Niederlage gegen Werder Bremen:Über Union Berlin braut sich ganz schön was zusammen

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Am Samstag immer knapp vorn: Jens Stage (links) und der SV Werder gewannen gegen Brenden Aaronson und den 1. FC Union Berlin. (Foto: Marcel von Fehrn/Imago)

Aus der Schwächephase des einstigen Vorzeigeklubs ist längst eine manifeste Krise geworden - die Niederlage bei Werder Bremen bestätigt eine verhängnisvolle Eigendynamik.

Von Thomas Hürner, Bremen

Der Himmel muss ständig herhalten für das, was auf dem Fußballplatz passiert, und mit Sicherheit wurde er bereits viel zu oft als Symbol verwendet. Diesmal war der Himmel aber schon selbst schuld. Den ganzen Tag hatte hoch oben eine graue Wolkendecke gehangen, von der noch dazu dieser fiese Sprühregen herunterkam, den es so nur im Norden der Republik gibt. Doch dann, kurz nach 17 Uhr am Samstag, hörte es auf einmal auf zu tröpfeln, der Himmel klarte zumindest hauchzart auf - und genau unter dem Licht, das aufs Bremer Weserstadion herunterstrahlte, stand der Stürmer Marvin Ducksch und hielt sich den Finger vor den Mund.

Sein berühmter Torjubel sieht eigentlich die Hände an den Ohren, abgespreizte Finger und eine ausgestreckte Zunge vor, die Geste von Samstag war dagegen die unter Fußballern beliebte Grußbotschaft an Kritiker und Nörgler. Doch die Fans des SV Werder waren für negative Assoziationen offenkundig genauso wenig empfänglich wie eine höhere Macht aus dem norddeutschen Himmelreich: Ducksch hatte soeben das 2:0 gegen den 1. FC Union Berlin erzielt, der Treffer in der 75. Minute war gleichbedeutend mit dem Endstand. Und nicht nur wegen der quasi auf die Millisekunde getimten Symbolik war allen Anwesenden im Weserstadion klar: Ducksch hatte mit diesem herrlichen Lupfertor soeben den Bremer Sieg besiegelt. Ein Sieg, der für Werder immens wichtig war und für Union eine fatale Botschaft bereithielt: Die Berliner Schwächephase hat sich endgültig zur manifesten Krise ausgewachsen.

Werder ist der im Kalenderjahr 2023 schwächste Bundesligaklub

In allen Fußballsaisons steckt die Gemeinheit, dass sie irgendwann auf Kippmomente zusteuern, die eine Dynamik verfestigen können, durch die Mannschaften nach oben oder nach unten gezogen werden. Union etwa wurde einige Jahre von fast schon gespenstischen Kräften nach oben gezogen und steht nun bei wettbewerbsübergreifend zehn Niederlagen. Über dem jüngst noch so strahlenden Vorzeigeklub braut sich ganz schön was zusammen, eine gefährliche Stimmungslage, die der Berliner Trainer Urs Fischer am Samstag mit den Adjektiven "verunsichert und verkrampft" zusammenfasste.

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Bei Werder dagegen, dem im Kalenderjahr 2023 schwächsten Bundesligaklub, zeugten die Deutungen der Beteiligten von einer Zuversicht, die Dinge jetzt langsam wieder geregelt zu bekommen. Ducksch etwa freute sich über eine "sehr gute Defensivleistung", der Mittelfeldmann Leonardo Bittencourt lobte ein "erwachsenes" Bremer Team - und Trainer Ole Werner, der trotz der langen Schwächephase nie zur Disposition stand und dessen Name vor dem Anpfiff mal wieder am lautesten von den Fans gerufen wurde, war "total zufrieden mit dem Auftreten der Mannschaft". Seriöse Abwehrarbeit, Reife, ein stolzer Chefcoach: Es ist nicht lange her, da wurde derlei vom 1. FC Union und über Trainer Urs Fischer gemeldet. Und kein Wunder also, dass sie sich mit solchen Selbstzuschreibungen nun auch beim SV Werder aufrichten.

Für die Bremer, da macht am Osterdeich keiner einen Hehl daraus, wird es auch in dieser Saison wieder darum gehen, sich möglichst bald von den gefährlichen Tabellenregionen abzusetzen. Die realistische Lageeinschätzung hatte zuletzt allerdings kaum zur Realität auf dem Rasen gepasst: In der ersten Liga verbleiben in der Regel jene Klubs, die ein stabiles Sicherheitskonzept haben. Werder dagegen hatte in acht Spielen 18 Gegentreffer kassiert, davon acht gegen die Aufsteiger Heidenheim und Darmstadt - zu viel für die eigenen Ansprüche, zu viel für eine sorgenfreie Spielzeit.

In der Vorwoche, bei der knappen 1:0-Niederlage in Dortmund, war dann aus Bremer Sicht endlich jene defensive Stabilität zu erkennen, die es für den Klassenverbleib brauchen wird. Dieser Fortschritt wurde ins Spiel gegen Union transportiert, was Werner unter anderem mit einem banalen Fakt erklärte: Der Bremer Coach hatte zuletzt ständig seine Besetzung in der Abwehr ändern müssen, was zur Folge hatte, dass die individuellen Formkurven so einigen Schwankungen unterlagen.

Am Samstag bildeten nun - wie in Dortmund - Marko Friedl, Milos Veljkovic und Anthony Jung die Dreierkette, eine Kontinuität, die in zwei Richtungen wirkte: nach hinten, wo (gegen mal wieder erschreckend inspirationslose Berliner) keine nennenswerten Gefahrensituationen entstanden. Und nach vorne, wo (gegen eine defensiv mitunter kaum wiederzuerkennende Fischer-Elf) immer wieder so zielgerichtet in den Strafraum kombiniert wurde, wie das nur Teams können, deren Offensivkönnen aus dem Zutrauen in die Hinterleute erwächst.

"Wir wussten, dass die Unioner eine richtige Männertruppe sind", sagte Bittencourt, daher habe man die "Beine in die Hand nehmen und marschieren" müssen. Das klang beinahe so, als hätten sich die Bremer von den Berlinern abgeschaut, wie man jene Stabilität schafft, aus der heraus mal die Ambition für mehr werden kann.

Was schiefgehen kann, geht bei Union aktuell schief

In der Bremer Geschäftsstelle jedenfalls ist das schon länger das erklärte Ansinnen. Die einstige Führungsrolle von Traditionsklubs wie Werder, heißt es dort, hätten nicht nur quersubventionierte Retortenklubs, sondern auch spannende Nischenprojekte wie Union eingenommen. Wobei die Wolfsburgs und Leipzigs finanziell zu mächtig seien, um sie jemals wieder einzuholen. Was Union in den vergangenen Jahren vollbracht hat (im Oberhaus stabilisiert, dann kontinuierlich besser geworden), das trauen sie sich bei Werder theoretisch auch zu - nur halt mit einem Fußball, der zuallererst von vorne her gedacht wird und somit zum geschichtsträchtigen Offensivstandort passt.

Bei Union hingegen haben sie mit den Jahren einen reagierenden Stil etabliert, der zuvorderst den Gegner mürbe machen soll - und vielleicht liegt darin eine Erklärung, warum die Fischer-Elf gerade keine Mittel findet, um die zuletzt verhängnisvolle Eigendynamik umzukehren. Was schiefgehen kann, geht schief, so war das auch in Bremen: Unions Verteidiger Robin Knoche köpfelte einen Ducksch-Freistoß ins eigene Tor (38. Minute). Angreifer Sheraldo Becker schubste während der Partie einen Bremer Balljungen weg und muss nun mit einer nachträglichen Sperre rechnen. Der nach Verletzung sehnsüchtig zurückerwarte Mittelfeldmann Rani Khedira sah wegen einer (unabsichtlichen) Kung-Fu-Einlage Rot (60). Wer nach Symbolik für die Lage des 1. FC Union suchte, wurde aber nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben fündig: Ein Berliner Assistenztrainer knickte in der Halbzeit auf dem Weg in die Kabine um. Diagnose: Patellasehnenriss. Er fällt vorerst aus.

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