BVB in der Champions League:Englischer als die Engländer

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Vom Himmel fällt Regen - und gute Laune: Dortmunds Torschütze Felix Nmecha beim 1:0 in Newcastle. (Foto: Vagelis Georgariou/Action Plus / Imago)

Das 1:0 in Newcastle ist Dortmunds erster Sieg auf der Insel seit mehr als zehn Jahren - und Gold wert fürs Weiterkommen. Gegen allerhand Widrigkeiten setzt sich die Mannschaft von Edin Terzic mit einem robusten und wetterfesten Auftritt zur Wehr.

Von Sven Haist, Newcastle

"Ehrlich?", fragte Sebastian Kehl, als er auf die historische Bedeutung des Siegs angesprochen wurde. Erstmals seit mehr als zehn Jahren gewann Borussia Dortmund am Mittwochabend wieder ein Champions-League-Spiel auf englischem Boden. Diese Statistik habe er nicht direkt im Kopf gehabt, gab der Sportdirektor des BVB zu, und das war ihm natürlich nachzusehen. Denn zum einen ist der damalige Erfolg beim FC Arsenal - ein 2:1 im Oktober 2013, Siegtorschütze Robert Lewandowski - wirklich sehr lange her. Zum anderen fehlte Kehl damals dem BVB als Spieler wegen eines Bänderrisses im Sprunggelenk.

Als aktive Zeugen taugten deshalb nur Mats Hummels und Marco Reus, die damals wie heute für den BVB auf dem Platz standen. Hummels war nun nach dem 1:0 (1:0) bei Newcastle United prompt der erste Dortmunder Spieler, der die Arme hochriss und zu den eigenen Fans auf der anderen Stadionseite lief. Allerdings war nicht ersichtlich, ob er sich mehr über das Ende der vermaledeiten Negativserie in England freute - oder über den ersten Königsklassensieg dieser Saison. Der Verteidiger dürfte es ähnlich gesehen haben wie sein früherer Mitspieler Kehl. Der stufte die drei Punkte im Gespräch mit der SZ nicht nur aufgrund des historischen Zusammenhangs, sondern auch wegen der aktuellen Gruppentabelle als "sehr, sehr wichtig" ein.

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Durch den Parallelerfolg des Gruppenfavoriten Paris Saint-Germain gegen Milan (3:0) ist der BVB mit einem einzigen Tor auf den zum Achtelfinale berechtigenden zweiten Platz vorgesprungen - zumindest, wenn man den am Ende geltenden direkten Vergleich bei Punktgleichheit schon jetzt einberechnet. Nach den beiden trost- und torlosen Auftaktleistungen sei die Mannschaft "unter Druck geraten" und "musste etwas holen", gab Kehl zu. Dass der BVB mit zwei ausstehenden Heimspielen nun eine passable Ausgangslage und das Weiterkommen selbst in der Hand habe, tue "richtig gut" und löse für den Moment "ein Glücksgefühl" aus. Die Erleichterung des nicht zu Übertreibungen neigenden Sportchefs zeigte, welche Aussagekraft die Partie in Newcastle hatte.

Die Times titelte, Newcastle sei gegen eine "gelbe Wand" gelaufen

In den vergangenen zehn Champions-League-Duellen mit englischen Teams seit dem Abschied von Trainer Jürgen Klopp gab es für Dortmund nur einen Sieg (in der Vorsaison gegen Chelsea), auswärts gingen alle fünf Partien verloren. Zuletzt scheiterte der BVB in vier von sechs Saisons an Gegnern aus der Premier League. Und das nicht unbedingt wegen geringerer finanzieller Mittel oder weniger Qualitätsspielern im Kader. Sondern weil den Dortmundern immerzu englische Härte zu fehlen schien - also robuste bis rigorose Zweikampfführung sowie Wehrhaftigkeit und entsprechendes Selbstbewusstsein.

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Unter diesen nicht ausreichend vorhandenen Attributen litt maßgeblich Dortmunds Abschneiden in der Champions League, in sechs Jahren reichte es nur einmal fürs Viertelfinale - ein bisschen zu wenig für den eigenen Anspruch im Europapokal. Doch die Bilanz könnte sich nun verbessern, weil dem Traditionsklub aus dem Ruhrpott in Newcastle ein Befreiungsschlag gelang. In gewisser Weise war es ein englischer Sieg at its best, wie es in Großbritannien heißt. In einem ansehnlichen Kick-&-Rush-Match moderner Prägung, das wie Ebbe und Flut an Newcastles stürmischer Nordseeküste hin und her wogte, spielten die Gäste durchaus englischer als die Engländer selbst: temperamentvoll, zupackend, schnörkellos. Dies erkannten auch die englischen Leitmedien an. Die Times titelte, Newcastle sei gegen eine "gelbe Wand" gelaufen.

Nur den Ausfall von Kapitän Emre Can können die Dortmunder nicht gut kompensieren

Dabei musste Dortmund nicht nur elf Gegenspielern, sondern allerhand zusätzlichen Widrigkeiten trotzen: der Auswechselung des Kapitäns Emre Can wegen eines Pferdekusses; den unermüdlich lärmenden Zuschauern im St. James' Park - und dem Inselstarkregen, der den BVB-Spielern genauso unangenehm ins Gesicht zu peitschen schien wie Newcastles Dauerdruck mit zwei Lattentreffern in der Schlussphase. Anders als bei vorherigen Besuchen auf der Insel, bei denen die Dortmunder ziemlich nass gemacht worden waren, trieften diesmal nur ihre Trikots.

In Newcastle präsentierte sich der BVB wetterfester denn je in dieser Saison. Verteidiger Nico Schlotterbeck initiierte mit einer geschickten Balleroberung am Mittelkreis und einem folgenden Kraftakt bis zum gegnerischen Strafraum den gut durchgespielten Tempogegenstoß, der zum sehenswerten Siegtor von Zugang Felix Nmecha führte (45.). Weitere Sommerverpflichtungen von Kehl wirkten in der Startelf mit: links hinten Ramy Bensebaini, im Mittelfeld Marcel Sabitzer, im Sturm Niclas Füllkrug. "Wir haben einen richtigen Schritt nach vorn gemacht", freute sich der Sportchef. Die Gründe dafür liegen in der Kadertiefe, der neuen Stabilität und dem Mut, sich einem Topteam wie Newcastle zu stellen. Aus Kehls Sicht habe die Mannschaft eine vorzeigbare Mischung aus Kompaktheit und Offensivdrang gefunden.

Kehls Komplimente offenbarten zugleich, worin die Schwierigkeiten der Dortmunder in den bisweilen schüchternen Königsklassen-Auswärtsspielen der Vergangenheit lagen. Die Auftritte wirkten stets auch wie ein Abbild der Taktik des Trainers. Terzic versuchte, den Spielern Sicherheit durch Sicherheitsfußball zu verleihen - und korrigierte sich nun erfolgreich. Der BVB dominierte die erste Halbzeit wie schon lange kein Spitzenspiel der Champions League mehr. Allerdings ging kurz vor der Halbzeit mit dem Ausfall von Can der Schlüsselspieler verloren, er selbst sagte später humpelnd: "Nicht so schlimm, nur ein Schlag." Cans Autorität konnte der BVB mit zunehmender Spieldauer nicht mehr kompensieren. Die Mannschaft fiel bisweilen in alte Verhaltensmuster zurück, kam zwischenzeitlich kaum mehr aus der eigenen Hälfte heraus.

Doch die Spieler kämpften hingebungsvoll - und taten damit genau das, was in den vergangenen Jahren in England nicht immer ersichtlich gewesen war.

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