Ein kleines Wunder hätte die Hertha am Ende gebraucht. Eines wie es ausgerechnet der Hamburger SV 2015 mal erlebt hat, als Marcelo Diaz in der Nachspielzeit des zweiten Relegationsspiels per Freistoß den Ausgleich gegen den Karlsruher SC erzielte, wodurch sich der HSV erst in die Verlängerung und schließlich zum Klassenverbleib rettete. So ein Wunder hätte es gebraucht am Donnerstagabend im Berliner Olympiastadion. Doch die Minuten der regulären Spielzeit verrannen, und die Minuten der Nachspielzeit auch. Und es geschah: nichts. Am Ende unterlag der Noch-Bundesligist Hertha BSC im ersten Relegationsspiel dem Noch-Zweitligisten Hamburger SV mit 0:1.
Soll Felix Magath diesmal wirklich scheitern? Die Herthaner waren vor dem Spiel extra in ein kurzes Trainingslager gezogen. Für zwei Tage nahmen sie Quartier im Olympischen Trainingszentrum Kienbaum, rund 40 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt - "weil hier die Sieger herkommen", wie Magath sagte. Olympiasieger und Weltmeister hätten hier trainiert, das rieche man überall, formulierte der Hertha-Trainer etwas doppeldeutig. Bei der Hertha riecht es jetzt trotzdem schwer nach Abstieg.
Relegation zwischen Hertha und Hamburg:Legende in der falschen Stadt
Kaum jemand verkörpert die große Fußballzeit Hamburgs so sehr wie Felix Magath. Nun muss er als Hertha-Trainer verhindern, dass der HSV in die erste Liga zurückkehrt. So viel Nostalgie bringt wohl nur einen nicht aus dem Konzept: Felix Magath.
Diskuswerfer Robert Harting zählt zu den bekanntesten Berliner Sportlern, die sich in Kienbaum auf Wettkämpfe vorbereiteten. Harting konnte zu seinen besten Zeiten den Diskus um die 70 Meter weit werfen, also in etwa von einem Tor bis weit in die gegnerische Hälfte. So einen hatte die Hertha an diesem Abend auch, nachdem Magath schon vor dem Spiel ganz hinten hatte wechseln müssen. Für Stammtorhüter Marcel Lotka, der sich noch nicht von einem Zusammenprall mit einem Dortmunder Torpfosten am vergangenen Samstag erholt hat, kam Oliver Christensen ins Berliner Tor - das erste Saisonspiel für den 23-jährigen Dänen.
Christensen wandelte insofern auf Hartings Spuren, als auch er das Sportgerät gerne weit in die Hamburger Hälfte beförderte, freilich ohne dass der Hertha damit ähnliche Glücksgefühle beschieden gewesen wären wie einst dem Diskuswerfer. Weil andererseits die Hamburger wenig Ehrgeiz zeigten, auch mal Christensens Qualitäten als Torwart zu testen, entwickelte sich über weite Strecken ein Spiel mit vielen zermürbenden Zweikämpfen rund um die Mittellinie, nur sehr gelegentlichen Annäherungen an die Strafraumumrisse sowie einigen Abschlüssen, die man nur mit gutem Willen als Chance registrieren konnte.
Je länger das Spiel dauert, desto mutloser und schlaffer wirkt Magaths Hertha
Die Hertha versuchte es meist über die linke Seite, wo sich Marvin Plattenhardt und Maximilian Mittelstädt ein ums andere Mal um ihre Gegner zu drehen versuchten. Sehr viel mehr als eine kurze Druckphase mit Freistoß und Eckball sowie kurz vor der Pause ein wegen Abseits nicht gegebener Kopfballtreffer von Ishak Belfodil kam dabei nicht heraus. So konnte sich auch Magaths zweite überraschende Personalie nicht recht beweisen. Der Trainer hatte den 19-jährigen Luca Wollschläger gebracht. Ein motivierterer Spieler als er dürfte gegen den HSV kaum auf dem Feld gestanden haben. Denn im Liga-Spiel in Bielefeld hatte Wollschläger eine große Torchance vergeben, weil er nicht mehr damit gerechnet und schon abgedreht hatte, worauf die Hertha sich dann sogar noch ein Gegentor zum 1:1 einfing. Gegen den HSV mühte sich Wollschläger redlich, doch halfen auch seine 1,94 Meter nicht gegen die Lufthoheit der Hamburger bei mehreren Berliner Flanken. Zur Pause ersetzte Magath ihn durch Stefan Jovetic.
Der HSV wiederum kam zwar bisweilen auf der rechten Seite durch, Bakery Jatta spielte dann aber den Ball mehrere Male dorthin, wo ihn niemand wirklich brauchen konnte: hinter das Tor, über den Strafraum hinweg oder gleich zum Gegner. So blieben denn in der ersten Halbzeit mehrere Minuten, in denen Schiedsrichter Harm Osmers einen möglichen Handelfmeter für den HSV am Fernsehmonitor prüfte und schließlich verwarf, die aufregendste Phase.
Auf dem Feld gab es auch in der zweiten Halbzeit zunächst kein Übergewicht bei einer Mannschaft. Auf den Rängen hingegen stellten die Hertha-Anhänger die klare Mehrheit. Ja, logisch, sollte man meinen, in einem Heimspiel. Doch in Berlin hatte es die Sorge gegeben, die HSV-Fans könnten sich allzu breitmachen, nachdem Hertha BSC den freien Ticketverkauf schon früh eröffnet hatte.
Ausdrücklich warnte die Hertha deshalb die Hamburger Fans, dass außerhalb der für die Gäste vorgesehenen Blöcke "das Tragen von Fankleidung des Gästeteams untersagt" sei. Das Ordnungspersonal werde in solchen Fällen den Zutritt verweigern. Solche Rigidität hätte den Ordnungskräften in der Berliner Abwehr auch geholfen, als sie in der 57. Minute Ludovit Reis den Zutritt nicht verweigerten, der den Ball von Miro Muheim bekam und ihn über Christensen hinweg an den langen Pfosten chippte, von wo er ins Netz hoppelte.
Das Tor tat dem Spiel gut - dem Spiel des HSV vor allem. Die Hertha rannte verzweifelt an, aber nicht kreativ, die Hamburger blieben über Konter weitaus gefährlicher und spielten die Angelegenheit ansonsten ziemlich cool runter. Die Hertha braucht das Wunder nun am Montag in Hamburg - aber kein kleines Wunder mehr, sondern ein großes.