Bremen und Polizeikosten:Ein widerspenstiges Dorf gegen den mächtigen Fußball

Lesezeit: 4 min

  • Dafür, dass es so klein ist, hat das Bundesland Bremen im Fußball schon viel Wirbel gemacht.
  • Das in dritter Instanz gefällte Urteil zur Beteiligung der Klubs an Sicherheitskosten ist das nächste Kapitel der kernigen Beziehung.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Pferde galoppieren im Zustand höchster Erregung über den Radweg an der Weser, ihre Leiber bilden einen Schutzwall gegen den schwarzen Block von Menschen, den sie eskortieren. Mannschaftswagen der Polizei jagen mit Sirene und Blaulicht zwischen Hauptbahnhof und Weserstadion durch abgesperrte Straßen, vor den Eingangstoren der Arena trennen Hunderte behelmter Bereitschaftspolizisten die Fans beider Lager. Im Stadion fliegen gefährliche Feuerwerksraketen aus dem Gästeblock in den Unterrang, Polizei marschiert vor dem Zaun auf. Und nach dem Spiel wird es auch mindestens Mitternacht, ehe die Martinshörner verhallen und die letzte Schlägerei vor den Freiluftkneipen im Viertel geschlichtet ist.

So fühlt sich ein Hochrisikospiel in Bremen an - schön ist anders.

Sieben solcher Partien des ortsansässigen Fußball-Erstligisten Werder Bremen hat es seit 2015 gegeben, vier allein gegen den ewigen Herzensrivalen Hamburger SV (der gerade in Liga zwei pausiert), die anderen gegen Hannover, Frankfurt, Mönchengladbach. Sieben Mal hat die Polizei in der Hansestadt Zusatzschichten fahren müssen, Kollegen aus anderen Bundesländern bestellt, berittene Einheiten angefordert, Überstunden aufgeschrieben. Sieben Mal hat sie für den Schutz der Veranstaltung und für den Schutz derer, die einfach nur mal zum Fußball wollen, viel mehr Aufwand betreiben müssen als bei üblichen Bundesligaspielen, bei denen sich die Animositäten auf ein paar zotige Schlachtgesänge zwischen den Fanblocks beschränken. Sieben Mal Ausnahmezustand, sieben Mal Mehrkosten - und sieben Mal hat das Land Bremen der Deutschen Fußball Liga (DFL) dafür eine Rechnung geschrieben. Die Summen addieren sich inzwischen auf mehr als zwei Millionen Euro.

Urteil gegen die DFL
:Müssen alle Profi-Klubs die Polizeikosten übernehmen?

Und wer entscheidet eigentlich, welches Spiel ein Risikospiel ist? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Polizeikosten-Urteil.

Von Johannes Aumüller

Und das, so hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verkündet, ist vom Grundsatz her rechtens. Die Deutsche Fußball Liga (DFL), als Dachverband aller Profiklubs Veranstalter der Bundesliga, hatte gleich gegen die erste dieser Rechnungen (425 718,11 Euro) anlässlich der Partie Werder - HSV vom 19. April 2015 geklagt. Ein erstes Verfahren vor dem Verwaltungsgericht der Hansestadt hatte die DFL gewonnen, in nächster Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht aber verloren. Zwischen Bremen und der DFL stand es 1:1, das Entscheidungsspiel auf neutralem Platz in Leipzig gewann Bremen. Passenderweise wurde erstmals ein solches Finale - eine Urteilsverkündung des Bundesverwaltungsgerichts - live übertragen. Am Freitag im Free-TV.

Nun muss die DFL zwar immer noch nicht bezahlen, weil noch ein paar Posten auf dieser Rechnung erneut vor einem Bremer Gericht geprüft werden müssen, aber der Tenor des Spruchs ist eindeutig. Wolfgang Bier, Vorsitzender des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts, sagte: "Für den besonderen Polizeiaufwand aus Anlass einer kommerziellen Hochrisiko-Veranstaltung darf grundsätzlich eine Gebühr erhoben werden." Würde die Polizei diese Spiele nicht schützen, erklärte der Richter, würden Ansehen und Gewinn der Veranstalter sinken, die Show womöglich gar ausfallen. Liga-Präsident Reinhard Rauball argumentierte, die Polizei schütze nicht die Veranstaltung, sondern die Allgemeinheit - wie es auch ihr Job ist.

Dafür, dass Bremen so ein winzig kleines Land ist, ja, nicht mal wirklich eine große Stadt, hat es im Fußball schon ganz schön viel Wirbel verursacht. Sportlich zählt Werder zum Urschleim der Bundesliga, nur eine Saison haben die Grün-Weißen wegen eines Abstiegs verpasst, vier Mal Meister sind sie geworden, ewige Pokal-Könner sowieso, und immer wieder schaffen sie es, im rauen Norden mit recht bescheidenen Mitteln herzerwärmenden Fußball zu spielen. Die von Strukturkrisen und Finanznöten gebeutelte Stadt hat in Werder von jeher einen 1-a-Werbeträger. Auch deswegen reagierte der Verein verstimmt, als sich die Stadtregierung gegen die Klubs - und damit gegen den eigenen Verein - stellte. Werder kämpft nicht auf Seiten Bremens, sondern für die DFL in dieser Sache.

Das Verhältnis zum organisierten Fußball ist aus Gesamtbremer Sicht schon immer kompliziert. Legendär ist die Feindschaft zwischen dem FC Bayern und dem SV Werder, ausgetragen zwischen den damaligen Alpha-Managern Willi Lemke und Uli Hoeneß. Als Wettkampf "Fahrrad gegen Ferrari" klassifizierte der linke Lemke das ewige Duell mit den Münchner Großkapitalisten und kritisierte auch immer wieder deren Einfluss auf die Vermarktungs- und Verteilungspläne im Ligafußball. Als Lemke aus dem Fußball aus- und in die Politik einstieg, war Intimfeind Hoeneß regelrecht erleichtert, bedauerte fortan aber die Kinder in der Hansestadt - Lemke wurde Bildungssenator.

Unvergessen ist auch der heilige Zorn des ehemaligen Vereinspräsidenten Franz Böhmert, nachdem Bremen mit seiner Bewerbung als Spielort für die WM 2006 gescheitert war: "Der DFB ist für mich tot", polterte Böhmert und schmollte für den Rest seines Lebens. Heute ist die Straße zum Weserstadion nach ihm benannt.

Es ist ein bisschen wie bei den Römern und den Galliern, sie schlagen und sie vertragen sich, aber nie trauen sie sich über den Weg. Und auch in der aktuellen Sache flogen früh die Fetzen: 2015, nur Tage nach der Entscheidung des Bremer Senats, den Fußball an Polizeikosten beteiligen zu wollen, verlegte der Deutsche Fußball-Bund ein bereits der Hansestadt versprochenes Länderspiel nach Nürnberg. Die Bremer Politik wertete das als glatte Erpressung, der Stadiongesellschaft, an der wiederum Werder beteiligt ist, entstand ein hoher sechsstelliger Schaden.

Polizeikosten im Fußball
:"Das kann die DFL aus der Portokasse bezahlen"

Diesen Freitag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, wer die Polizeikosten bei Hochrisikospielen tragen muss. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer erklärt, warum er den Fußball in der Pflicht sieht.

Interview von Tim Brack

Rauball erwägt, den Druck auf Bremen zu erhöhen

Weder das Gemeinwesen Bremens noch der allerbeste Fußballverein der Stadt schwimmen im Geld. Im Gegenteil, als Haushaltsnotlageland muss der bis über den Stehkragen verschuldete Stadtstaat ähnlich kreative Lösungen finden wie der Bundesligist auf dem durchgedrehten Transfermarkt. Das im Oktober 2014 beschlossene Landesgesetz "für die Erhebung von Polizeimehrkosten bei gewinnorientierten Großveranstaltungen mit zu erwartenden Gewalthandlungen", Größenordnung 5000 Besucher aufwärts, ist so eine kreative Lösung. Allerdings: Mehr als 5000 Zuschauer und gewaltbereite Kundschaft gibt es in der kleinen Großstadt nur bei Bundesligaspielen von Werder. Dessen Schutzmacht DFL wird wohl die Kosten bald an den Klub weiterleiten.

Während der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer, der über einen majestixhaften Schnurrbart verfügt, der DFL nach dem Leipziger Richterspruch empfahl zu "akzeptieren, dass sie das Spiel verloren hat", erwog Liga-Chef Rauball, den Druck auf das widerspenstige Dorf in der norddeutschen Tiefebene zu erhöhen, indem er Werder die möglichen Kosten aufdrücken will. Die Botschaft erreichte die Spitze des Bremer Vereins ausgerechnet in Frankfurt, bei einer Regionalkonferenz der DFL. Am Morgen hatten die Teilnehmer das Sitzungsprogramm kurz unterbrochen, fürs Public Viewing vom Leipziger Urteil. Polizeischutz war für die brisante Veranstaltung aber nicht nötig.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungPolizeikosten im Fußball
:Wer kickt, der zahlt

Fußballklubs müssen sich an den Kosten für Polizeieinsätze bei Risikospielen beteiligen - das ist richtig. Schließlich ist der Fußball nur erfolgreich, wenn die Spiele friedlich bleiben.

Kommentar von Johannes Aumüller

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: