Bundesliga:Das VfB-Häusle steht in lodernden Flammen

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Schwer anzusehen: Bruno Labbadia leidet sichtlich während des 0:3 seines VfB Stuttgart bei Union Berlin. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Nach dem 0:3 bei Union Berlin kursieren Meldungen über die Ablösung von Trainer Bruno Labbadia. VfB-Sportchef Wohlgemuth dementiert das nicht: Man werde "nicht untätig sein und dem Untergang zuschauen". Eine Entscheidung wird am Montag erwartet.

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Es gibt in der Juristerei den Begriff der objektiven Vorhersehbarkeit, der im Wesentlichen besagt, dass man allein schon aufgrund der Lebenserfahrung mit einem bestimmten Verlauf der Dinge rechnen muss. Und auch wenn der Fußball seine Attraktivität in ganz erheblichem Maße daraus bezieht, dass er sich gegen die Vorhersehbarkeit stemmt ("Die Menschen gehen hin, weil sie nicht wissen, wie's ausgeht", sagte Sepp Herberger), so begibt es sich mitunter doch, dass sich Ahnungen bestätigen. Zum Beispiel am Samstag im Stadion an der Alten Försterei zu Berlin-Köpenick.

Okay, dass der 1. FC Union dort gegen den VfB Stuttgart spielte, entsprach ganz dem Terminplan, der zu Saisonbeginn verkündet worden war. Und stehen die Heimspiele von Union nicht längst unter Spoiler-Verdacht, wie man neudeutsch sagen könnte? Union hat zu Hause seit knapp 14 Monaten nicht mehr verloren; und als Tabellendritter war man gegen den Letzten aus Stuttgart sowieso als Favorit ins Spiel gegangen. Überraschend war allenfalls, dass die Köpenicker gegen Stuttgart gleich mit 3:0 siegten: Es war der höchste Heimsieg der laufenden Spielzeit, der den Flirt der Unioner mit der Champions League intensivierte. Union wird - unabhängig vom Ausgang der nächsten Partie bei Borussia Dortmund - auch nach dem Osterwochenende auf einem Champions-League-Platz verweilen.

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Umgekehrt war es so, dass man mit einem Auswärtssieg des VfB Stuttgart nicht rechnen konnte. Seit dem 11. Dezember 2021 waren die Schwaben noch bei jedem Bundesliga-Auswärtsspiel ohne Dreier geblieben. Der Trend der vergangenen Wochen sprach ebenfalls gegen den VfB. Das 0:3, das durch Treffer von Sheraldo Becker, Kevin Behrens und dem Ex-Unioner Genki Haraguchi (Eigentor) hergestellt wurde, erhöhte die Zahl der Niederlagen unter Trainer Bruno Labbadia auf nunmehr sieben, in elf Spielen hat er nur einen Sieg gefeiert. Die 2500 mitgereisten Fans der Stuttgarter reagierten aufgebracht - und zitierten die zunächst zögerlichen VfB-Profis vor den Gästeblock, um ihnen die Meinung zu geigen. "Ich würde sagen, der O-Ton war auf gut Deutsch gesagt, dass wir uns den Arsch aufreißen sollen", berichtete Torwart Fabian Bredlow. Wobei zur Wahrheit gehörte, dass die Stuttgarter in der ersten Halbzeit dominiert hatten. "Wir sind Tabellenletzter, da ist es nun mal so, dass es Kritik hagelt. Es sieht keiner, was positiv ist, sondern nur, was negativ ist", sagte VfB-Coach Bruno Labbadia.

"Den Alleinschuldigen werden wir nicht finden", sagt Sportchef Fabian Wohlgemuth

Das wiederum gehört zu den "Mechanismen des Geschäfts", die evoziert wurden, kaum dass Labbadia mit seinem Kollegen Urs Fischer den Pressekonferenzsaal betreten hatte. Da bekam Labbadia nämlich ausgerechnet von der Bild-Zeitung die Frage gestellt, ob er davon ausgehe, dass er am Sonntag "beim Auslaufen noch Trainer des VfB" sein werde. Ausgerechnet deshalb, weil ebendiese Bild zu diesem Zeitpunkt längst davon ausging, dass Labbadia nicht mehr VfB-Trainer sein würde. Online hatte das Blatt schon verbreitet, dass Labbadia "weg" sei und Markus Gisdol noch vor dem DFB-Pokalspiel am Mittwoch in Nürnberg als Nachfolger kommen solle.

Klare Forderung der Stuttgarter Anhänger: "Werdet Eurer Verantwortung gerecht - stellt alles in Frage" steht auf dem Plakat, das einige von ihnen in Berlin halten. (Foto: Matthias Koch/Imago)

VfB-Sportchef Fabian Wohlgemuth wirkte peinlich berührt, als er darauf angesprochen wurde. Zu einem Dementi ließ er sich aber nicht hinreißen. "Wir werden nicht untätig sein und dem Untergang zuschauen. Wir versuchen, Lösungen zu finden", sagte er, und schob hinterher, dass es keinen Sinn ergebe, "aus dem Frust und der Emotion heraus eine Personaldebatte nach dem Spiel zu führen". Zumal die Vereinsführung beim VfB im bisherigen Verlauf der Saison Freude am Experimentieren gezeigt hat.

"Wenn man die Gesamtgemengelage bewertet: Wir hatten drei Trainer, alle mit einem sehr unterschiedlichen Profil. Das heißt: Den Alleinschuldigen werden wir nicht finden", sagte Wohlgemuth in Anspielung auf den bisherigen Saisonverlauf: Vor Labbadia, der im Dezember installiert wurde, hatten sich bereits Pellegrino Matarazzo und Michael Wimmer an den Stuttgartern versucht. Matarazzo war zu Saisonbeginn in neun Spielen sieglos geblieben, Wimmer hatte immerhin drei Siege aus sechs Partien geholt, ehe er im Januar den Cheftrainerposten bei Austria Wien übernahm. Er wollte nicht Assistent unter Labbadia sein, der seit seinem Amtsantritt nur sechs Punkte aus elf Spielen holen konnte. Am Sonntag leitete Labbadia dennoch erst einmal das Vormittagstraining. Eine Entscheidung in der Trainerfrage wird am Montag erwartet, eine Trennung von Labbadia gilt weiterhin als wahrscheinlichste Option.

Entsprechend steht das VfB-Häusle gerade in lodernden Flammen. Das war vor allem an den Reaktionen der VfB-Fans abzulesen, die zwei große Transparente mitgebracht hatten. Das erste war vor dem Anpfiff zu sehen, als die Stuttgarter sich warm machten: "Schluss mit dem Alptraum! Aufwachen!" Es klappte, wie gesagt, 45 Minuten lang recht gut, drei Großchancen blieben ungenutzt, ein Tor wurde wegen Handspiels annulliert. Nur: "Wenn man vorne steht, ist einem das Glück hold. Bei uns ist das umgekehrt. Es ist enttäuschend", sagte Labbadia. Und, wie anzufügen wäre: vorhersehbar. Zumindest für die Anhänger des VfB. Denn als ihr Verein zur 75. Minute mit 0:3 zurücklag, entrollten sie ein Transparent, das mit großem Vorlauf vorbereitet gewesen sein musste. "Werdet Eurer Verantwortung gerecht! Stellt alles infrage!", war darauf zu lesen, und es entlarvte die Anhänger der Stuttgarter als Geiseln des Defätismus.

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