Elfmeter an der Stamford Bridge. Aber nicht für Chelsea, Chelsea spielt heute nicht mit. Sondern für Wolfsburg. Martina Müller läuft an, ausgerechnet Martina Müller. Sie zimmert den Ball ins Netz, fast mittig, nicht besonders platziert. Aber mit Wucht. Unhaltbar. Es ist gerade die 74. Minute angebrochen, es regnet in London, das ist aber das einzige, was so zu erwarten war. Eine gute Viertelstunde noch. Dann hat der VfL Wolfsburg tatsächlich diesen Titel gewonnen: die Uefa Women's Champions League.
So hatten sie sich das immer vorgestellt in der Marketingabteilung des Volkswagen-Konzerns. Dass in einem Stadion wie jenem an der Stamford Bridge, wo normalerweise der Champions- und Europa-League-Sieger Chelsea seine Heimat hat, die Händler Wolfsburg-Schals und Wolfsburg-Fahnen verkaufen. Dass das Vereins-Wappen die altehrwürdige Stadionfassade ziert. Dass oben auf der Ehrentribüne Fifa-Präsident Sepp Blatter und sein Uefa-Pendant Michel Platini (in mutmaßlich trauter Zwietracht, aber das ist ein anderes Thema) nebeneinandersitzen - und unten spielt der VfL Wolfsburg. Ihr Projekt!
Und überhaupt, dass eine Weltstadt wie London dieses Spiel zur Kenntnis nimmt, und das hat sie durchaus: "Fahrt ihr zum Fußball?", fragte an der U-Bahn-Station Embankment am frühen Abend ein Bahnsteig-Ordner zwei orientierungslos herumstehende Jungs. Die nickten. "Ah", sagte der Aufpasser mit angemessener Sachkunde: "Good stuff!"
Good stuff, das steht in Wolfsburg derzeit für: Frauenfußball!
Selbst wenn es für den großen Überraschungstriumph nicht gereicht hätte: niemand wäre enttäuscht gewesen. Bis vor zwei Wochen hatten Wolfsburgs Frauen ja überhaupt noch nie einen Titel gewonnen. Und nun spielten sie in der englischen Hauptstadt doch tatsächlich um den wichtigsten Vereinstitel des Kontinents. Gegen Olympique Lyonnais, den Gewinner der Jahre 2011 und 2012, das prägende Frauen-Team der Gegenwart.
Es war ein robuster, ein mutiger Auftritt, man kann es wohl so sagen: Wolfsburgs Fußballerinnen haben der Stamford Bridge alle Ehre gemacht, auch als es noch 0:0 stand. Dass sie am Ende gewannen: kaum zu fassen. Aber Müllers Elfmetertreffer reichte. 1:0.
Es ist zunächst einmal der Erfolg dieser jungen Frauen auf dem Platz gewesen, die sich nach dem Abpfiff in den Armen lagen. Und doch geht von diesem Triumph eine Botschaft aus, über die 90 Minuten hinaus. Die Wolfsburgerinnen haben bewiesen - und damit ist man wieder bei den VW-Managern angelangt -, dass Erfolg im Fußball doch planbar ist, jedenfalls in der Nische, bei den Frauen. Mit umsichtiger Kaderplanung und mit einer positiven, motivierenden Grundstimmung im Team - also mit all dem, was sie bei den VfL-Männern erst mühsam wieder hinkriegen müssen bei der Fußball-Tochter des Konzerns.
Dass da, auch mit VW-Geld, ein spannendes Projekt entsteht im Schatten der Autostadt, das war schon seit ein paar Jahren klar. Die Nationalspielerin und Siegtorschützin Müller war das erste prominente Gesicht dieses Projekts, als sie 2005 zum VfL wechselte, obwohl dieser gerade in die zweite Liga gerutscht war. Als dann der ehemalige Torwart Ralf Kellermann 2008 das Traineramt übernahm, bekam das Projekt Kontur.
Der Weg des FC Bayern ins Finale:Erst Stolpern, dann Staunen
David Alaba wird der neuntschnellste Torschütze, Jérôme Boateng foult ungestüm und der FC Barcelona wird entthront. Der FC Bayern kann auf eine erfolgreiche Champions-League-Saison zurückblicken. Zum Stolperstein wurde beinahe ein Außenseiter aus Weißrussland, der FC Arsenal ärgerte die Münchner gewaltig.
Doch wiederum erst fünf Jahre später, 2013, wurde es titelreif - und wie! Triple-reif! Ihre erste deutsche Meisterschaft sicherten sich die Wolfsburgerinnen vor anderthalb Wochen. Am Sonntag gewannen sie in Köln auch das DFB-Pokal- Finale, 3:2 gegen Potsdam, Titel zwei. Und in der Champions League haben sie es gleich in ihrer Premierensaison ins Endspiel geschafft - Titel drei.
Die Französinnen hätten das nicht für möglich gehalten. 2011 (gegen Turbine Potsdam) und 2012 (gegen den 1. FFC Frankfurt) hatten sie noch ohne großen Widerstand gewonnen, und nun zum dritten Mal? "Das wäre gewaltig", hatte der Trainer Patrice Lair vor der Partie gesagt. Es wurde nichts - und als Konsequenz traten die enttäuschten Spielerinnen um sich, wie man es in Frauen-Spielen nicht oft sieht. Die Wolfsburgerinnen haben am Ende auch das überstanden.
Aus der Not heraus hatte Kellermann bereits eine mutige Aufstellung gewählt: Alexandra Popp, die normalerweise hinter den Spitzen agiert, spielte Linksverteidigerin. Lena Goeßling, normalerweise Innenverteidigerin, rückte ins defensive Mittelfeld. Als Spielgestalterin kam Zsanett Jakabfi zum Einsatz, die nach einer Verletzung keine Spielpraxis hatte, abgesehen von einem Kurzeinsatz im Pokal.
Das Team harmonierte, es kämpfte. Vor allem Martina Müller überraschte die Französinnen mit vielen Ballgewinnen im Mittelfeld. Torfrau Alisa Vetterlein parierte großartig - und so stand am Ende dieser Überraschungserfolg. Wolfsburg ist Champions-League-Sieger. Klingt unglaublich. Ist aber wahr.
VfL Wolfsburg - Olympique Lyonnais 1:0 (0:0)
Wolfsburg: Vetterlein - Wensing, Henning, Hartmann, Popp - Keßler, Goeßling - Blässe, Jakabfi (78. Magull), Müller - Pohlers (82. Omilade). - Trainer: Kellermann.
Lyon: Bouhaddi - Franco, Georges, Renard, Bompastor - Abily (67. Le Sommer), Necib, Henry - Rapinoe (46. Dickenmann/89. Majri), Schelin, Thomis. - Trainer: Lair.
Tor: 1:0 Müller (74., Handelfmeter). - Schiedsrichterin: Teodora Albon (Rumänien). - Zuschauer: 20.000. - Gelbe Karten: Magull / Renard.