Als Mesut Özil seinen Arbeitstag in diesem gespenstischen und irgendwie unwirklichen Finale beendete, stieß er auf der Bank ein paar Flüche aus. Vorzeitig ausgewechselt, 1:4 (0:0) verloren und dann auch noch die Erinnerung, dass er ja schon einmal in einem Endspiel dieses Wettbewerbs unterlegen war: Als die Europa League noch Uefa Cup hieß. 2009 war das, mit Werder Bremen gegen Donzek. Diesmal also mit Arsenal gegen Chelsea - wer konnte es ihm da verübeln, frustriert zu sein.
Dass Özil nicht die Geschichte dieses Spiels war, mag bei einem solchen Ergebnis nicht überraschen. Dass es aber auch der Sieger schwer hatte, seinen großen Moment zu zelebrieren, erstaunte dann schon. Um es kurz zu machen: Es war ja schlichtweg kaum jemand da, um den Triumph Chelseas in diesem Finale der Europa League zu feiern. Im Stadion im aserbaidschanischen Baku hatte die ganze Partie über eine Stimmung wie beim Beichtsonntag geherrscht. 70.000 Menschen hätten reingepasst, höchstens zwei Drittel davon waren gekommen.
Darunter gerade mal 3500 Arsenal-Fans und 1500 Chelsea-Supporter. Beide Klubs hatten ihr ohnehin geringes Kontingent von je 6000 Karten nicht unters Volk gebracht. Um 23 Uhr Ortszeit wurde angepfiffen, um knapp nach 1 Uhr nachts bekamen die "Blues" den Pokal - alles auf Geheiß der Uefa, alles fürs TV-Geld aus Mitteleuropa. Alles recht schwer zu verstehen. Verstehen konnte man dagegen kurz nach Abpfiff jeden einzelnen Jubelschrei der Chelsea-Spieler über die Außenmikros. So leise ging es in der Arena zu. Immerhin bekam so jeder mit, dass der im Finale erneut überragende Eden Hazard (traf zum 3:0 und 4:1) Chelsea nun sicher verlässt.
"Es ist ein super Gefühl, so ein Spiel zu gewinnen. Ich liebe Chelsea, der Verein ist Teil meiner Familie", sagte der Belgier und deutete seinen Wechsel zu Real Madrid unverblümt an: "Ich habe meine Entscheidung getroffen. Jetzt warten wir, was beide Klubs machen. Ich denke, es ist ein Goodbye." Es sei immer sein Traum gewesen, "in der Premier League zu spielen. Das habe ich für einen der größten Klubs gemacht. Nun ist es Zeit für eine neue Herausforderung." 130 Millionen sollen die Königlichen bereit sein, für ihn zu bezahlen.
Das ist etwas mehr, als die Fußballfans aus Aserbaidschan für den Stadionbesuch bezahlen konnten. Letztlich schienen in dem Land, in dem die meisten Menschen kaum mehr als 400 Euro monatlich verdienen, selbst auf zehn Euro reduzierte Tickets zu teuer zu sein. Und für Armenier, wie Arsenals Henrikh Mkhitaryan, war ein Erscheinen ebenso wenig erstrebenswert. Wegen des Konflikts zwischen seinem Heimatland und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach fühlte er sich in Baku derart unsicher, dass er zuhause in London geblieben war. Damit ersparte er sich, was Anhängern in Mkhitaryan-Shirts auf den Straßen Bakus passierte: Die Polizei kontrollierte penibel Schriftzüge auf den Rücken der Fans und wies sie für ihre "Provokation" zurecht.
Die Geschichte dieses Spiels hatte somit schon vor Anpfiff festgestanden: Europas Kontinentalverband hatte das Finale ihres zweitwichtigsten Klub-Wettbewerbes in ein Land verschachert, das weder alle Beteiligten willkommen hieß - noch Begeisterung für ein solches Event aufbrachte. Die fehlende Atmosphäre umrahmte schließlich eine Partie, die auch sportlich weit hinter dem zurück blieb, was sich zuletzt eine Etage höher in Amsterdam oder Liverpool zugetragen hatte. Nach einer zerfahrenen ersten Hälfte offenbarte sich immerhin eine Gewissheit: Arsenal zementierte auch dieses Mal seinen Ruf als Europas bizarrste Stimmungself.