Wolfsburg unterliegt Stuttgart:Der Blick geht nach unten

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Ridle Baku (links) versucht, an Chris Führich vorbeizukommen. (Foto: Selim Sudheimer/Getty Images)

Der VfL Wolfsburg hat in der Theorie viele Möglichkeiten, in der Praxis klappt diese Saison aber wenig. Vor allem im direkten Aufeinandertreffen mit den Überfliegern aus Stuttgart zeigt sich diese Diskrepanz.

Von Thomas Hürner

Eine Umfrage unter allen 18 Bundesligaklubs würde mit großer Wahrscheinlichkeit ergeben, dass mindestens 15 davon so wie der VfB Stuttgart sein wollen. Das liegt zum einen am objektivsten aller Kriterien, der niemals lügenden Tabelle, die den VfB nach dem 3:2-Sieg in Wolfsburg weiterhin als Tabellendritten ausweist - und damit vor jenen 15 Vereinen, die mit hochgezogenen Augenbrauen aufs Ländle schauen. Es scheint ja wirklich alles enorm viel Sinn zu ergeben: Der geruhsame Stuttgarter Trainer Sebastian Hoeneß hat es geschafft, den mitunter aufgeregten Traditionsklub ein wenig zu entschleunigen. Doch auf dem Platz passiert durch seinen Offensivfußball zugleich das exakte Gegenteil. Und dieser Offensivfußball gefällt neutralen Beobachtern ebenso wie den Spielern, die Hoeneß' Ideen nach Herzenslust umsetzen.

So ergibt sich eine sauber durchkomponierte Melange, die manchem Konkurrenten als Vorbild taugen dürfte; zumal jenen, die das kaum zu überschätzende Privileg haben, auf die Finanzmittel eines örtlichen Autokonzerns zugreifen zu können. Der Auftritt des VfB am Samstag hat somit noch einmal auf schonungslose Weise offengelegt, was der VfL Wolfsburg aus seinen in der Theorie wirklich schicken Möglichkeiten macht. Antwort: in der Praxis ausgesprochen wenig.

In der Anklageschrift finden sich Statistiken (Platz 13, neun Spiele ohne Sieg, bislang schlechtester Rückrundenstart der Unternehmensgeschichte) und Beweise, die man sehen und hören kann. Sehen konnte man eine vor allem in der ersten Halbzeit inspirationslose Leistung, deretwegen die Stuttgarter auf dem Rasen immer die Deutungshoheit behielten. Hören konnte man nach Spielende die Ratlosigkeit des Wolfsburger Kapitäns Maximilian Arnold: "Die Saison ist brutal", stellte Arnold fest, aber warum es nicht laufe, das könne er "nicht mal genau sagen". Der Wolfsburger Coach Niko Kovac lieferte dagegen einen Erklärungsansatz, der nahezu wortgleich bereits in den Vorwochen zum Einsatz kam: Zu viele individuelle Fehler hätten mal wieder Punkte gekostet, sagte Kovac, aber grundsätzlich sei man "nah dran".

Die Wolfsburger haben eine teure Mannschaft - der Erfolg bleibt trotzdem aus

Gefährlich nah dran, das sind aus Wolfsburger Sicht mittlerweile die Abstiegsplätze, während sich die Stuttgarter immer weiter in Richtung blühender Europapokal-Landschaften bewegen. Und im direkten Duell war zu besichtigen, wieso: Die Stuttgarter hatten Ball und Gegner stets unter Kontrolle, mitunter zirkulierte die Kugel über 20 bis 30 Stationen durch die eigenen Reihen, ehe ein Wolfsburger Spieler dazwischen kam. Das sah toll aus und erzeugte bei den Wolfsburgern ein permanentes Druckgefühl, das die vom VfL-Coach Kovac kritisierte Fehlerkette zusätzlich begünstigte.

Zuerst traf der unverwüstliche VfB-Stürmer Serhou Guirassy per Kopf (14. Minute), nachdem sich die Stuttgarter temporeich über den Flügel nach vorn kombiniert hatten. Doch wenn es Anschauungsmaterial für die Wolfsburger Saison braucht, dann wurde dieses zu Beginn der zweiten Hälfte produziert: Gefällig sah das aus, wie die Werkself nach vorne spielte, über Kevin Paredes und Lovro Majer kam der durchgestartete Außenverteidiger Joakim Maehle zum Abschluss - und traf zum 1:1 (50.).

Weiter mit Kovac? - Sportdirektor: Wurde "in den letzten Wochen so kommuniziert"

Da war zu sehen, wozu diese teure Mannschaft in der Lage sein müsste, denn allein die an diesem Angriff beteiligten Majer und Maehle haben vor der Saison zusammen das nette Sümmchen von fast 40 Millionen Euro gekostet. Jener Maehle konterkarierte diesen Eindruck aber umgehend beim nächsten Stuttgarter Vorstoß, indem er ein plumpes Foul verursachte. Den daraus resultierenden Elfmeter verwandelte wiederum Guirassy (54., 20. Saisontor im 18. Ligaspiel). Die einseitige Partie war damit faktisch beendet, obwohl Stuttgarts Josha Vagnoman (77.) und der eingewechselte VfL-Stürmer Lukas Nmecha (83.) ebenfalls noch in der Torschützenliste auftauchen.

VfL-Coach Kovac hat in dieser Saison kaum etwas unversucht gelassen, um besser zu machen, was aus Wolfsburger Sicht schlecht läuft: Er hat eine Menge Spieler rein- und herausrotiert, er hat Spielsysteme ausgetauscht und modifiziert, er hat Kapitän Arnold auf die Bank gesetzt und dann wieder zum Führungsspieler erkoren - und in diesem Wust aus Entscheidungen und Rückziehern ist eine Situation entstanden, in der offenkundig kein Vorankommen mehr möglich ist. Wohl auch deshalb sagte Kovac am Samstag noch, der Blick müsse realistischerweise nach unten gerichtet werden, aber seinen Job hat er weiterhin sicher. Dutzende Treuebekenntnisse aus der Wolfsburger Klubführung wurden am Samstag um ein weiteres vom VfL-Sportdirektor Sebastian Schindzielorz ergänzt. Im ZDF-Sportstudio sagte er: Eine Weiterbeschäftigung des Trainers sei "in den letzten Wochen so kommuniziert worden - und dazu stehen wir auch".

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