Darmstadts 0:6:Die Leviten gesungen

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Der Capo der Ultras in Darmstadt redet nach Schlusspfiff auf die Spieler ein. (Foto: Thomas Lohnes/Getty Images)

Der SV Darmstadt 98 erlebt gegen den FC Augsburg ein Fiasko. Nach 29 Minuten steht es 0:5, das 0:6 sehen viele der bereits abgewanderten Fans nicht mehr. Und der Vorsänger der Ultras stellt die Spieler auf dem Rasen zur Rede.

Von Christoph Ruf

Es passiert in der Bundesliga nicht oft, dass die ersten Zuschauer schon Mitte der ersten Halbzeit das Stadion verlassen - am Darmstädter Böllenfalltor war es am Samstag so. Und man konnte es ihnen keinesfalls verdenken.

Nach 29 Minuten stand es bereits 5:0 für den FC Augsburg, und ein Tor war dabei auf groteskere Art und Weise gefallen als das andere. Den ersten Augsburger Treffer durch Philip Tietz legte der komplett überforderte Verteidiger Jannik Müller mit einem schlimmen Fehlpass vor, beim 0:3 durch Ermedin Demirovic erlief der Augsburger Stürmer einen viel zu kurzen Rückpass von Klaus Gjasula. Beide, Gjasula und Müller, wurden nach 27 Minuten ausgewechselt. Und auch bei den anderen drei Treffern durch Fredrik Jensen (12.), Ruben Vargas (24.) und erneut Demirovic (29.) waren keinerlei erwähnenswerte Verteidigungsversuche zu erkennen - dafür aber schlimme Ballverluste, die die Augsburger Offensive ohne größere Mühe ausnutzte.

Der erste Kullerball landete kurz vor der Pause vor dem Augsburger Tor

"Fehler hier, Fehler dort, Blackout hier und da, die erste Halbzeit hat gefühlt drei Stunden gedauert", seufzte der bedauernswerte Keeper Marcel Schuhen. "Das war eine totale Katastrophe, nicht Darmstadt-würdig."

So sahen es auch Dutzende Zuschauer, die schon nach dem 0:4 den Ort des Grauens verließen, nach dem fünften Gegentreffer folgten ein paar hundert weitere, kurz darauf stellten auch die Ultras ihre Gesänge ein. Und nach dem Spiel kam es zu einem Bild, das man selbst in der turbulenten Bundesliga selten sieht. Der Vorsänger der Ultras stand wild gestikulierend auf dem Spielfeld und redete mit einer Lautstärke auf die bedröppelten Darmstädter Spieler ein, die sich nicht hören, aber erahnen ließ. "Es gab deutliche und klare Worte, es war aber überhaupt nicht aggressiv. Das war völlig in Ordnung", sagte Torwart Marcel Schuhen. Auch der Präsident Rüdiger Fritsch war weit davon entfernt, den Anhängern einen Vorwurf zu machen. "Dass die Zuschauer, die hier regelmäßig hierher kommen und häufiger mal mit Enttäuschung heimgehen mussten, nicht Luftballons steigen lassen, ist völlig okay", meinte Fritsch.

Schon während des Spiels hatten die Anhänger den Spielern die Leviten gesungen, es gab Unmutsbekundungen, wie man sie am Böllenfalltor seit Jahren nicht mehr erlebt hat - Wut und Fassungslosigkeit äußerten sich im kompletten Arsenal von Pfui-Rufen bis zu hämischem Applaus, wenn doch mal ein Pass ankam oder Augsburgs Keeper Finn Dahmen den ersten Kullerball aufs Tor bekam. Das war in der 44. Minute der Fall.

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Nein, einen solchen Tag habe er als Profi auch noch nicht erlebt, erzählte Dahmen nach dem Spiel. Und ja, man wolle jetzt "eine kleine Serie starten und auch gegen Heidenheim nächste Woche gewinnen". Zum Spiel nur so viel: Darmstadt habe "etwas unglücklich agiert".

Nicht nur Matej Maglica kann es nicht fassen. (Foto: Harald Bremes/Jan Huebner/Imago)

Nein, die schon so oft erzählte Geschichte von den wackeren Darmstädtern, die sich gegen das scheinbar Unvermeidliche stemmen, ließ sich diesmal nicht wiederholen. Der Tabellenletzte war letztlich sogar zu schlecht, als dass man die Augsburger Leistung fair hätte bewerten können. Der Ball, so viel ließ sich dann doch sagen, lief gut durch die Reihen der Schwaben. Und sie taten konsequent genau das, was wohl jede Mannschaft, die aus professionellen Fußballern besteht, gegen eine solche Defensive getan hätte: Sie liefen die Darmstädter früh in deren Hälfte an und verursachten dadurch im ersten Durchgang immer wieder Bilder, die vermutlich entstehen, wenn es ein Fuchs in den Hühnerstall geschafft hat.

Die nächsten Gegner der Lilien: Leipzig und Bayern

Überhaupt hat sich der Augsburger Ausflug ins Hessische gelohnt - Platz zehn und eine plötzlich recht ordentliche Tordifferenz waren das Tagesresultat. Das hätte noch dramatischer ausfallen können, aber nach dem Seitenwechsel zeigte sich der FCA gnädig und schlug ein Tempo an, das den Darmstädtern entgegenkam und zur Atmosphäre passte: Abgesehen von den fröhlichen Lebenszeichen aus dem ausverkauften Gästeblock herrschte Totenstille am "Bölle", wo es dann doch noch das Schlusskapitel eines denkwürdigen Nachmittags zu bestaunen gab: Philip Tietz schoss mit seinem zweiten Treffer das 6:0 (84.).

Vor diesem Spieltag hatte das Fachmagazin Kicker eine Umfrage veröffentlicht, wonach 2,1 Prozent der Leser an den direkten Klassenerhalt der Lilien glauben. Die 17 810 Zuschauer, die Augenzeugen dieses Spiels wurden, dürften diesen Wert erstaunlich hoch finden. Zumal es kommende Woche nach Leipzig geht. Und dann kommt der FC Bayern.

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