Zuschauer im Stadion:Sogar Karl Lauterbach findet es gut

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Die Münchner Arena war bei der Fußball-EM mit 14 000 Zuschauern gefüllt - in der Bundesliga sind 20 000 erlaubt, in anderen Bundesländern maximal 25 000. (Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago)

Es ist vertretbar, dass in Deutschland bald wieder bis zu 25 000 Genesene, Getestete und Geimpfte in ein Fußballstadion dürfen. Gleichzeitig sind die Rufe nach ausverkauften Arenen wie in England zu früh.

Kommentar von Martin Schneider

Die aktuelle Debatte rund um Zuschauer im Stadion begreift man ganz gut, wenn man Dieter Reiter und Hans-Joachim Watzke zuhört. Reiter ist SPD-Oberbürgermeister der Stadt München und kritisierte den europäischen Fußballverband Uefa scharf. Man habe der Stadt, was Zuschauer im EM-Stadion angeht, "das Messer auf die Brust gesetzt", die Stadionauslastung von 60 000 Zuschauern im Finalort Wembley gebe die Corona-Lage in Europa "nicht her" und selbst die 14 000 in der Münchner Arena seien fragwürdig gewesen, weil zum Beispiel für Philharmoniker an gleicher Stelle viel strengere Regeln gelten. Für Reiter sind derzeit zu viele Zuschauer im Stadion.

Watzke, der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, findet dagegen, dass zu wenige Zuschauer ins Stadion dürfen. Am Dienstag beschloss die Politik, in der kommenden Saison der Fußball-Bundesliga 50 Prozent Stadionauslastung für Geimpfte, Getestete und Genesene (3G-Prinzip) zu erlauben, gedeckelt bei 25 000 Fans. Er sei aber nicht bereit, "das ewig mitzutragen", sagte Watzke. "Warum soll ein Stadion nur mit Geimpften nicht ausverkauft sein?"

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Watzke und Reiter stellen zwei extreme Pole der Debatte da, sie vertreten eben verschiedene Interessen. Reiter sorgt sich angesichts der Stadionfrage, künftig überhaupt irgendwelche Corona-Maßnahmen rechtfertigen zu können, weil natürlich jeder mit dem Argument kommen kann: "Wenn die in England ihr Stadion vollstopfen, warum dürfen wir dann nicht ..." Watzke argumentiert im Interesse der Aktiengesellschaft, der er vorsteht. Beides ist legitim.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Debatten gern zu den Extremen tendieren, aber in diesem Fall muss man sich mal fragen, warum eigentlich. Angesichts einer Inzidenz von fünf ist es schlicht nicht zu begründen, warum Getestete, Geimpfte und Genese nicht in ein Stadion sollten. Natürlich gibt es eine Restgefahr - Übertragung trotz Impfung, Falsch-Negative-Tests -, aber das bewegt sich gerade im Freien auf dem allgemeinen Lebensrisikolevel. Zumal die Erlaubnis weiter an die Inzidenz gekoppelt ist, bei über 35 ist Schluss. Sogar SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält das Konzept "im Großen und Ganzen für vernünftig".

Gleichzeitig gibt es Gründe, warum man die Zahlen in der Bundesliga bei 25 000 deckelt. Wenn Watzke argumentiert, das Stadion des BVB biete mehr Platz, und er fühle sich darum unfair behandelt, dann mag er mit der Stadiongröße recht haben - die Straßenbahn zum Stadion ist in Dortmund aber nicht größer als woanders. Und der Vorschlag mit einem Stadion voller Geimpfter? Da schlägt sich Watzke in einer komplexen Debatte rund um sogenannte Impfprivilegien recht einfach auf eine Seite.

Es ist noch nicht abschließend geklärt, wie Geimpfte auf die Delta-Variante reagieren

Laut der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC hat man bereits 2500 Corona-Fälle in Zusammenhang mit der EM bringen können, die meisten davon im Delta-Gebiet Schottland. Wo genau sich die Fans angesteckt haben, ob im Stadion, auf der Fanmeile oder im Zug zum Stadion oder zur Fanmeile - das ist natürlich nicht feststellbar. In Deutschland war kein signifikanter Anstieg zu verzeichnen, auch in München bisher nicht.

Nach allem, was man weiß, sind unkontrollierte Menschenmassen ein Problem - die hat in Deutschland im Bezug auf den Fußball aber auch niemand erlaubt, im Gegenteil. Man erlaubt kontrollierte Veranstaltungen im Freien, mit dem doppelten Sicherheitsnetz von Abstand und dem 3G-Prinzip. Wer dieses Risiko nicht eingehen kann, der muss den Verbots-Rahmen sehr, sehr eng ziehen, auch Dieter Reiter.

Auf der anderen Seite ist die Bevölkerung noch lange nicht durchgeimpft, schon gar nicht doppelt. Es ist noch nicht abschließend geklärt, wie Geimpfte auf die Delta-Variante reagieren; und ob und in welchem Maße ein Geimpfter das Virus weitertragen kann. So lange nicht jeder Impfwillige die Möglichkeit hatte, sich einen vollständigen Impfschutz zu holen, so lange sind maßvolle Einschränkungen begründbar - und wenn es ein paar freie Plätze im Stadion sind.

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