Niederlage in der Champions League:Selbst die United-Legenden spotten

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Kein Aufbäumen: Manchesters Torhüter André Onana liegt nach seinem Patzer zum 0:1 am Boden - wie der ganze Verein. (Foto: Tom Weller/dpa)

Beim schmeichelhaften 3:4 in München ist von den traditionellen Tugenden von Manchester United nichts zu sehen. Die Experten beklagen einen Identitätsverlust - der bringt auch Trainer ten Hag in Bedrängnis.

Von Sven Haist

Die Reaktionen der Spieler von Manchester United nach jedem der vier Gegentore gegen den FC Bayern wirkten so, als wäre der ruhmreiche Verein für immer aus der Champions League ausgeschieden. Fast jeder Spieler blickte zu Boden, viele gestikulierten ernüchtert oder hielten sich die Hände vor den Kopf. Kapitän Bruno Fernandes zog sich einmal das Trikot übers Gesicht, Torwart André Onana blieb nach seinen vergeblichen Abwehraktionen einfach liegen. Ähnlich konsterniert, fast versteinert verfolgte Trainer Erik ten Hag das Geschehen. Nur kurz vor der Halbzeit schien ein Ruck durch das Team zu gehen, als Scott McTominay eindringlich auf seine Mitspieler einredete. Er forderte sie auf, sich zu wehren und daran zu glauben, den Rückstand aufholen zu können - als Ersatzspieler, der sich am Seitenrand aufwärmte.

Dabei fußt die Aura des englischen Rekordmeisters auf Comebacks. In der Epoche des Trainers Alex Ferguson (1986-2013) drehte der Verein bekanntermaßen das Champions-League-Finale 1999 gegen die Bayern mit zwei Toren in der Nachspielzeit. Seinerzeit haftete dem Klub der Ruf von Unverwüstlichkeit an, vor der sich die Gegner fürchteten. Fergusons Mannschaften glänzten weniger mit ästhetischem Fußball als mit immenser Einsatzbereitschaft.

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Diese traditionellen Tugenden sind Man United nach dem Rücktritt der Trainer-Ikone immer mehr verlorengegangen. Beim schmeichelhaften 3:4 in München am Mittwoch erinnerten nur die ehemaligen United-Größen und heutigen TV-Experten Paul Scholes, Rio Ferdinand und Owen Hargreaves am Spielfeldrand mit ihren Aussagen an die einstige Charakterstärke. Am härtesten spottete Scholes: "Jedes Mal, wenn United ein Tor kriegt, müsste es heißen: Auf geht's, lasst uns im Spiel bleiben - aber bevor man sich versieht, schießen die anderen wieder ein Tor."

Die Manchester Evening News bilanzierten, dass die Niederlage (trotz erheblicher Verletzungssorgen) keine Frage des Talents gewesen sei, sondern des Kopfes. Die Elf habe nicht die Mentalität eines Königsklassenteilnehmers geschweige denn eines Titelanwärters. Nicht mal "in Ehre" habe United verloren, schrieb die Zeitung, was angesichts der heftigen Auswärtsniederlagen in der Vorsaison (Brentford, Manchester City, Liverpool, Sevilla) mittlerweile "zur Gewohnheit" geworden sei.

André Onana kam für 52 Millionen von Inter Mailand nach Manchester. Bei United hat er in sechs Spielen nun 14 Gegentreffer kassiert

Bezeichnend dafür war die rührselige Analyse des Torhüters Onana, der den ersten Gegentreffer nach gutem Start mit einem schlimmen Fehler verursacht hatte. Er habe sein Team im Stich gelassen, nur seinetwegen habe man nicht gewonnen, sagte er schuldbewusst. Wo ist das Selbstbewusstsein, die Trotzreaktion, der Stolz? Im Sommer wechselte Onana als renommierter Keeper für rund 52 Millionen Euro vom Champions-League-Finalisten Inter Mailand nach Manchester. In sechs Spielen hat er nun 14 Gegentore kassiert. Der Telegraph schrieb, es fühle sich an, als wäre der Klub ein "Bermudadreieck", in dem die Fähigkeiten der Spieler verschwinden würden.

In Erklärungsnot: Manchesters niederländischer Trainer Erik ten Hag. (Foto: Christof Stache/AFP)

Am auffallendsten im Kontrast zu den besten Zeiten des Vereins ist der Verlust an Identität. Der Kern des Ferguson-Teams bestand immerzu aus einer Reihe an wettkampferprobten heimischen Fußballern. Beim bisher letzten Champions-League-Sieg 2008 standen sechs Engländer in der Startelf. Gegen den FC Bayern war es nur noch einer: Angreifer Marcus Rashford, der mit seiner Körpersprache mehr Lustlosigkeit als Angriffslust demonstrierte.

Erneut verzichtete der Niederländer ten Hag - anders als in weiten Teilen der Vorsaison - auf Mentalitätsspieler, die sich über kämpferische statt spielerische Qualitäten definieren. Erst mit der Einwechslung des Seitenrandmotivators und Mittelfeldabräumers McTominay (69. Minute) stabilisierte sich die Mannschaft. Bis dahin war kein Defensivspieler größer als 1,87 Meter. Die Durchsetzungsschwäche war geradezu eklatant im Dauerduell zwischen Uniteds Lisandro Martínez und Bayerns Sturmkante Harry Kane, der das Missverhältnis unter anderem zur Vorbereitung des ersten Treffers nutzte.

Die einzige Ausnahme bei United bildete der Brasilianer Casemiro, der mit seinen zwei Toren in der Schlussphase ein Debakel verhinderte. Der langjährige Real-Madrid-Spieler wird gerade überall auf dem Platz gebraucht, er muss die Abwehr beschützen, das Mittelfeld koordinieren, und selbst auf seine Torgefahr ist United angewiesen: Er erzielte drei der bisherigen neun Saisontreffer.

Um ihn herum muss ten Hag nun vor den Premier-League-Partien gegen Burnley und Crystal Palace, in denen es auch um die Zukunft des Trainers gehen wird, ein stabiles Team formen. Doch das Verhältnis zwischen ihm und seinen Spielern scheint gelitten zu haben. Nach dem Abpfiff klatschte ten Hag mit mehreren Bayern-Profis ab - und mit keinem einzigen seiner eigenen Mannschaft.

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