Borussia Dortmund:Tuchel wird basteln müssen

TSV 1860 München - Borussia Dortmund

Das Dortmunder Fach-Publikum fragt sich, wie Trainer Thomas Tuchel die neuen Elementarteilchen zu stabiler Materie zusammengebaut bekommt.

(Foto: dpa)

Zahlreiche europäische Toptalente und dazu wohl noch Götze und Schürrle: Das Dortmunder Publikum fragt sich, wie BVB-Trainer Tuchel aus den vielen Neuen ein stabiles Team geformt bekommt.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Nach Lippstadt ist es nicht weit von Dortmund aus. Aber nicht sehr häufig gibt es von dort etwas zu berichten, was man in der Westfalen-Metropole zur Kenntnis nehmen würde - es sei denn, Karl-Heinz Rummenigge, gebürtiger Lippstädter, tritt in seiner Heimatstadt auf. Borussia Dortmund sei so etwas "wie der natürliche Konkurrent des FC Bayern", sagte der Bayern-Boss am Wochenende anlässlich des Freundschaftsspiels beim Fünftligisten SV Lippstadt artig. Wobei Dortmund in dieser Saison ja "viel Umbruch" habe, der eine oder andere Spieler käme da ja möglicherweise noch dazu. Es ging - natürlich - um Mario Götze.

Rummenigge bestätigte, dass man mit dem BVB und Götzes Beratern inzwischen "in Gesprächen" sei. Es sei, aus seiner Sicht, nur noch eine Frage der Ablöse. "Es gibt einen Preis, der bekannt ist, und wenn der gezahlt wird, sind wir bereit dieses Geschäft zu vollziehen." So viel Klarheit hatte man aus Lippstadt gar nicht erwartet.

Tatsächlich ist der einzige halbwegs ernsthafte Bayern-Rivale in einen großen Umbruch geschlittert, ohne das gewollt zu haben. Und die Bayern spielen dabei eine Rolle. Rummenigges Dortmunder Pendant Hans-Joachim Watzke hatte ursprünglich gehofft, Ilkay Gündogan, Mats Hummels und Henrikh Mkhitaryan halten zu können, aber einer nach dem anderen ging dem BVB von der Fahne.

Nach dem Verlust von Hummels hat der BVB Plan B aktiviert

Die forschen Ankündigungen Watzkes, höchstens zwei dieser drei gehen zu lassen, verblassten im Laufe des Frühsommers; die Ablösesummen sollen sich auf fast 110 Millionen Euro addieren. Spätestens mit dem Verlust von Kapitän Hummels zum Münchner Rivalen hat der BVB deshalb Plan B aktiviert.

Seitdem hat der BVB eine Liste von europäischen Über-Talenten abgearbeitet, die Watzkes Sportchef Michael Zorc zusammen mit Chefscout Sven Mislintat für den Fall der Fälle angelegt hatte. Und weil sich die beiden früher als andere Interessenten intensiv um einen Spieler wie Ousmane Dembélé von Stade Rennes gekümmert hatten, schnappten sie den 18-jährigen Franzosen selbst den noch reicheren Klubs wie Real Madrid, Manchester United und dem FC Bayern weg.

Ähnlich lief es mit Linksverteidiger Raphaël Guerreiro, 22, vom FC Lorient, Halb-Portugiese, Halb-Franzose, den vor der EM nur Insider kannten. "Der Preis ist kurz vor der EM noch mal gestiegen", sagt Watzke und kann den Triumph nicht völlig unterdrücken. Nach der EM, bei der Guerreiro mit Portugal den Titel holte und in die "Elf des Turniers" gewählt wurde, wäre er für Dortmund vollends unbezahlbar geworden.

Und so ging es weiter mit Emre Mor, 18, aus Dänemark, dem manche Experten nach ein paar EM-Kostproben im Nationalteam der Türkei, dem Land seines Vaters, schon den Stempel eines neuen Messi aufgepappt haben. Oder mit Mikel Merino, den die BVB-Scouts im spanischen Toledo beim Erstliga-Aufsteiger Osasuna entdeckten. Und Marc Bartra ist zwar schon 25, aber auf den dritten Innenverteidiger des FC Barcelona und der spanischen Nationalelf war vorher offenbar auch keiner gekommen, obwohl der sich im Training täglich mit Messi, Neymar, Suárez messen konnte. Ein bisschen Hummels soll in ihm stecken.

An Götze hängt ein Stück Romantik

Trotz dieser Transfer-Coups diskutiert alle Welt nur über Mario Götze und - in weit geringerem Umfang - über André Schürrle, wenn es um den "Umbruch" geht, den sie in Dortmund nun mit erstaunlicher Radikalität wagen. Das Geschäft ist nun mal so, dass man Talenten nie von vornherein alles zutraut, sondern sie immer aus der Herausforderer-Position ins Rennen schickt. Dafür braucht es Namen.

An Götze hängt in Dortmund ein Stück Romantik, so wie an den beiden früheren Rückkehrern Shinji Kagawa und Nuri Sahin. Auch wenn sich Götzes Bindung an den BVB in Grenzen zu halten scheint. Eine aktive Minderheit von konservativen Dortmund-Anhängern nimmt Götze den Abflug nach München vor drei Jahren weiterhin übel, die meisten aber halten es für besser, einen zurückzuholen, der seit seinem neunten Lebensjahr beim BVB war und zusammen mit seinen Kumpels Marco Reus und André Schürrle nun einen prominenten DFB-Block darstellen könnte.

Das Fach-Publikum fragt sich in Dortmund eher, wie Trainer Thomas Tuchel die neuen Elementarteilchen zu stabiler Materie zusammengebaut bekommt. Und: Warum man Götze und Schürrle überhaupt braucht, wenn in Dembélé, Reus, Mor, Kagawa, Castro, Nachwuchsspieler Pulisic sowie Torjäger Aubameyang schon eine Menge Vertreter der Schönspieler-Fraktion beisammen sind.

Am Pokertisch darf keiner mit der Wimper zucken

Und Europameister Guerreiro kommt auch nicht nur als Back-up für Marcel Schmelzer in Frage, er hat auch das Zeug, einen wie Reus zu vertreten. Mor ist ein Zehner, der mit Götze vom ersten Tag an um diese Zentrums-Rolle wetteifern kann. Dembélé kann alle Offensiv-Positionen spielen, ist fast so flink wie Aubameyang und so makellos beidfüßig, dass man sich ausrechnen kann, wann Schürrle gegen ihn den Kürzeren ziehen könnte.

Die Nachrichten aus Lippstadt werden sie in Dortmund deshalb mit einem gewissem Schmunzeln gehört haben. Rummenigge hat Götzes Bleiben bis zu dessen Vertragsende im nächsten Sommer kategorisch ausgeschlossen, zugleich aber einen Fixpreis aufgerufen. Und das, obwohl Götze immer noch offen lässt, ob er das Feld in München wirklich räumen will - aber auch das dürfte nur Teil eines Pokerspiels um eine möglichst geringe Ablöse sein.

In ein paar Tagen schiebt Dortmund zu PR-Zwecken eine China-Reise ein, und erst danach, am 1. August, finden sich in München und Dortmund die tatsächlichen Kader zusammen, mit allen Nationalspielern. Bis dahin darf am Pokertisch keiner mit der Wimper zucken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: