Hansi Flick:Ein sehr spezielles Phänomen

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Hat sich auf der großen Bühne schnell zurechtgefunden: Bayern-Trainer Hansi Flick. (Foto: dpa)

Der Bayern-Trainer ist aus dem Nichts in den Mittelpunkt der Europacup-Bühne getreten. Bald schon könnte er in einer Reihe mit Größen wie Guardiola, Mourinho und Heynckes stehen.

Von Philipp Selldorf, Lissabon

Die verbliebenen internationalen Fußball-Korrespondenten, die aus Lissabon über das Champions-League-Turnier berichten, müssen sich jetzt nicht eilig in Archiven und Bibliotheken fortbilden, bevor sie Analysen über den Halbfinalisten FC Bayern verbreiten. Der FC Bayern ist eine etablierte Größe im jährlich wiederkehrenden Tingeltangel, natürlich wissen die von den leeren Haupttribünen zugeschalteten Fernseh-Spitzenkräfte namens Jorge Valdano, Peter Schmeichel oder Steve McManaman hinreichend Auskunft zu geben über die Werdegänge von Robert Lewandowski, Thomas Müller oder Joshua Kimmich, und wahrscheinlich sind sie auch bereits über die junge Karriere von Alphonso Davies informiert, und dass Paris St. Germain vor zwei Jahren ebenfalls ganz heiß war auf den sprintstarken Teenager aus Kanada. Nutzloses Wissen zwar, aber ein Ausweis von Kennerschaft.

Bei einem anderen, nicht ganz unwesentlich wichtigen Bayern-Mitarbeiter stößt die Bildung der Alt-Stars allerdings an Grenzen, da helfen auch die Archive nur bedingt. Zu lesen ist dort zwar, dass Hansi Flick acht Jahre der Assistent des Bundestrainers Joachim Löw war und nach dem WM-Titel 2014 ins sportliche Management des Deutschen Fußball-Bundes wechselte, aber die Kenntnis dieser Fakten reicht nicht aus, um das sehr spezielle Phänomen zu erläutern, das Flicks Aufstieg beim großmächtigen FC Bayern darstellt. Für die meisten prominenten Kommentatoren ist Flick ein Trainer, der aus dem Nichts in den Mittelpunkt der Europacup-Bühne getreten ist, und so ist es ja. Am Sonntagabend steht er womöglich mit den Triple-Siegern Pep Guardiola, José Mourinho und Jupp Heynckes in einer Reihe.

Die Teams der Großklubs aus England, Spanien oder Italien werden in der Regel von Intendanten geleitet, die schon eine Reihe von renommierten Arbeitgebern in verschiedenen Ländern hatten. Flicks Stationen als Cheftrainer heißen FC Victoria Bammental und TSG 1899 Hoffenheim. Das Engagement bei der TSG wurde ihm nach fünf Dienstjahren entzogen, nachdem er den Klub zunächst ungeplant und quasi ungebeten in die Regionalliga geführt hatte. Ursprünglich hatte sich Geldgeber Dietmar Hopp damit begnügen wollen, seinen Verein auf Augenhöhe des SV Sandhausen in der Oberliga zu halten. Mit dem Aufstieg änderten sich die Ansprüche, 2005 musste Flick gehen, nachdem der nächste Aufstieg nicht gelungen war.

Flick gilt als zugänglich und nahbar

15 Jahre später stellte jetzt der Kicker dem Münchner Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge die Frage, welcher der beiden hoch gehandelten deutschen Star-Trainer der künftige Bayern-Trainer sein werde: Thomas Tuchel oder Julian Nagelsmann? Rummenigge antwortete: "Der künftige Bayern-Trainer ist Hansi Flick - und der wird es hoffentlich noch ganz, ganz lange bleiben." Es ist ein Satz, den sich vor einem dreiviertel Jahr selbst Flicks wohlmeinendste Freunde in der Fußball-Welt nicht hätten vorstellen können - und der 55 Jahre alte Heidelberger hat definitiv viele Freunde in der Szene. Zu diesem Chefcoach "können wir uns alle beglückwünschen", so setzte Rummenigge das Bekenntnis fort: "Hansi Flick hat wichtige Werte in den Klub und in die Mannschaft zurückgebracht."

In dieser Würdigung steckt einerseits ein Kompliment an Flick und andererseits das Gegenteil eines Kompliments an dessen Vorgänger Niko Kovac, aber daran dürfte sich Kovac längst gewöhnt haben. Dass Rummenigge "Hansi" sagt, obwohl er über einen führenden Angestellten spricht, das entspricht dem Wunsch des Betroffenen. Flick mag es gar nicht, wenn ihn jemand bei seinem eigentlichen Namen Hans-Dieter anspricht. Diese Anrede korrigiert er umgehend, was ihn zugänglich und nahbar erscheinen lässt. Unter anderem diese anerkannten Eigenschaften waren es, die den FC Bayern im Vorjahr veranlassten, Flick den Job des zweiten Co-Trainers anzubieten (erster Assistent blieb Kovacs Bruder Robert), man sah ihn als adäquaten Ersatz für den ausscheidenden Peter Hermann, der mit 67 Jahren lang genug als loyaler Hintermann gedient hatte. Auch diese Erwägung sagt einiges aus über Flicks rasenden Aufstieg.

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Boateng schwärmt von Flick

Sollten ihn demnächst führende Fachmagazine und Fachverbände für sein Werk auszeichnen, dann empfiehlt sich Jérôme Boateng als Laudator. Der Verteidiger würde die Aufgabe als Festredner gewiss gern übernehmen. Schon bei der Nationalelf hat er Flick als persönlichen Förderer erlebt, "er hat mir sehr geholfen", sagt Boateng und berichtet von Einzeltraining und vielen Gesprächen, in denen es nicht nur um Berufliches ging. Flick sei "ein toller Mensch" und "ein totaler Gewinn" für den FC Bayern, schwärmt Boateng im Namen der Mitspieler: "Wie er die Mannschaft behandelt, da kann sich keiner beschweren."

Bisher gibt es ja wirklich keine Beschwerden über Flick, gegen seinen Stil und seine Strategie. Bloß Lob und Bewunderung. Trotzdem muss er seine Eignung als Cheftrainer einer globalen Fußball-Großmacht nicht nur vor den TV-Experten nachweisen, die ihn noch nicht richtig kennenlernen konnten. Mit dem 8:2 gegen Barcelona hat er sich exzellent eingeführt, aber umso mehr ist dieses Turnier eine Herausforderung. Er kann auch noch verlieren. Die Welt sieht jetzt genau hin, ob dieser Mann in eine Reihe mit Guardiola oder Mourinho passt.

© SZ vom 18.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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