Bundesliga:Auf Schalke steigt der Druck auf Tönnies

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Mit königsblauem Schal: Aufsichtsratschef Clemens Tönnies. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Durch die massenhaften Infektionen in seinem Fleischereibetrieb ist nicht nur Clemens Tönnies in Verruf geraten, sondern auch Schalke 04. Nun wird sich zeigen, wie groß seine Macht im Klub wirklich ist.

Kommentar von Philipp Selldorf

Clemens Tönnies hat in den bald 20 Jahren, in denen er auf Schalke das große Wort führt, schon vielen Protestbewegungen standgehalten. Immer wieder ist er auf Mitgliederversammlungen und im Stadion ausgepfiffen worden, im vergangenen Sommer stand er durch seine anmaßenden Äußerungen über die Verhältnisse in Afrika im Mittelpunkt öffentlicher Aufregung, er wurde als Rassist bezeichnet und musste sich einem Verfahren vor dem Ehrenrat des Vereins stellen. Letzteres hat er als Demütigung und als Form von Verrat empfunden, er erwog seinen Rückzug, obwohl er in Ehren und mit einem milden Schiedsspruch davonkam.

Tönnies ist stolz und sensibel für Kritik, aber er ist auch zäh und besitzt ein stabiles narzisstisches Selbstbewusstsein. "Jedermanns Freund ist jedermanns Narr", pflegt er gern zu sagen. Jedes Mal, wenn es für ihn kritisch zu werden schien, hat er es verstanden, seine starke Stellung im Verein nicht nur beizubehalten, sondern auszubauen. Diesmal aber kommen die Angriffe aus allen Richtungen, und sie könnten zu groß werden, um sich ein weiteres Mal zu behaupten.

Während Tönnies zuhause in Ostwestfalen um den Bestand seiner Firma, seine Stellung und sein Ansehen, schlechthin um alles kämpft, was ihm wichtig ist, formiert sich in Gelsenkirchen der Widerstand im Vereinsvolk. Am Samstag um 15.30 Uhr findet am Sitz des Klubs eine Demonstration gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden und Großmetzger statt, sarkastisches Motto: "Schalke ist kein Schlachthof, gegen die Zerlegung des Vereins!" Der Veranstalter hat bei der Polizei und dem Ordnungsamt 2000 Teilnehmer angemeldet, geplant ist eine Menschenkette, die auf vier Kilometern das Vereinsgelände am Berger Feld umfassen soll.

Man sieht jetzt die Gelegenheit, Druck auf Tönnies auszuüben

Dass sich die Profis zur gleichen Stunde zum Bundesliga-Saisonfinale beim Sportclub Freiburg darum bemühen, ihre Rekordserie von 15 sieglosen Spielen zu beenden, ist Nebensache. Es geht nicht um die sportliche Misere, sondern um den Willen, grundlegende Veränderungen herbeizuführen. Man sieht jetzt die Gelegenheit, Druck auf Tönnies auszuüben. Bereits am Dienstag hingen an Schauplätzen am Berger Feld und an den Toren der historischen Glückauf-Kampfbahn Plakate, die Tönnies' Absetzung fordern. Die Vorstandsmitglieder Alexander Jobst und Jochen Schneider äußerten Verständnis für die Aktionen und ordneten sie als berechtigte Meinungsäußerungen ein - das Beste, was sie tun konnten.

Bereits am Montag hatten die einflussreichen Ultras nach langem geduldigen Schweigen eine Generalkritik an der Vereinspolitik vorgelegt, die Argument an Argument reihte und sich wie ein Leitartikel las. Der Sport kam auch hier nur am Rande vor, stattdessen geißelte der Text den "Ausverkauf der Schalker Werte" und ein Handeln der Akteure, das der "moralischen Bankrotterklärung" gleiche. Das mag pathetisch klingen, aber kein Schalker Funktionär würde derzeit behaupten wollen, dass die Anhänger keinen Anlass zum Pathos hätten.

Durch die massenhaften Infektionen und die Zustände in seinem Fleischereibetrieb ist nicht nur Clemens Tönnies in Verruf geraten, sondern mindestens mittelbar auch der Traditionsklub Schalke 04. An dem Bild, dass Schalke "sein" Verein ist, hat er lang genug gearbeitet. Formell ist Tönnies lediglich der oberste Aufseher, aber dass er jetzt in den Wirtschaftsmedien ständig irrtümlich als Präsident bezeichnet wird, ist nur folgerichtig. Der Boulevard-Titel "Schalke-Boss", den er bis heute als großes Kompliment empfindet, gibt die realen Verhältnisse bei den Königsblauen zutreffend wider.

Zwar hat der Millionär Tönnies dem Klub niemals Geld geschenkt, dennoch hieß es im Verein über all die Jahre, er sei für Schalkes wirtschaftliches Wohlergehen auf lange Sicht unentbehrlich. Nun wird sich zeigen, ob seine Machtbasis in dieser Krise immer noch stark genug ist, um sich zu behaupten.

© SZ vom 24.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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