Klopp als Champions-League-Sieger:Überfordert von der Wucht des Glücks

Lesezeit: 4 min

Endlich am Ziel: Liverpools Trainer Jürgen Klopp. (Foto: dpa)
  • Jürgen Klopp gewinnt endlich ein großes Finale als Trainer: das Endspiel um die Champions League mit dem FC Liverpool.
  • Der Trainer rastet diesmal nicht aus - sondern wird im Moment des Triumphs ganz ruhig.
  • Hier gibt es den SZ-Liveticker zum Nachlesen.

Von Martin Schneider, Madrid

Im Moment seines größten Erfolges sprach Jürgen Klopp von Ruhe. Er, der Trainer mit der Megawatt-Faust, der das Wort Vollgasveranstaltung als Synonym für ein Fußballspiel benutzt, der Leidenschaft entfesseln und kanalisieren kann - er war überfordert mit all dem Glück. "Ich war viel ruhiger, als ich dachte", sagte Klopp über den Moment, als es so weit war. Als er im dritten Versuch die Champions League und im siebten Versuch ein großes Endspiel gewonnen hatte, als er den Henkelpott hochstemmen durfte. "Das ist alles irgendwie überwältigend", sagte Klopp, "ich krieg es noch nicht zu fassen".

Der Trainer saß da vor den Mikrofonen, hatte sein Feierbier abgestellt und wirkte erschlagen von der Wucht des Sieges. Vor ein paar Minuten war er ja selbst noch durch die Nacht von Madrid geflogen. Seine Spieler hatten ihn an der Mittellinie eingefangen, auf Händen über den Platz getragen und vor den Liverpool-Fans in den Himmel geworfen. Als Klopp direkt nach Schlusspfiff seinen Kapitän Jordan Henderson umarmte waren die Gesichter beider Männer nicht gemacht für die Gefühle, die sie ausdrücken sollten. Heraus kamen glückselige Grimassen.

Es war rührend zu sehen, wie Klopp mit der Situation überfordert war. Wie jemand, der sich mit aller Kraft auf den Weg konzentrierte und im Ziel dann nichts mit sich anzufangen weiß. Weil die große Aufgabe weg ist. Er hatte sich, was nach all den Niederlagen nur allzu verständlich war, offenbar innerlich überhaupt nicht auf einen Sieg vorbereitet. Als Mo Salah den 24-Sekunden-Elfmeter verwandelte, verzichtete Klopp auf Jubel. Als Divock Origi in der 87. Minute zur Entscheidung traf, explodierte er nicht, sondern stoppte die Nachspielzeit auf seiner Armbanduhr. Und in der Sekunde des Schlusspfiffs umarmte er seinen unterlegenen Trainer-Kollegen Mauricio Pochettino. "Ich weiß vielleicht besser als jeder andere, wie Tottenham sich gerade fühlt", sagte Klopp: "Normalerweise sitze ich als erster Trainer hier und erkläre, wie wir schon wieder verlieren konnten."

Zu Henderson pflegt Klopp eine besondere Beziehung

Vor einem Jahr noch saß Klopp in Kiew auf einem ähnlichen Stuhl und sprach über das Foul von Sergio Ramos an Mo Salah, über die Patzer seines Torhüters nach einer Gehirnerschütterung. Damals sagte er, das Ergebnis sei das schlimmste, weil sich später niemand mehr daran erinnern würde, wie es zustande kam. Als er in Madrid gefragt wurde, was der größte Unterschied zum vorherigen Jahr war, sagte Klopp: "Das Ergebnis natürlich."

Die Antwort stimmte in ihrer Schlichtheit, tatsächlich war es überhaupt kein hochklassiges Finale, wahrscheinlich hat Liverpool bei der Niederlage gegen Real Madrid besser gespielt als beim Sieg gegen Tottenham. Denn so wie Klopp nach dem Spiel mit den Emotionen nicht klarkam, so verkraftete dieses Champions-League-Finale den frühen Elfmeter nicht. Tottenham verlor den Faden und sollte ihn die ganze erste Halbzeit nicht wieder finden, Liverpool fand keinen Zugriff, hatte eine Passquote von 64 Prozent. Ein unterirdischer Wert und im Nachhinein natürlich völlig egal.

Stimmen
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Erst in der Schlussphase, als die Londoner mehr riskierten, schloss sich wieder der Kreis zum vorherigen Jahr. Da rettete Alisson Becker, der neue Torwart des FC Liverpool, seinem Team die Führung. Tottenhams Trainer Pochettino sagte nach dem Spiel, es gehe im Finale nur darum, zu gewinnen. Und genau das tat Liverpool an diesem Tag. Einfach gewinnen. Als die Mannschaft in die Kabine kam, musste Klopp übrigens die Getränke organisieren. "Wir haben schon so lange nix mehr gewonnen, es war kein Bier da", sagte er. Und Pep Guardiola habe angerufen. "Wir haben uns versprochen, und nächstes Jahr wieder gegenseitig in den Hintern zu treten."

Aber eigentlich freue es ihn besonders für seine Familie. Mit einer Silbermedaille in den Urlaub zu fahren sei nicht besonders cool gewesen, schon gar nicht sechs Mal nacheinander. Und natürlich freue er sich für seine Jungs. "Ich liebe die Bilder, wie sie den Pokal in der Hand haben. Und Jordan Henderson ist Kapitän des Champions-League-Gewinners 2019, can you believe it?", sagte er. Zu seinem Spielführer hat Klopp eine besondere Beziehung. Henderson, seit 2011 im Klub, gilt als Spieler mit großem Herz aber begrenzten technischen Fähigkeiten. Wie früher Klopp selbst.

Am Sonntag fliegt die Mannschaft zurück nach Liverpool, schon im Stadion und in Madrid spielten sich Wahnsinns-Szenen ab. Die Fans mussten ja nicht nur im vergangenen Jahr erleben, wie Real die Champions League gewann, sondern auch in diesem Jahr akzeptieren, dass man mit nur einer einzigen Saisonniederlage und 97 Punkten Vize-Meister werden kann. "Nach Liverpool zu fliegen und etwas in der Hand zu haben - das wird großartig", sagte Klopp. Als er im vergangenen Jahr dort ankam, erzählte er, sangen sie ein Lied im Trainerteam. "We saw the European Cup. Real had all the f****** luck", war der Text, frei übersetzt. "Wir haben den Europapokal gesehen. Real hatte das ganze verdammte Glück."

Vor dem Champions-League-Finale wurde Klopp übrigens gefragt, ob er an das Glück glaube. Ob er denke, dass er Pech in seiner Karriere gehabt hatte. Der Reporter stellte die Frage, weil Klopp in Finals oft Pech mit Schiedsrichterentscheidungen hatte, weil er Pokale oder Aufstiege oft auf grotesk knappe Weise verpasste. Aber Jürgen Klopp denkt nicht so. Er denkt größer. Er denkt an seine Zeit in Mainz, als er mit einem Klub quasi ohne Geld in die Bundesliga aufstieg, an seinen Mentor Wolfgang Frank, den das Schicksal nach Mainz spülte und der ihm vor allen anderen erklärte, dass man Fußball systematisch denken kann.

Er denkt an die Zeit in Dortmund, die er übrigens relativ kurz nach deren Fast-Insolvenz übernahm und zu dem machte, was der Klub heute ist. An seinen Schritt nach Liverpool, an dem er zunächst zweifelte, weil er die Sprache für seine Art des Führens braucht und sich nicht sicher war, ob sein Englisch gut genug dafür sein wird.

"Wir haben vor dem Finale über meine unglückliche Karriere gesprochen", sagte Klopp zu dem Reporter: "Aber ich sehe immer den Weg, was man zusammen erlebt hat. Mein Leben ist viel besser, als ich es erwartet hatte." Und dann sagte er noch: "Am Ende war es mir gar nicht so wichtig, den Pokal zu berühren." Und wer ihn an diesem Abend erlebte und wer sein Gesicht in dem Moment sah, als er die größte Trophäe des Klubfußballs berührte, der erkannte: Der Satz war ebenso gelogen, wie er ein bisschen wahr war.

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