Leichtathletik:Zurück in den Wolken

Leichtathletik: Bekanntes Flugobjekt: Anstelle der verletzten Chiara Sistermann wird nun Lilly Samanski im Fokus des heimischen Publikums stehen.

Bekanntes Flugobjekt: Anstelle der verletzten Chiara Sistermann wird nun Lilly Samanski im Fokus des heimischen Publikums stehen.

(Foto: B. Hoffmann/Beautiful Sports/Imago)

Das internationale Stabhochsprung-Festival "Touch the Clouds" in Gräfelfing findet wieder zu alter Größe. Nach dreijähriger Leidenszeit gibt Lokalmatador Korbinian Suckfüll sein Comeback - während eine hoch gehandelte Vereinskollegin verletzt ausfällt.

Von Andreas Liebmann

Nach einem einzigen Schritt ist damals alles vorbei. Korbinian Suckfüll steht auf dem linken Fuß, hebt seinen Stab, die Latte liegt auf seiner Einstiegshöhe von 4,51 Meter. Es ist sein erster Versuch in diesem Wettkampf. 300 Zuschauer im Stadion feuern ihn an, vermutlich kennt er die meisten. Suckfüll schaut, setzt zum Anlauf an, knickt mit dem rechten Fuß weg - Ende. Achillessehnenriss.

Drei schwierige Jahre sind vergangen seither. Korbinian Suckfüll steht auf dem Sportplatz des Gräfelfinger Kurt-Huber-Gymnasiums und erinnert sich. Wie er damals in die Notaufnahme kam. Erfuhr, dass man so schnell wie möglich operieren solle. Sich das Bein dick bandagieren ließ und erstmal zurückkehrte zum Wettkampf, wo er dann mit Krücken auf der Tribüne saß, den lädierten Fuß hochgelagert, um den anderen noch beim Springen zuzusehen. Verrückt eigentlich, aber dieses Stabhochsprung-Meeting namens "Touch the Clouds" war eben der jährliche Höhepunkt für die Leichtathletik-Abteilung seines TSV Gräfelfing, monatelange Vorbereitungen, monatelange Vorfreude. Und nun, an diesem Wochenende, werden sie hier gemeinsam ihr Comeback geben: das Meeting - und auch er.

Leichtathletik: Das war, bevor die Verletzungsprobleme begannen: Korbinian Suckfüll, Stabhochsprungtalent des TSV Gräfelfing.

Das war, bevor die Verletzungsprobleme begannen: Korbinian Suckfüll, Stabhochsprungtalent des TSV Gräfelfing.

(Foto: Beautiful Sports/Imago)

Suckfüll, großgewachsen, kurze, schwarze Haare, strahlt. Vor eineinhalb Wochen ist er in Wasserburg gesprungen, der erste größere Wettkämpf nach der Leidenszeit. Fünf Meter hat er geschafft aus verkürztem Anlauf. "Das war ein bisschen überraschend", gibt er zu, aus dem Training habe man das nicht unbedingt herauslesen können. "Aber das hat mir natürlich viel Motivation gegeben."

Trainer Schimmelpfennig ist beeindruckt, wie viele Helfer spontan mit anpacken

Schon lange vor dem Sehnenriss damals hatte Suckfüll mit Schmerzen im Fuß zu kämpfen, 2017 begann das, er musste seine Belastungen drosseln. 2018 gelang ihm trotzdem seine persönliche Bestleistung von 5,20 Meter. 2019 hatte er eigentlich auf die U23-EM gehofft und ein kleines bisschen sogar noch von den Olympischen Spielen in Tokio geträumt. Wenn alles optimal liefe. Aber das tat es nicht. Als die Achillessehne dann ausgeheilt war, musste sich Suckfüll noch einer Operation am Fersenbein unterziehen. "Er hat drei Jahre gekämpft", sagt sein Trainer Matthias Schimmelpfennig, der den Gräfelfinger Stabhochsprung-Stützpunkt leitet, "eigentlich sogar vier. Es ist beeindruckend zu sehen, dass er immer noch daran glaubt." Seit Wasserburg weiß Suckfüll, dass es für ihn wieder hoch gehen kann. An diesem Freitag will er sich weiter steigern und möglichst bald die 5,35 Meter schaffen, die A-Norm für die deutschen Meisterschaften. Nach all den verlorenen Sportlerjahren ist es fast erstaunlich, dass er trotzdem erst 24 ist. Das aktuelle Teilnehmerfeld beim Touch the Clouds ist stark, fast alle im Männerfeld kommen mit Bestleistungen oberhalb der Fünfmetermarke.

Auch das Stabhochsprung-Festival selbst hat eine schwere Zeit hinter sich seit Suckfülls Verletzung. 2020 fiel es Corona-bedingt aus, 2021 fand es im Kleinformat statt, ohne Show, Sponsoren oder vielen Zuschauern, und ähnlich heruntergedimmt hätte es auch in diesem Jahr ablaufen sollen - bis sich vor wenigen Wochen die Nachwuchs-Bundestrainer meldeten und fragten, ob sich der TSV dazu in der Lage sähe, eine WM-Qualifikation für die Altersklasse U20 auszutragen. Sie mussten sich erst durchringen, dann sagten sie zu, suchten und fanden in Windeseile Helfer, "und jetzt machen wir eben das, was wir sonst in einem Dreivierteljahr gemacht haben, in sieben Wochen", sagt Schimmelpfennig, der sichtlich bewegt ist davon, wie viele hier spontan mit anpackten. Neben Suckfüll schickt Gräfelfing Louis Pröbstle, 19, aussichtsreich in den internationalen Wettkampf, auch er kommt aus einer Verletzung, einem Ermüdungsbruch im Fuß, hat aber in Wasserburg 5,10 Meter übersprungen. Der junge Zugang aus Mannheim ist für Suckfüll der ideale Trainingspartner.

Der Trailer wirbt noch mit der DM-Dritten Chiara Sistermann, doch die 18-Jährige hat sich verletzt

Einen Rückschlag allerdings gab es ebenfalls für die Gastgeber. Denn auch Chiara Sistermann war zuletzt in Wasserburg dabei, das 18-jährige Toptalent, das erst Ende Februar überraschend Dritte bei den deutschen Hallenmeisterschaften der Frauen wurde, mit übersprungenen 4,30 Meter. Sie ist das "Covergirl" der am Freitag beginnenden Veranstaltung, wie Schimmelpfennig sagt, der Trailer auf der neuen Homepage wirbt mit ihr, und natürlich ist die WM-Qualifikation der U20 eines ihrer Saisonziele. Sistermann aber knickte um in Wasserburg, nicht mit dem ersten Schritt, sondern schon beim Einspringen. Nun wird Lilly Samanski im Fokus des Gräfelfinger Publikums stehen, die 17-Jährige ist deutsche U18-Meisterin. In Wasserburg hat sie gleich mal wieder die vier Meter übersprungen, für die sie im vergangenen Jahr fast die gesamte Saison gebraucht hatte. Sie ist also gut drauf. Trotz der aktuellen Euphorie im TSV merkt Schimmelpfennig an den Teilnehmerzahlen aber auch, dass es ein Corona-bedingtes Nachwuchsproblem im Stabhochsprung gibt. Nur zwei Jungen (und 13 Mädchen) haben bei den 13-Jährigen gemeldet. "Corona hat viele Trainer zur Verzweiflung und einige auch zum Aufhören gebracht", weiß er. Viele Jugendliche hätten zwei Jahre lang "keinen Stab in der Hand" gehabt, die Auswirkungen seien deutlich zu bemerken.

Chiara Sistermann übrigens stellt er frei, ob sie trotz der Enttäuschung wegen der Verletzung und trotz Abi-Stress vorbeischauen wolle. Aber ja: Sie will. Helfen. Anfeuern. Seit sie sechs war, habe sie hier schon zugeschaut, erklärt sie. Es ist schließlich das Touch the Clouds.

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