Leichtathletin Burghardt im Sprint:Sie schwebt auf ihrer Wolke

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Wendepunkt: Alexandra Burghardt gewinnt im vergangenen Sommer in Braunschweig ihren ersten Einzel-Titel bei den Aktiven im Freien. (Foto: Axel Kohring/Beautiful Sports/Imago)

Deutschlands schnellste Sprinterin Alexandra Burghardt nimmt den zweiten Teil ihres gewagten Projekts in Angriff: von der Bob-Olympiamedaillengewinnerin zurück auf die Tartanbahn.

Von Johannes Knuth

An ihrem ersten Tag am alten Arbeitsplatz warteten auf die Leichtathletin Alexandra Burghardt diverse behördliche Pflichten. Und die 28-Jährige erledigte diese geduldig und lächelnd, als habe sie seit Wochen auf nichts anderes gewartet: Sie schob sich über die 100 Meter beim Ludwig-Jall-Sportfest in 11,38 Sekunden durch den Münchner Regen. Die Konkurrentinnen wollten gleich Erinnerungsfotos mit ihr anfertigen, noch auf der Tartanbahn.

Später warteten Dopingkontrolle und diverse Interviews, darunter eines in einer Rikscha, in der Burghardt ein wenig aussah wie ein Entfesselungskünstler im Marmeladenglas. Da räumte sie ein, dass sie "schon sehr aufgeregt" gewesen sei vor ihrem ersten Leichtathletik-Termin des Sommers, der mehr war als ein handelsüblicher Saisonauftakt.

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Das macht halt schon was mit einem und seinem Umfeld: Wenn man, wie Burghardt, ein Jahr hinter sich hat, in das zwei nationale Meistertitel passen, über 100 und 200 Meter, dazu die beste Zeit einer deutschen 100-Meter-Sprinterin, in 11,01 Sekunden. Und seit vergangenem Februar eben auch diese olympische Silbermedaille, im Bob mit Mariama Jamanka.

Burghardt ist nicht die erste Leichtathletin, die im Eiskanal einem Nebengewerbe nachgeht, allerdings steigen nicht viele für ein halbes Jahr aus ihrem Sportlerleben aus, in den Bob hinein - und verwandeln sich danach sofort wieder in eine Leichtathletin, vor der jetzt schon wieder Weltmeisterschaften (im Juli) und Europameisterschaften (im August) liegen. "Es ist schon ein Risiko", sagte Burghardt unlängst in der Münchner Kälte. Ein Risiko, das sich auszahlen wird?

Ihre Pläne für den Sommer: zwei deutsche Meistertitel, neue Bestzeit, eine EM-Medaille

Es ist nicht einmal ein Jahr her, da waren Interviews und Erinnerungsfotos mit Burghardt recht mäßig gefragt. Damals lagen viele Sommer hinter ihr, in denen sie immer fester von einem Strudel gepackt worden war: Sie kurierte kleinere Verletzungen nicht aus, wollte bloß keine Rennen und Startplätze in der Staffel verpassen, lief weiter, versank noch tiefer in den Schmerzen. Das änderte sich erst, als Burghardt 2019 auf Patrick Saile traf, damals Landestrainer in München, heute Nationaltrainer in der Schweiz.

Saile überzeugte sie, ihren Körper völlig heilen zu lassen; führte sie erst dann an eine neue, verbesserte Technik heran, fast so, als würde man einem Kind das Laufen noch mal beibringen. Im Vorjahr, nach pandemischer Pause und Zuschriften von der Sporthilfe, die Burghardt schon im Pensionistendasein wähnte, wurde sie in Braunschweig deutsche Meisterin über 100 und 200 Meter, sie steigerte ihre Bestzeit um drei Zehntelsekunden, war bei den Sommerspielen in Tokio beste Deutsche im Halbfinale, in 11,07 Sekunden. Ein Talent, das endlich erblühte, mit 28 Jahren.

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Viele wären der Leichtathletik nun wohl treu geblieben, Burghardt war ja endlich von jener Konstanz ummantelt, um die sie lange geworben hatte. Und nun also: Aufwärmen bei null Grad, sechs Sekunden sprinten, in den Bob hüpfen, in dem der Athletenkörper bei 120 Stundenkilometern hin und her geworfen wird? Aber Burghardt wusste bereits, dass Jamanka ihre Karriere nach den Spielen in Peking beenden würde.

Und als sie im Februar wie geplant aus dem Wintersport hinausglitt, hatte sie mehr als diese olympische Medaille im Gepäck, die ihre Staffel-Kolleginnen in der Leichtathletik bislang noch immer knapp verpassten. "Wenn aus irgendeinem Grund morgen meine Karriere vorbei wäre, könnte ich sie mit einem Lächeln beenden", sagte Burghardt nun, das wäre vor Braunschweig nicht der Fall gewesen: "Ich habe jetzt endlich die Ruhe. Andererseits spornt mich das schon an, weil es jetzt erst so richtig Spaß macht." Zuletzt habe sie auch noch geheiratet. "Ich schwebe", sagt Burghardt, "grad einfach auf meiner Wolke".

Tempohärte kann sie noch gebrauchen, in diesem Sommer der Höhepunkte

So fand sie auch zurück in ihr altes Sportlerleben. Sie pausierte nach den Winterspielen für zwei, drei Wochen, ein bisschen Freiheit für den Kopf. Sie verlor noch ein paar Tage, eine kleine Verletzung hier, eine Corona-Infektion da. Aber sie wusste um das Fundament des Vorsommers, und dass ihr für diese Saison erst mal "kein Stress" bevor stand. Doppel-Titelträgerinnen und 11-Sekunden-Sprinterinnen fliegen Startplätze schon mal leichter zu, auch in der Diamond League, in der es Burghardt am kommenden Wochenende nach Rabat, Marokko verschlagen wird.

Im Training veränderte sie auch nicht allzu viel, das ist ja oft die beste Veränderung: Burghardt absolvierte bloß mehr längere Läufe als sonst, die seien neben dem Bobfahren zu kurz gekommen, sagte sie. Außerdem will sie über die 200 Meter endlich unter die 23-Sekunden-Marke schlüpfen. Und ein wenig Tempohärte schadet ohnehin nicht in diesem Sommer der Höhepunkte. Ende Juni wolle sie in Berlin beide DM-Titel verteidigen, sagte Burghardt nun, irgendwann in diesem Jahr eine neue Bestzeit erschaffen, und dann ist da ja noch die EM in München, die nächste Medaillenchance.

Eine EM im Olympiastadion, nicht mal eine Stunde von ihrer Heimat Burghausen entfernt: Das sei ihr schon ein bisschen näher als die WM Mitte Juli in den USA, findet Burghardt. 2006 fertigte sie noch selbst Erinnerungsfotos mit den Athleten an, beim Europacup im Olympiastadion. Jetzt, im August, "sind da bestimmt 500 Leute im Stadion, die mich sehr gut kennen und für mich schreien", sagt Burghardt. Wie oft, fragt sie, dürfe man das als Sportler erleben? Schöne, schwebende Aussichten - und noch ein paar behördliche Pflichten dazu.

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