Leichtathletik:In langen Hosen durchs Schaufenster

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Noch nicht mit voller Schubkraft unterwegs: Alexandra Burghardt beim Sportfest in München. (Foto: Theo Kiefner)

Olympia-Silbermedaillengewinnerin Alexandra Burghardt stimmt sich beim Münchner Ludwig-Jall-Sportfest auf einen langen Leichtathletiksommer ein. Die sportlich edelsten Leistungen bieten die Kugelstoßer an - trotz Kälte und Regen.

Von Johannes Knuth, München

Auch eine Wintersportlerin a.D. kann von der Kälte überrumpelt werden. Alexandra Burghardt, in Peking zuletzt im Bob von Mariama Jamanka zur olympischen Silbermedaille gerast, hatte sich am Sonntag, beim 35. Ludwig-Jall-Sportfest im Münchner Dantestadion, das erste Mal seit ihrer Winterreise wieder ihrem Haupterwerb zugewandt, dem Sprint auf der Tartanbahn. Doch statt Sommerwärme, die Ende Mai schon mal die Sprintermuskeln umschmeichelt, schüttete es zeitweise, die Plusgrade lappten gerade so ins Zweistellige. Burghardt rollte entsprechend verhalten durch ihren Vorlauf, im knappen Wettkampfoutfit und 11,58 Sekunden. Im Finale bewies sie dann Lernvermögen: 11,38 Sekunden, damit egalisierte sie nebenbei sogar die noch sehr junge deutsche Jahresbestzeit - diesmal in langen Hosen.

"Unter den Umständen passt die Zeit", bilanzierte die 28-Jährige, für sie hatte sich der Trip ins Dantestadion so oder so gelohnt. Auch eine Athletin, die im Vorjahr die 100 Meter in 11,01 Sekunden lief und nach vielen Schmerzensjahren über beide Sprintdistanzen die nationale Sprintkrone erstand, braucht eine kleine Frischzellenkur fürs Selbstbewusstsein, sobald sie in eine neue Spielzeit zieht. Zum anderen, sagte sie, habe sie "noch nie so ein Heimspiel" erlebt - Burghardt hat einst in München studiert und die lokale Leichtathletik repräsentiert, und auch wenn sie mittlerweile die LG Gendorf Wacker Burghausen vertritt: Für sie sei es "selbstverständlich", im Dantestadion anzutreten, "wenn es hier so ein Meeting gibt". Sprich: Mit offiziellem Gütesiegel des Weltverbands, mit Punkten für die Weltrangliste und als Sprungbrett für einen Sommer, der zwei Kilometer weiter östlich auf seinen Höhepunkt zusteuert, auch für Burghardt: bei der EM im kommenden August im Olympiastadion.

Die Veranstalter wollen ihre lokalen Athleten auch ein wenig ins Schaufenster stellen, als Appetizer für die EM im Sommer im Münchner Olympiapark - doch das klappt nicht ganz

Auch deshalb hatten sie einiges zusammengezogen für ihr aufgemöbeltes Sportfest, die Ausrichter vom Post-Sportverein München und der LG Stadtwerke: rund 50 internationale Athleten, Inklusionswettbewerbe, Siegerinterviews in einer Rikscha neben der Laufbahn. Sie wollten ihre lokalen Athleten auch ein wenig ins Schaufenster stellen, als Appetizer für den Sommer, was allerdings nicht ganz klappte. Als das Hauptprogramm anbrach, kam der Regen, das dämpfte nicht nur viele Leistungen, sondern auch den Zuschauerzuspruch. Jochen Schweitzer, der LG-Vorstand, hatte trotzdem 1000 Besucher gezählt, und Verena Dietl, als 3. Bürgermeisterin zuständig für das Ressort Sport, sagte, sie sei "stolz", einen derart starken Verein samt Meeting in der Stadt zu haben - wobei ihr auch nicht viel anders übrigblieb: Wer weiß, ob ihr Schweitzer bei ihrer Grußbotschaft sonst weiter den Regenschirm gehalten hätte?

Die Verantwortlichen vernahmen das Lob jedenfalls mit Genugtuung. Ob sie ihr Meeting in diesem Umfang auch in Jahren ohne Heim-EM halten können, wird auch davon abhängen, wie viele Sponsoren sich neben der Stadt engagieren. Manche Leistungen waren am Sonntag übrigens trotz des Wetters durchaus hochsommertauglich: Kugelstoßer Simon Bayer (VfL Sindelfingen) steigerte mit 20,37 Metern seine Bestweite um sieben Zentimeter, übertraf sogar die bisherige deutsche Saisonbestweite des zweimaligen Weltmeisters David Storl. Christian Zimmermann (Kirchheimer SC) verlor so sein Heimspiel, 20,07 Meter waren aber auch so sehr achtbar. Das stellte auch internationale Leistungen in den Schatten, Kayhan Özers 10,46 Sekunden über 100 Meter etwa. Im gut besetzten Hochsprung reichten dem Dresdner Jonas Wagner dagegen 2,15 Meter zum Sieg - Tobias Potye hatte früh gepasst, das Sprunggelenk schmerzte.

Die Gastgeber kam aber auch so zu einigen Erfolgen, Christina Hering etwa gewann bei ihrem Ausflug auf die Unterdistanz (400 Meter) etwas überraschend in 53,58 Sekunden. Die Ukrainerin Alina Lohwynenko war immerhin mit der Empfehlung von 51,19 Sekunden angereist, ihre Bestzeit ist allerdings auch schon zehn Jahre alt. Zum anderen hat Lohwynenko - wie alle Mitglieder der kleinen ukrainischen Delegation am Sonntag in München - gerade andere Sorgen als schlechtes Wetter und 55,19 Sekunden zum Saisonauftakt. Ihr Trainer, der aus Odessa stamme, sei in die Westukraine geflohen und trainiere sie von dort per Telefon, erzählte Lohwynenko nach dem Rennen. Sie selbst stammt aus Donezk und lebte zuletzt in Kiew, ehe sie vor dem Krieg nach Düsseldorf floh. Sie hoffe, sagte sie, trotz allem bei der WM und EM demnächst starten zu können, das verschaffe Freunden und Bekannten auch ein wenig Halt, in der Heimat. Nicht zuletzt auch ihr selbst.

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