Borussia Dortmund:Wie bei Wintereinbruch auf der A1

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Selbst gegen den langjährigen Lieblingsgegner reicht's nicht mehr: Die Dortmunder Mats Hummels (links) und Thomas Delaney verzweifeln in Freiburg. (Foto: Tom Weller/dpa)

Die Mängelliste des BVB ist lang: vom Torwart über die instabile Defensive bis zur Unwucht zwischen Supertalenten und grundseriösen Profis. Ausbaden muss sie nun vor allem Trainer Terzic.

Von Freddie Röckenhaus, Freiburg/Dortmund

Sekunden, nachdem es mal wieder im Tor von Borussia Dortmund eingeschlagen hatte, fingen die Kameras die Miene von Mats Hummels ein. Und wer sich ein bisschen für Kunst interessiert oder ein gutes Lesebuch im Deutschunterricht hatte, den erinnerte diese Miene an das berühmte Gemälde "Der Schrei" von Edvard Munch.

So ein Augenblick von blanker Verzweiflung, den der Maler da eingefroren hat, ist im richtigen Leben meist schnell wieder unter Kontrolle. Und als das Spiel vorbei war, hatte der Abwehrchef des BVB bereits wieder die Fensterläden der Vernunft heruntergelassen. Dortmunds gefühlter Kapitän Hummels war zurück im Modus seiner Erklärungskunst: "Man muss jetzt nicht so tun, als wären bei den Spielen, die wir zuletzt verloren haben, als wären da die Gegner besser gewesen als wir."

Das mag auf eine gewisse Art sogar stimmen. Doch das 1:2 des ehemaligen Meisterschafts-Anwärters beim wohlsortierten, hoch engagierten SC Freiburg, der zum ersten Mal in zehn Jahren unter Trainer Christian Streich den BVB besiegte - dies war nun schon Niederlage Nummer acht in dieser Saison. Häufiger verloren haben nur die Abstiegskandidaten. Die Verzweiflung im Gesicht von Hummels dokumentierte deshalb eher einen neuerlichen Tiefpunkt im generellen Niedergang, und sie war weniger die oberflächliche Reaktion auf die jüngsten beiden "individuellen Fehler", an denen Hummels und andere Dortmunder das 1:2 festmachen wollten. Nach außen läuft beim BVB der Versuch, die Krise wegzureden. Emre Can, wie Hummels einer der robusten Haudegen im Team, griff zu ähnlichen Worten: "Ich finde, wir haben nicht so schlecht gespielt."

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In der anstehenden Pokalrunde kommt es zu zwei Bundesliga-Duellen. Viertligist Rot-Weiss Essen empfängt Holstein Kiel.

Minuten vorm Anpfiff in Freiburg hatte Lizenzspieler-Chef Sebastian Kehl noch gutgelaunt erzählt, man sei "total happy" mit der Mannschaft und der Komposition des Kaders. Man wolle jetzt eine Siegesserie starten. Ein paar Tagen zuvor, darauf angesprochen, ob die verunsicherte Truppe überhaupt noch trainierbar sei, hatte BVB-Sportdirektor Michael Zorc ungewöhnlich laut gewettert: Schon die Frage sei eine Frechheit. Schließlich sei die fast gleiche Mannschaft zuletzt zweimal souverän Vizemeister geworden. Dumm nur, dass die Champions-League-Plätze Jahr für Jahr neu ausgespielt werden - und der BVB gerade Sechster ist.

Wenn zum Unglück auch noch Pech kommt: Marvin Hitz legt sich das zweite Dortmunder Gegentor in Freiburg selbst ins Netz. (Foto: Hahne/Eibner/imago)

Hinter verschlossenen Türen wird in Dortmund nicht ganz so heftig abgelenkt. Trainer Edin Terzic ließ das wahre Ausmaß der Probleme erkennen: "Es gibt nicht den Hebel, den man umlegen könnte, oder den einen Knopf, den man drücken müsste. Wir müssen hart arbeiten und positiv bleiben." Terzic forderte zudem, dass die Spieler bereit sein müssten, "den Extra-Meter zu gehen". Vor einer Antwort auf die Frage, ob sie das derzeit nicht immer täten, drückte er sich. Schließlich hat er es als Cheftrainer-Novize mit einer explosiven Mischung zu tun, aus arrivierten Stars wie Hummels, Can oder Kapitän Marco Reus, die selbst nicht immer halten, was ihre Lorbeeren von einst versprechen; und aus irrlichternden Super-Talenten, die nach Feierabend die Premier League schauen und die Trends am Transfermarkt studieren. Persönliche Formkrisen und eigene Fehlschüsse sind schließlich dazu da, verdrängt zu werden.

Die Liste der Baustellen in Dortmund wirkt so lang wie die der Staumeldungen von der A1 bei Wintereinbruch. Und sie beginnt ganz hinten im Tor: Weder der gerade verletzte Roman Bürki noch sein Schweizer Landsmann Marwin Hitz, der in Freiburg bei beiden Gegentoren unglücklich aussah, stellen mehr als Mittelmaß dar. Die Probleme von Bürki in der Strafraum-Beherrschung und bei Distanzschüssen sind in Dortmund schon länger Thema. Aber in all der Euphorie um die vielen jungen Offensiv-Magier in Europas angeblich größter Talentschmiede, wurde die Dauer-Baustelle Torwart links liegen gelassen. Während ein gewisser Manuel Neuer wiederkehrend Spiele für den FC Bayern allein gewinnt, verlängerte Dortmund den Vertrag mit Bürki gerade bis 2023. Zugleich sucht der Klub nun einen Nachfolger, aber der käme erst im Sommer.

Dortmunds Defensivverhalten ist generell das auffälligste Manko. Rund um Hummels, der im allgemeinen Tohuwabohu bisweilen selbst Probleme hat, gibt es offenbar zu wenige Automatismen. Auf beiden Außenbahnen scheint keiner der Verteidiger defensiv wirklich auf der Höhe der Zeit zu sein, im zentralen Bereich leisten sich Hummels- Partner Manuel Akanji und im Wechsel die zentralen Mittelfeldspieler haarsträubende Nachlässigkeiten. Hinzu kommt die schwache Bilanz bei der Abwehr von Standardsituationen. Immer wieder taucht die Frage auf, was in den zweieinhalb Jahren unter Terzics Vorgänger Lucien Favre geübt wurde. Wo eine Woche zuvor Akanji den Augsburger André Hahn zum erfolgreichen Torschuss ansetzen ließ, wirkte diesmal Thomas Delaney wie versteinert, als Freiburgs Wooyeong Jeong zum 1:0 ausholte. Immer wieder dieselben Muster, als würde jemand einen Lehrfilm drehen über häufige Fehler.

Trost unter Kollegen: SC-Trainer Streich (links) und BVB-Coach Terzic. (Foto: Thomas Kienzle/AFP)

Hummels monierte nicht zum ersten Mal, dass auch im Angriff der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag stehe. In Freiburg nahm Terzic schon zur Halbzeit den indisponierten Nationalspieler Julian Brandt vom Feld, und nach einer Stunde auch Kapitän Reus, von dem man mittlerweile weiß, dass Auswechselungen bei ihm wie Majestätsbeleidigungen ankommen. Von Brandt und Reus aber wird die Regie übers Spiel erwartet. Nebendran daddelten die jungen und ganz jungen Mitspieler daher, ohne Durchschlagskraft, meist ohne Zug zum Tor, ohne Mut zum Abschluss.

Vielleicht stimmt die Mischung nicht - mit vielen Talenten, aber wenigen harten Berufsfußballern

Selbst Erling Haaland geht an solchen Tagen unter, weil er ein Spiel nicht so an sich reißen kann wie in München Lewandowski oder Müller. Dazu reicht das Repertoire des 20-Jährigen noch nicht aus. Der gerade 18 gewordene Gio Reyna hat an Kreativiät verloren, der 17-jährige Jude Bellingham an Entschlossenheit. Jadon Sancho, vorige Saison mit 20 Toren und 20 Assists auffällig, sehen sie beim BVB hingegen schon in einer Anführer-Rolle. Vielleicht, so hört man im Verein, sei der Engländer nach dem im Sommer gescheiterten Wechsel zu Manchester United nicht mehr ganz bei der Sache. Vielleicht muss man aber auch ihm zugestehen, dass er erst 20 ist.

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Von Christoph Ruf

Ausbaden muss diese erstaunliche Unwucht des Kaders der gerade installierte Trainer. Die Defizite aus der Favre-Ära, die der BVB früher hätte beenden können, hätte man die Defensivprobleme sowie den Stillstand bei jüngeren Spielern klarer angesprochen, soll nun also Terzic irgendwie im Vorbeilaufen richten. Vielleicht stimmt aber einfach die Mischung nicht: mit vielen Supertalenten auf der Durchreise ins Wolkenkuckucksheim, aber mit zu wenigen grundsoliden, konsequenten Berufsfußballern, die ihren Job machen.

Als Geschäftsmodell mag das beim BVB weiter funktionieren, selbst unter den erschwerten Bedingungen von Corona hat der Kader einen hohen Wert. Aber "entscheidend is auf'm Platz", wie Dortmunds Fünfzigerjahre-Idol Adi Preißler zu sagen pflegte. Und da ist gerade Hängen im Schacht.

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