Borussia Dortmund:Der BVB bastelt wieder für die Schale

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Leiser Abschied: Mario Götze (links) verlässt den BVB - und was macht Toptalent Jadon Sancho? (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Der "ewige Zweite" Borussia Dortmund versucht in schwierigen Zeiten, einen Kader mit Meisterreife zu komponieren. Mario Götze geht durch die Hintertür - doch es gibt bereits einen Neuen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Irgendwie scheint der Fußballer Mario Götze bei Borussia Dortmund immer nur durch die Hintertür zu kommen oder zu gehen. 2013 war das so, als Götze verletzt das Champions-League-Finale in Wembley verpasste, bevor er zum Gegner Bayern München wechselte. 2016 war es wieder so, als Götze sich bei seiner Rückkehr zum BVB eher hereinschlich, um sich dem immer noch nicht abgeklungenen Zorn der Hardcore-Fans zu entziehen. Und jetzt, bei seinem zweiten Abschied, verzichtet Götze sogar darauf, sich im letzten Ligaspiel gegen Hoffenheim (Samstag, 15.30 Uhr) vom Trainer noch mal auf die Ersatzbank setzen zu lassen. Götze löst sich quasi in Luft auf, wird fürs Erste zum Transfergerücht. Und seinen Platz im BVB-Kader soll sogleich das nächste 16-jährige Wunderkind aus England übernehmen.

Das Zyklische mag den Fußball attraktiv machen: immer wieder dieselben Muster, immer ein bisschen aktualisiert, immer ein bisschen anders. In Dortmund allerdings scheint seit Jahren jeder Zyklus mit Platz zwei zu enden: immer Zweiter!

Als Götze das erste Mal ging, war die Borussia Zweiter, damals auch in der Champions League. Jetzt ist es wieder so, nur ohne Champions League. Als Dortmund zuletzt die Meisterschale holte, 2012, war Götze dabei, mit 19. Seitdem jedoch müssen sie in Dortmund jedes Jahr umbauen, einen neuen Anlauf nehmen, den Kader anders rekombinieren. Und statt auf Götze, der mit 27 eigentlich gerade erst ins beste Fußballeralter kommt, setzen sie beim BVB dieses Mal selbst auf den Wechsel.

Bellingham soll einer mit der Eleganz von Götze sein

Wenn alles gut geht, dann kommt Jude Bellingham, erst 16 Jahre alt, aber schon Stammspieler beim englischen Zweitligisten Birmingham City - und auf der Insel als "der nächste Sancho" gepriesen, den der BVB ja bereits als Original im Kader hat. Bellingham soll einer mit der Eleganz von Götze sein, aber auch mit jenem Durchsetzungsvermögen, das Trainer Lucien Favre (und viele andere) dem "Dortmunder Jungen" Götze nicht mehr zutrauen.

Dortmund bastelt also wieder mal, für den nächsten Anlauf im Meisterkampf gegen die Bayern. Abermals mit Trainer Favre, der ohnehin noch einen Vertrag bis 2021 besitzt und mindestens einmal noch mitwirken darf bei der Bastelei. Den Frust des erneuten Verlusts in der zu Ende gehenden Saison haben sie schon wieder überwunden, business as usual. Vielleicht haben sich manche in Dortmund auch schon zu sehr eingerichtet mit dem Status der "Nummer zwei". Beim Kader-Basteln ist das Spiel jedenfalls immer dasselbe: Ein, zwei Profis gehen nach jeder neuen Saison verloren.

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Dortmunds Scouts finden dann andere Wege - Bellingham dürfte die neueste Auflage werden. In Birmingham hat Bellingham, wie in England üblich und vorgeschrieben, nur einen Ausbildungsvertrag, der automatisch diesen Sommer ausläuft. Sein Klub kann ihn nicht zwingen zu bleiben, und für die zweite Liga ist er sogar als Teenager schon zu gut. Alle großen Premier-League-Klubs buhlen um ihn, in Dortmund aber hatten Bellingham, sein Vater und sein Berater schon kurz vor dem Corona-Lockdown der Bundesliga ihre Zusage hinterlegt.

Die Frage ist nur, was so ein Wort in diesen Zeiten und in dieser Branche jetzt wert ist. Birmingham würde Bellingham gerne für noch mehr Ausbildungsvergütung abgeben als für jene 20 bis 22 Millionen, die der BVB wohl zahlen will. Keiner kann Bellingham letztlich zwingen, aber heutzutage weiß man nie. "Natürlich wollen wir, dass das klappt", sagt Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, "aber es ist klar, dass bei so einem begabten Spieler viele andere auch Interesse haben."

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Wie man hört, will Bellingham weiterhin nach Dortmund. Dort spielt schließlich seit drei Jahren Jadon Sancho, und der ist das absolute Vorbild für junge englische Kicker. Sein Dasein als ewiger Zweiter und das ständige Umbauen des Kaders haben dazu geführt, dass der BVB inzwischen als Europas beste Startrampe für talentierte Typen wie Bellingham gilt. In Dortmund träfe er ja nicht nur auf Sancho, 20, sondern auch auf Erling Haaland, 19, und Gio Reyna, 17, beide in England geboren, weil ihre Väter dort als Profis spielten. Oder auf Mateu Morey, 20, aus Spanien, oder Leonardo Balerdi, 21, der schon argentinischer A-Nationalspieler ist. Und vielleicht auch auf Achraf Hakimi 21, den Spanier, der für Marokkos Nationalteam spielt. Selbst einer wie Julian Brandt, 24, gehört noch in die Kategorie der jungen Hochbegabten.

Dortmund hat sich zum Ausbildungsbetrieb der Champions League entwickelt. Mit Abschieden und anderen Nebenwirkungen muss man da immer rechnen. Während der Edeltechniker Götze in dieser Saison bei Favre keine Rolle spielte, sind andere im Kader nicht ganz so entbehrlich. Hakimi etwa ist von Real Madrid nur geliehen und müsste eigentlich dorthin zurück. Der BVB und angeblich auch Hakimi würden die Leihe aber gerne verlängern. Seine Auftritte in Dortmund haben viele Begehrlichkeiten bei noch reicheren Klubs geweckt.

Um auf Nummer Sicher zu gehen, will der BVB daher Thomas Meunier von Paris Saint-Germain holen. Der Belgier ist schon 28, spielt aber auf Hakimis bester Position, als offensiver rechter Verteidiger - und er ist ablösefrei. In Dortmund träfe Meunier auf zwei Kollegen aus der belgischen Nationalelf, Axel Witsel und Thorgan Hazard. Der Trainer und ein paar andere im Kader sprechen zudem Französisch. Unterschrieben ist noch nichts, aber in Dortmund gehen sie davon aus, dass Meunier kommt.

Das solle aber nicht automatisch bedeuten, dass Hakimi geht, heißt es in Dortmund. Obwohl Real noch immer keine ständige Verwendung für Hakimi hätte, würde man den in Dortmund groß herausgekommenen gebürtigen Madrilenen wohl gerne versilbern. In Corona-Zeiten, die in Spanien noch viel härter ausfielen, braucht auch das große Real Cash. 50 oder 60 Millionen müsste man aber für Hakimi zahlen. Zudem müsste ihm ein neuer Arbeitgeber wohl glaubwürdig ähnlich große Spielanteile wie beim BVB versprechen, weil der ebenso ehrgeizige wie eigenwillige Hakimi sonst nicht mitspielen würde bei solchen Plänen. Dortmund kann zumindest keine 50, 60 Millionen für ihn ausgeben.

Transfers in dieser Größenordnung sind derzeit gesellschaftlicher Sprengstoff

Auch der angeblich interessierte FC Bayern könnte das angesichts massiver Einnahme-Ausfälle durch Corona nicht. Ein Scheich-Klub wie Paris, finanziell aus Katar bisweilen fast schamlos befeuert, könnte schon - wenn nicht Corona und vielleicht auch die Financial-Fairplay-Ambitonen des Europäischen Fußball-Verbandes Uefa Zurückhaltung erzwingen.

Auch Sancho, der einen langfristigen Vertrag in Dortmund besitzt, könnte seinen Rückflug nach England noch mal verschieben. Bei 130 Millionen Euro Ablöse, die Watzke und Sportdirektor Michael Zorc für Sancho in den Raum stellen, könnte derzeit wohl allenfalls Manchester United mithalten. Aber in diesen Zeiten, so hat es offenbar auch United signalisiert, taugen Transfers in dieser Größenordnung eher zum gesellschaftlichen Sprengstoff, angesichts der Notlagen von Arbeitnehmern und Unternehmen.

Die Unsicherheiten bei der Kaderplanung treffen in diesem Sommer alle Klubs. Die Wechselfrist wird wohl bis in den Oktober verlängert, so könnten also Spieler wie Hakimi oder Sancho noch monatelang in einem Schwebezustand bleiben. Generell rechnen fast alle europäischen Oberklasse-Klubs mit hohen Einnahmerückgängen. Oligarchen und Scheichs könnten das ignorieren und für ihre Klubs auf Schnäppchenjagd gehen - wenn die Uefa sie lässt.

Watzke rechnet in Deutschland nicht damit, dass die Politik der Bundesliga bis Weihnachten mehr als ein begrenztes Kontingent von Zuschauern genehmigen wird, vielleicht zehn oder 2o Prozent der Stadionkapazität. Dasselbe gilt für die Champions League. Dadurch können bei Dortmund oder dem FC Bayern coronabedingt Fehlbeträge von 40, 50 Millionen entstehen. "Die nächste Saison", prophezeit Watzke, "wird finanziell noch härter für die Vereine als die neun Spieltage dieser Saison."

Vor diesem Schlachtengemälde wirkt der Weggang von WM-Held Götze fast nachrangig. Seine Frau Ann-Kathrin hat gerade den ersten Sohn zur Welt gebracht. Genug Gerüchte gibt es, dass Götze in Italien oder gar bei Atletico Madrid neu anfangen könnte. Ablösefrei - und vielleicht mit einem Trainer und Spielsystem, die ihm einen Turnaround in seiner Karriere ermöglichen. Die Ersatzbank gegen Hoffenheim, im menschenleeren Dortmunder Stadion, tut er sich jedenfalls nicht noch einmal an.

© SZ vom 25.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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