Bundesliga: HSV - St. Pauli:Fast auf Augenhöhe

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Die neue Stärke des FC St. Pauli macht das Hamburger Nachholspiel zu einem besonderen Derby. Während St. Pauli 2011 noch ungeschlagen ist, steht der HSV vor einer ungewissen Zukunft.

Jörg Marwedel

Ursprünglich dachte man, Hermann Schulz wäre vor dem Hamburger Derby, Teil zwei, der wichtigste Mann. Schulz ist Greenkeeper beim Hamburger SV und dafür verantwortlich, dass sich nicht wiederholt, was am 6.Februar zur kuriosen Absage des Spiels gegen den FC St. Pauli führte: dass nämlich ein vom Regen total aufgeweichter Rollrasen (der allerdings erst zwei Tage vorher verlegt worden war) den Anpfiff verhindert.

So hatte es im Hamburger Stadion noch vor einer Woche ausgesehen - das Derby fiel dem norddeutschen Schmuddelwetter zum Opfer. (Foto: dpa)

Schulz umsorgt das neue Grün wie ein Friseur. Am Montag hat er die Halme erneut geschnitten, auf 25 bis 28 Millimeter. Er hat die Rasenheizung auf moderate 14 Grad gestellt. "Jetzt müsste die Welt untergehen, damit das Spiel ausfällt", sagte Stadionchef Kurt Krägel am Dienstag über das emotional wichtigste Hamburger Match der Saison.

Gleichwohl ist der Rasen weiter das Thema, über das sich beide Parteien am meisten aufregen. St. Paulis Trainer Holger Stanislawski streut gern mal den Halbsatz ein: "Wenn es denn stattfindet." Noch immer glauben die Paulianer nicht an die Aussage des vom HSV bezahlten Gutachters Yves Kessler, die Absage hätte nichts mit der kurzfristigen Verlegung des Rasens zu tun gehabt, sondern allein mit den 61,6 Litern Regen pro Quadratmeter, die in drei Tagen gefallen waren.

HSV-Coach Armin Veh wiederum entgegnet giftig, St. Pauli bringe es nicht fertig, einen ordentlichen Rasen ins Millerntor-Stadion zu legen: "Die sollen auf dem Teppich bleiben." Tatsächlich besteht der Boden dort momentan mehr aus Sand als aus Gräsern.

Wie unterschiedlich der Rasen auch ist: Noch nie lagen die Mannschaften der beiden so unterschiedlichen Klubs so nahe beieinander; beide trennen nur fünf Plätze in der Tabelle. Weil der HSV mit seiner teuren Mannschaft bislang wenig mit den Spitzenrängen zu tun hat, während der viel ärmere FC St. Pauli mit einer wahren Teamleistung viel weniger mit der Abstiegszone zu tun hat als viele glaubten.

Wer da aufeinander trifft, lässt sich gut an zwei Aussagen ablesen. "Ich muss die Spieler nicht darauf aufmerksam machen, dass sie individuell stärker sind", sagte HSV-Sportchef Bastian Reinhardt, "das wissen sie." Eine gefährliche Aussage, die St. Paulis Trainer Stanislawski so kontert: "Es zählt nicht der Kontoauszug, sondern was man als Masterplan im Kopf hat."

Hamburger Derby
:Regen und Krawalle

Wegen großer Wassermassen wird das Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli abgesagt. Das stößt nicht nur bei Holger Stanislawski auf Unverständnis, auch bei den Fans: Auf der Reeperbahn kommt es zu Ausschreitungen.

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Der FC St. Pauli geht in dieses lokale Duell als im Jahr 2011 noch ungeschlagener Bundesligist, der mit einem Sieg sogar die beste Mannschaft der Rückrunde wäre. Beim 1:1 in der Hinrunde war der Außenseiter auf eigenem Geläuf die bessere Mannschaft. Mittelfeldspieler Fabian Boll, der damals das 1:0 für St. Pauli erzielte, wird trotz einer Zehenprellung dabei sein. "Solange mir kein Bein fehlt, werde ich für das Derby nicht ausfallen", hatte er schon unmittelbar nach dem 3:1 gegen Borussia Mönchengladbach am Samstag gesagt. Beste Derby-Rhetorik.

Doch auch beim HSV ist man wieder besserer Dinge, obwohl der Verein derzeit in etwa so unaufgeräumt ist wie das Zimmer eines Pubertierenden. Klubchef Bernd Hoffmann, Sportchef Reinhardt, Trainer Veh - niemand weiß, wie es mit ihnen weitergeht, was natürlich lähmende Auswirkungen auf die Planungen hat.

Um so überraschender sind da die vier Siege in den vergangenen fünf Spielen (zuletzt ein 1:0 in Wolfsburg), die schon wieder Träume von Europa reifen lassen. Veh kann endlich unter 22 fitten Profis auswählen und man darf gespannt sein, ob er die Stammplatzgarantie für Ruud van Nistelrooy nach dessen zuletzt mäßigen Leistungen wieder einkassiert.

Wer nicht wenig mit der Genesung des 2003 fast insolvent gegangenen FC St. Pauli und diesem Derby auf Augenhöhe zu tun hat, wurde pünktlich vor dem Spiel bei der "Hamburger Sportgala" für sein "Lebenswerk" geehrt: Uli Hoeneß. In seiner launigen Laudatio unter dem Motto "Schönes über Hoeneß" hat St. Paulis Sportchef Helmut Schulte dem heutigen Präsidenten des FC Bayern ("Aus einer Feindschaft wurde Freundschaft") noch einmal Dank gesagt für das damalige "Retterspiel", nachdem Hoeneß die Einnahmen dieser Freundschaftspartie ausschließlich dem FC St. Pauli zukommen ließ. Am liebsten, so Schulte, hätte man dem Münchner die Ehrenpräsidentschaft angetragen, was aber laut Vereinssatzung leider nicht gehe.

Inzwischen sind die Erfolge des zu neuer sportlicher Stärke gewachsenen Rivalen für manche HSV-Fans offenbar so beängstigend, dass sie vermehrt St. Pauli-Anhänger und sogar die Hauptkneipe der Pauli-Fans "Jolly Roger" überfielen. Auch deshalb ist die Begegnung als Risikospiel eingestuft worden, das 1000 Polizeibeamte begleiten. Zudem wird die HSV-Arena vorher nach Feuerwerkskörpern und Rauchbomben abgesucht.

Nur die Trainer haben längst Freundschaft geschlossen. "Ich könnte mir Stani irgendwann auch beim HSV vorstellen", sagt Veh, "die Klasse hätte er." Wenn sie ihre Verabredung nicht vergessen, werden beide das Spiel im gleichen Gewand verfolgen: in einem grauen Anzug, ganz festlich.

© SZ vom 16.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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