der Zehnerposition, James Rodriguez, dauerhaft fremdelte.

102 Ballkontakte hatte der neue Zehner am Ende gegen Belgrad auf dem Statistikzettel stehen, dazu sechs Torschüsse, von denen zwei richtig knapp am Kasten vorbei zischten. Außerdem noch ein Tor, das wegen Abseits zu Recht nicht anerkannt wurde. Das sind im Grunde nicht die Werte eines Spielers, der Anschluss an eine Mannschaft sucht, und trotzdem sah man, dass das sich schnell drehende Rädchen Coutinho noch nicht hundertprozentig in das große Uhrwerk FC Bayern passt - was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass Coutinho erst seit vier Wochen beim FC Bayern ist und davon eine Woche mit seiner Nationalmannschaft durch die USA tourte. "Vorne kennen wir unsere Optionen noch nicht genau", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic später. "Wir wissen noch nicht: Was macht Philippe? Spielt er Doppelpass? Steckt er durch?"

Eingespielt mit wirklich allem, was den FC Bayern ausmacht, ist Coutinhos direkter Konkurrent, Thomas Müller. Der traf wie zum Beweis zum 3:0, weil er sich quasi telephatisch mit Thiago verständigte, genau rechtzeitig nach dessen Freistoß loslief und auch noch ein Tor machte bei seinem Rekordspiel. Mit dem 106. Einsatz übertraf er Philipp Lahm als Münchner mit den meisten Champions-League-Partien.

Am Wochenende wird sich die Waage in eine Richtung neigen

Coutinho und Müller führen einen Konkurrenzkampf um die Position in der Mitte. Gegen Leipzig spielte Müller, gegen Belgrad nun Coutinho. Aber im Gegensatz zu anderen führen Müller und Coutinho ihr Duell ruhig und zivilisiert. Müller sagte: "Tatsächlich hat er super Fähigkeiten, da müssen wir nicht drüber reden. Aber wir drehen uns ja seit Wochen im Kreis. Ich muss sagen, wie super der Philippe ist, und der Philippe muss sagen, wie super ich bin. Das kann nicht unsere Aufgabe sein. Deswegen ziehen wir alle an einem Strang, deswegen sind wir in einem Team." Beide interpretieren ihre Rolle natürlich maximal verschieden. Coutinho sieht sich als Ballmagnet, Müller als Spezialwaffe, die aus dem Zentrum heraus auf nur ihr bekannten Wegen den Ball und das Tor findet. Dass beide ihre Talente zusammen zeigen, schloss Niko Kovac am Donnerstag vorerst ausdrücklich aus. Ein System mit Müller und Coutinho - das ist ihm zu offensiv.

Bislang gleichen sich die Klasse von Coutinho und die Erfahrung von Müller aus, beide machten in dieser noch jungen Saison je zwei Spiele von Beginn an. Am Wochenende wird die Waage wieder in eine eindeutige Richtung neigen. Es ist Oktoberfest, und während Thomas Müller schon mindestens 106 Einsätze in Lederhosen hatte, kommt Coutinho bisher auf bloß einen Fototermin.

© SZ vom 20.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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