Tennis in Stuttgart:Struff verliert Finale - und ist dennoch glücklich

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"Die Stimmung ist Weltklasse": Jan-Lennard Struff genießt in Stuttgart seine Popularität. (Foto: Angelika Warmuth/Reuters)

In einem packenden Duell mit Frances Tiafoe hat Jan-Lennard Struff sogar einen Matchball - und verpasst doch zum dritten Mal in einem Endspiel den Titel. Die Vorzeichen für Wimbledon stehen aber gut.

Von Gerald Kleffmann

Es hatte sich während der Woche schon angebahnt, dass da eine besondere Beziehung entsteht. Anfangs waren die obligatorischen "Struffi!"-Rufe zu vernehmen, die immer dann ertönen, wenn Jan-Lennard Struff hierzulande spielt. Als der 33-Jährige am Freitag im Viertelfinale den Franzosen Richard Gasquet besiegte, sangen Zuschauer einen Evergreen mit der Zeile "Oh, wie ist das schön!". Während jener Partie hatte ein in der prallen Sonne sitzender Mann ganz oben auf der Tribüne auch wiederholt "Come on, Struffi, let's go, baby!" gerufen.

Später widmete sich Struff minutenlang dem Autogrammeschreiben, Bälle, Kappen, Shirts, alles, was ihm gereicht wurde, signierte er. Und als ein Besucher im Stadion Struff das Handy gab, damit dieser ein Selfie mit ihm machen solle, hatte Struff ein Problem: Nun wollten das 15 andere auch. Er hat gegrinst und alle Wünsche erfüllt. Am Samstag, als er auch noch das Halbfinale gewann, war es nicht viel anders, weshalb der neue deutsche Tennismann des Volkes von "geilem Support" schwärmte: "Ich find's immer super in Deutschland, die Stimmung ist immer Weltklasse."

Am Sonntag verpasste Struff nur den letzten Schritt, doch so, wie die Zuschauer ihm trotzdem zujubelten, als er bei der Siegerehrung aufgerufen wurde, darf man festhalten: Stuttgart war diesmal Struffi-Land. Auch wenn der 33-Jährige aus Warstein im Finale der Boss Open gegen den Weltranglisten-Zwölften France Tiafoe, 25, aus den USA knapp 6:4, 6:7 (1), 6:7 (8) verlor. Im Tie-Break des dritten Satzes vergab er einen Matchball. In der Weltrangliste wird Struff ab Montag so hoch stehen wie noch nie - auf Position 21. Ein anderer deutscher Erfolg blieb ebenfalls aus. Kevin Krawietz, 31, und Tim Pütz, 35, verloren das Doppelfinale gegen die Kroaten Nikola Mektic und Mate Pavic 6:7 (2), 3:6.

In München verlor er im Finale gegen Nikolos Bassilaschwili, in Madrid gegen Carlos Alcaraz

Struff hat damit in seinem dritten Finale, das er als Profi seit 2009 bei einem ATP-Turnier erreichte, den von ihm ersehnten ersten Titel im Einzel erneut verpasst. Im Doppel beendete er dreimal als Sieger eine Veranstaltung der höchsten Profitour, in Tokio (2018), Auckland (2019, beide Mal mit Ben McLachlan) und Metz (2019 mit Robert Lindstedt). 2021 hatte Struff in München im letzten Match des Turniers gegen den Georgier Nikolos Bassilaschwili verloren, damals wurde das Finale aufgrund der Corona-Pandemie ohne Besucher ausgetragen. Im Mai in Madrid staunten die anwesenden Zuschauer, wer dieser so gekonnt angreifende Hüne aus Alemania ist, der ihren Liebling Carlos Alcaraz an den Rand einer Niederlage brachte. Struff war aber, natürlich, wie immer ein fairer Verlierer. Den Zuschauern dankte er am Sonntag am Mikrofon für das Anfeuern: "Es hat mir unfassbar viel bedeutet, auch wenn das hier jetzt ein Heartbreak ist, dieses Match zu verlieren."

Im hochklassigen Finale gegen Tiafoe, den Alexander Zverev kürzlich bei den French Open in der dritten Runde bezwungen hatte, begann Struff sofort dominant, returnierte besser, sein mächtiger Aufschlag funktionierte. Unterstützt wurde Struff von Trainer Carsten Arriens und Physiotherapeut Uwe Liedtke. Während der Woche waren auch seine Freundin, die beiden Kleinkinder sowie seine Mutter anwesend, zum Finale reiste noch der Vater an. Struff wollte aber, das betonte er, ansonsten "nicht eine Riesenentourage einfliegen lassen", denn ihm war eines wichtig gewesen: "Ich möchte meine Routine beibehalten." Er ist, das mag man manchmal nicht vermuten, weil er abseits des Platzes so entspannt wie ein Yogalehrer wirkt, ein sehr gewissenhafter Profi.

Immer für ein Späßchen zu haben: der Amerikaner Frances Tiafoe grinste nach einem kuriosen Ballwechsel, obwohl Jan-Lennard Struff den Punkt machte. (Foto: Angelika Warmuth/Reuters)

Großen Wert legt Struff auf ein Training in allen Bereichen, er belastet seinen Körper in Übungseinheiten extrem, arbeitet viel an seiner Athletik und Schnellkraft, achtet darauf, genügend Regenerationspausen zu nehmen. "Das hat mich dahin gebracht, wo ich gerade bin." Er freute sich, dass es ihm in Stuttgart gelungen sei, "den Schwung aus den guten Turnieren vorher mitzunehmen". Und auch darüber, sich nun wohler auf dem speziellsten Belag im Tennis zu fühlen: "Ich habe in der Vergangenheit auch sehr, sehr viel Lehrgeld gezahlt auf Rasen." Dass er bei den vergangenen beiden Wimbledon-Turnieren jeweils gleich in der ersten Runde gescheitert war, lag indes auch an "toughen Auslosungen", wie er zu Recht befand. 2021 unterlag er dem Russen Daniil Medwedew, 2022 Alcaraz.

Für die Auslosung in Wimbledon ist Struff in diesem Jahr gesetzt

Diesmal sollte Struff im All England Club (ab 3. Juli) nicht gleich auf einen Topprofi dieser Kategorie treffen. Denn er wird dank seines hohen Weltranglistenplatzes bei der Auslosung gesetzt werden. Struff ist in jedem Fall "glücklich, wie es läuft". Und er weiß die Popularität, die er zunehmend spürt, zu schätzen: "Es ist sehr aufregend, wenn man in Deutschland spielt. Und das ist ja eigentlich ein gutes Zeichen. Weil man vor dem deutschen Publikum gut spielen möchte."

Mit Humor nahm Kevin Krawietz den verpassten Titelgewinn im Doppel. "Ich überlege, im nächsten Finale einen Rock anzuziehen. Vielleicht gewinnen wir dann", sagte der Coburger bei der Siegerehrung; er bezog sich auf Partner Pütz, der bei den French Open in Paris mit der Japanerin Miyu Kato im Mixed den Titel geholt hatte. Krawietz und Pütz haben sich zu Beginn dieser Saison zusammengetan, wobei der Start holprig verlief, aus erfreulichen Gründen. Zuerst hatte sich Krawietz im Januar aufgrund der Geburt seines Sohnes kurzzeitig zurückgezogen und auch die Australian Open ausgelassen, dann pausierte Pütz, er wurde im März Vater einer Tochter, einen Sohn hat er bereits. Auch ohne Titel bislang sieht Krawietz eine gute Entwicklung der beiden. "Wir haben uns inzwischen eingegroovt."

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