TSG 1899 Hoffenheim:Krise im Kraichgau

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Zum dritten Mal abstiegsgefährdet in der ersten Liga: Pavel Kaderabek und seine Hoffenheimer Mitspieler müssen diese Saison bangen. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Tabellenplatz 16, mit dem neuen Trainer punktlos, geringes Zuschauerinteresse - und wieder mal Diskussionen um den Einfluss der Beraterfirma Rogon: 15 Jahre nach dem Aufstieg stellt sich die TSG Hoffenheim große Fragen.

Von Christoph Ruf, Sinsheim

Am vergangenen Samstag, nach dem Dortmunder 1:0 im ausverkauften Stadion in Sinsheim, erfuhr eine Gruppe siegestrunkener Gästefans, warum Heimspiele der TSG Hoffenheim nur sehr selten so gut besucht sind. Mit rund 22 700 Besuchern hat die TSG den zweitschlechtesten Schnitt der Bundesliga hinter Union Berlin, das jedoch mit einem größeren Stadion viel mehr Tickets verkaufen könnte. "Den BVB will halt jeder sehen", erklärte also ein freundlicher Familienvater Zugreisenden aus Dortmund, "aber gegen Fürth kamen letztes Jahr hier halt nur 16 000. Ist ja irgendwie auch klar." So klar ist das allerdings gar nicht. Just am Samstag spielte - eine Liga tiefer - der 1. FC Kaiserslautern gegen ebenjene abgestiegenen Fürther. Vor 40 000 Fans.

Die Zuschauerbilanz illustriert eines von den zwei großen Problemen der TSG Hoffenheim: Außerhalb eines kleinen Territoriums im nördlichen Baden-Württemberg interessiert dieser Verein in Deutschland wenige Menschen. Sollte er absteigen, hielte sich das Wehklagen bundesweit in Grenzen. Und selbst Häme sind sie gewohnt in "Hoffe", wo sie in ihrem Vereinslied behaupten, "Lästerei und Neiderei" gingen ihnen "am Arsch vorbei". Schwerer als das Stigma eines Retortenklubs wiegt aus TSG-Sicht die Tatsache, dass man sogar seine echten Fans stets aufs Neue durch guten Fußball an sich binden muss. Womit man bei Hoffenheims zweitem und größtem Problem ist: der aktuellen sportlichen Lage.

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Die ist so prekär wie selten zuvor. Erst zwei Mal in seiner seit 2008 andauernden Erstligageschichte schwebte der Verein überhaupt in Abstiegsgefahr, 2013 und 2016. Beide Male sprang Hoffenheim der Zweitklassigkeit von der Schippe. Wenn dies 2023 erneut gelänge, wäre die Erleichterung groß. Aus bisher acht Spielen im neuen Jahr holte der Tabellen-16. einen Punkt - obwohl seit vier Wochen ein neuer Trainer am Werk ist. Doch unter Pellegrino Matarazzo, der André Breitenreiter ablöste und mit seiner freundlich-sachlichen Art zumindest atmosphärisch punktet, setzte es inzwischen auch schon drei Niederlagen.

Die erste davon, gegen Leverkusen (1:3), war einer der schwächsten Hoffenheimer Erstliga-Auftritte überhaupt. In Augsburg (0:1) gab es Lichtblicke. Und gegen Dortmund (0:1) spielte Hoffenheim zuletzt klar verbessert, kassierte dennoch die fünfte Niederlage in Serie. Spieler und Offizielle besingen indes eine Wende zum Guten: "Wir haben es noch drauf", schlussfolgerte Mittelfeldmann Christoph Baumgartner aus dem BVB-Spiel. Und Matarazzo, der zwischen 2017 und 2019 bereits die U17 der TSG und danach als Co-Trainer auch die Profis gecoacht hatte, setzt auf die Rückkehr einiger Verletzter - und auf Logik: "Im Fußball geht es um Ergebnisse, und unsere Leistung führt uns zum Ergebnis."

Kritik an Berater Wittmann bügelt Dietmar Hopp mit dem Verweis auf hohe Transfererlöse ab

Sportdirektor Alexander Rosen hatte kürzlich nach Breitenreiters Entlassung angekündigt, "größere Fragen zu stellen". Er dürfte auch die medizinische Abteilung gemeint haben. Tatsächlich fällt bei Hoffenheim die Häufung von Muskelverletzungen auf, ebenso mitunter extrem lange Rekonvaleszenzzeiten. Doch es gibt noch andere grundlegende Probleme - obwohl bei der TSG ein Personalkonzept verfolgt wird, für das so mancher Konkurrent als sympathisch gepriesen wird.

Das Konzept sieht vor, angehende Topspieler weiterzuverkaufen, sobald international spielende oder reiche Klubs Interesse bekunden. Verpflichtet werden dafür entwicklungsfähige Spieler, die auch selbst gerne ein paar Millionen kosten dürfen. Traditionell wird in Hoffenheim zudem intensive Nachwuchsarbeit mit gutem Personal und ordentlich Geld betrieben. Doch was andernorts die Basis für kontinuierliches Wachstum ist, will in Sinsheim nicht über längere Zeiträume gelingen. Unter den Trainern Ralf Rangnick und Julian Nagelsmann hatte die TSG nicht nur Erfolg, ihr Spiel strahlte auch etwas Unverwechselbares aus, das neugierig machte. Doch mehrmals folgten auch krasse Fehlgriffe auf der Cheftrainerposition.

Regelmäßig hinterfragt wird zudem die Rolle der Spielerberater-Agentur Rogon, deren Chef Roger Wittmann Hoffenheims Gönner Dietmar Hopp als "Freund" bezeichnet. Kritik an der Machtposition der Agentur bügelt Hopp intern seit jeher mit auf den ersten Blick guten finanziellen Argumenten ab. So konnte die TSG bereits drei Rogon-Spieler - Georginio Rutter, Joelinton und Roberto Firmino - für sattes Geld, jeweils rund 40 Millionen Euro, nach England verkaufen. Stets zu einem Zeitpunkt, der auch für Wittmann günstig war.

Hopp, der nicht unempfänglich dafür ist, wenn Prominente wie Wittmanns Gattin, die frühere Tennisspielerin Anke Huber, auf der selben Ehrentribüne sitzen wie er, freut sich über solche lohnenden Transfers. Kritisch beäugt wird jedoch, dass immer wieder auch Rogon-Spieler bei der TSG auftauchen, für deren Erwerb sich mangels sportlicher Eignung der jeweilige Sportdirektor rechtfertigen muss. Das brachte schon Vorgänger von Rosen mitunter in Erklärungsnot.

All das scheint mittlerweile auch Teilen der TSG-Fans sauer aufzustoßen. Am Samstag hielten sie mehrere Protestplakate hoch, darunter eines, das nicht jedem auf der Haupttribüne gefallen haben dürfte: "Frische Gedanken wagen - Hopp und Rogon hinterfragen."

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