Bundesliga: VfB Stuttgart:Mannschaft ohne Gefühl

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Entsetzter Manager, ahnungslose Stürmer, erfreuter Trainer: Nach dem 0:4 gegen Leverkusen darf Markus Babbel vorerst bleiben - einen Ausweg aus der Krise scheint keiner zu kennen.

Bernd Dörries

Nicht wenige in Stuttgart hatten eigentlich damit gerechnet, dass Markus Babbel den Montag zu einem guten Teil in einem schön geheizten und trockenen Raum verbringen wird, bei einem Gespräch. Statt dessen musste Babbel draußen im schweren Regen herumlatschen und den Vormittag mit einer Gruppe schwieriger junger Menschen verbringen, rufen und schreien. Er empfand für diese Möglichkeit der Tagesgestaltung eine ziemlich große Dankbarkeit. "Ich bin nach wie vor hier", sagte der nasse Mann. " Das freut mich natürlich wahnsinnig."

Stuttgarts Torhüter Jens Lehmann nach dem 0:4 in Leverkusen. (Foto: Foto: Getty)

Mit seiner wahnsinnigen Freude ist er im Moment ziemlich allein in Stuttgart. Der Verein macht derzeit dem Hamburger SV heftige Konkurrenz, der noch in Führung liegt, mit der längsten Trainerentlassung in der Bundesliga- geschichte, monatelang wurde 2006/07 dort über Thomas Doll diskutiert. Doll war sehr beliebt bei den Fans und auch Babbel muss sich keine Trainer-Raus-Chöre anhören. Der HSV-Coach durfte damals als Trainer in die Winterpause gehen, was aber auch nicht mehr viel half. Dass Babbel nach dem 0:4 gegen Bayer Leverkusen vom Sonntag noch mit der Mannschaft auf den Trainingsplatz kam, ist eher den Umständen geschuldet, nicht der Überzeugung der Vereinsverantwortlichen.

Es ist wohl eine Gemengelage von Gründen, die dazu führte, dass man Babbel am Montag im Klubhaus nicht die Entlassung mitteilte, was sich aber am Dienstag schon ändern kann, der Vorstand wollte in der Nacht weiter beraten. Es ist derzeit nicht ganz einfach, einen Nachfolger zu finden, der sofort Zeit hätte. Zudem sind sich die Verantwortlichen offenbar auch nicht ganz einig, wer denn Babbel nachfolgen sollte.

Der eine Teil der Vereinsführung hält den Schweizer Christian Gross für eine gute Idee, der zehn Jahre lang den FC Basel trainierte und sofort zu haben wäre. Andere haben sich offenbar Franco Foda näher angeschaut, der einmal zwei Jahre in Stuttgart gespielt hatte, was die meisten hier schnell vergessen haben. Foda arbeitet aber nun als Trainer bei Sturm Graz erfolgreich, wäre aber wohl frühestens in der Weihnachtspause zu haben. Zudem gibt es wohl noch ein kleines Restvertrauen für Babbel, 37. Der Arbeitgeberpräsident und Aufsichtsratschef Dieter Hundt hat noch die meisten Sympathien für den jungen Arbeitnehmer.

Es könnte aber ziemlich schnell gehen mit einer Entlassung. Am kommenden Wochenende schaut der VfL Bochum in Stuttgart vorbei, der direkte Konkurrent im Abstiegskampf und derzeit jene Mannschaft, die beim VfB als Vorbild genannt wird. Dafür, wie man sich angemessen verhält im Abstiegskampf. "Wir sind Tabellen-Siebzehnter und spielen Hacke, Spitze, eins, zwei, drei. Das ist unfassbar", sagte Manager Horst Heldt nach dem Spiel in Leverkusen.

Für andere in Stuttgart ist es nicht unfassbar, sondern auch eine Folge der Transfers von Heldt. Der Manager hat in den vergangenen Jahren eine Menge Geld in die Hand bekommen: Die Meisterschaft 2007, zwei Champions-League-Teilnahmen und die 35 Millionen Euro für Mario Gomez.

Bei all dem Geld kann man aber nicht sagen, dass der VfB Stuttgart dafür sehr viele Spieler geholt hätte, die den Verein nachhaltig verstärken. Seit zweieinhalb Jahren wartet man nun schon auf den Durchbruch von Ciprian Marica, der einst acht Millionen Euro gekostet hat und fast so viele Chancen vergeben hat. Es gibt Yildiray Bastürk, Jan Simak und Khalid Boulahrouz, die schon länger in keiner Aufstellung mehr gesehen wurden.

Seltsame Spieler

Der einjährige Ausflug von Aliaksandr Hleb nach Stuttgart kostet schätzungsweise sechs Millionen Euro. Stürmer Pavel Pogrebnyak war mit fünf Millionen günstiger und gibt sein Geld für Hotelzimmer aus, er hat monatelang kein Haus gefunden, das bereits möbliert ist, so wie es in Russland üblich sei. Jens Lehmann fällt oft eher durch Eigenartigkeiten auf, wie dem verschuldeten Foulelfmeter in Leverkusen und Pöbeleien gegenüber Gegenspielern.

Es sind schon seltsame Spieler dabei in dieser Mannschaft, der Vereinsführung ist irgendwie das Gespür abhanden gekommen, wer zusammenpasst. Nur wenige Spieler können mit Misserfolgen umgehen, viele sind als sehr junge Leute mit der deutschen Meisterschaft 2007 sozialisiert worden und haben in der Folge Rundumsorglosverträge bekommen. Manchmal hat man den Eindruck, es ist eine Mannschaft ohne Gefühl. Es gibt keine Freude, wozu auch wenig Anlass besteht, es gibt aber auch keine Wut. In der letzten Zeit sollen die Disziplinlosigkeiten zugenommen haben, was Babbel angekreidet wird. Die einen kommen zu spät zum Training, die anderen telefonieren im Mannschaftsbus mit dem Handy.

Babbel hat am Sonntag in der Sporthochschule Köln angerufen und dort mitgeteilt, dass er diese Woche beim Trainerlehrgang mal wieder fehlen wird, um bei der Mannschaft zu sein. Es gibt vieles, was zu üben ist: Ein paar Spielzüge vielleicht, Stürmer Pogrebnyak hat bisher keine Ahnung, wohin der Ball kommen könnte. Die Stuttgarter Eckbälle und Freistöße sind schon seit Monaten fliegende Kapitulationserklärungen. Für Aliaksandr Hleb ist Babbel immer noch der passende Trainer: "Markus ist der Richtige. Wenn er weg wäre, ginge alle kaputt." Die Frage ist so langsam, was denn noch übrig bleibt, was noch nicht kaputt gegangen ist.

© SZ vom 01.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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