Benjamin Pavard:Einer, der zwischen allen Stühlen sitzt

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Kaltgestellt: Bayern-Verteidiger Benjamin Pavard ist derzeit bei Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps nicht erste Wahl. (Foto: Franck Fife/AFP)

Benjamin Pavard hat kurz vor der WM seinen Abgang vom FC Bayern provoziert. Nun wirkt er, als würde das Drama um seine Zukunft ihn auch bei der französischen Nationalmannschaft ablenken. Und das hat bereits Folgen.

Von Stefan Galler

Lucas Hernández rannte die linke Außenbahn entlang, fast bis zur Grundlinie, dann zirkelte er seine Flanke weit in den rechten Rückraum. Dort stand der aufgerückte rechte Verteidiger der Franzosen, Benjamin Pavard, ließ den Ball über den Spann rutschen und jagte ihn mit einem perfekten Schuss in den linken Winkel. Es war der 2:2-Ausgleich im WM-Achtelfinale 2018 im russischen Kasan, und er wurde später offiziell von der Fifa zum schönsten Tor der Titelkämpfe gekürt. "Les Bleus" siegten damals 4:2 und holten am Ende den Titel.

An diesem Sonntag steht Frankreich wieder in einem Achtelfinale bei einer Fußball-Weltmeisterschaft, doch diesmal werden die beiden Protagonisten aus jener denkwürdigen Szene kaum im Mittelpunkt stehen. Hernández ganz sicher nicht, er hat sich kurz vor dem Gegentor im ersten Gruppenspiel der Équipe Tricolore gegen Australien (4:1) das Kreuzband gerissen. Und Benjamin Pavard höchstwahrscheinlich auch nicht: Er hat sich Sekunden nach Hernandez' Unfall selbst aus dem Team bugsiert, indem er den Torschützen Craig Goodwin völlig aus den Augen verlor. Nun scheint er in der internen Hierarchie sogar hinter den Debütanten Axel Disasi (AS Monaco) zurückgefallen zu sein.

Karrierehighlight: Pavard erzielt im WM-Achtelfinale 2018 gegen Angel Di Maria und Argentinien das schönste Tor des Turniers. (Foto: Petter Arvidson/dpa)

Beim 2:1 gegen Dänemark wurde Pavard nicht berücksichtigt, beim 0:1 gegen Tunesien saß er 90 Minuten draußen, obwohl Nationaltrainer Didier Deschamps diese für Frankreich bedeutungslose Partie nutzte, um neun neue Akteure in die Startelf zu rotieren, und während des Spiels auch noch fünf Mal wechselte. Dass der Bayern-Profi, der vor der WM mehrmals gefordert hatte, im Abwehrzentrum eingesetzt zu werden, nun sogar seinen Stammplatz auf der rechten Seite an Jules Koundé vom FC Barcelona verloren hat, bestätigte Deschamps indirekt, indem er nach dem Tunesien-Spiel sagte, er habe "jetzt eine andere Wahl getroffen". Der Coach wisse nicht, ob Pavards schlechte Verfassung "körperliche oder mentale Gründe" habe.

Es wirkt fast so, als hätte der 26-Jährige seine Unzufriedenheit aus dem Verein mitgebracht zur WM. Beim FC Bayern war Pavard in den bisherigen Saisonspielen zwar stets berücksichtigt worden, jedoch keineswegs immer in der Startelf und schon gar nicht als Stammspieler in der Innenverteidigung. Genau das aber peilt Pavard an.

Doch der Nordfranzose, der einst beim OSC Lille ausgebildet worden war und 2016 zum VfB Stuttgart in die Bundesliga wechselte, hat auch nach dem Weggang von Niklas Süle und dem Ausfall von Hernández mit Dayot Upamecano und Zugang Matthijs de Ligt harte Konkurrenz - und sogar auf der Position rechts in der Kette ist der 26-Jährige beim Rekordmeister nicht mehr unumstritten, weil sich der Marokkaner Noussair Mazraoui immer mehr in den Vordergrund spielt.

Selbstbewusst: Pavard feiert sein Tor für den FC Bayern im Champions-League-Spiel gegen Inter Mailand Anfang November. (Foto: Sascha Walther/Imago)

Und so positionierte sich Pavard in den letzten Wochen vor der WM ziemlich offensiv, was seine Zukunftspläne angeht. In der französischen Sportzeitung L'Équipe verkündete er: "Ich bin nicht abgeneigt, ein neues Projekt anzugehen. Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt." Und im italienischen Pendant des Blattes, der Gazzetta dello Sport, legte er noch einmal nach: "Mit Bayern München habe ich alles gewonnen." Er spiele, um zu gewinnen, und sei bereit, "neue interessante Projekte zu bewerten, aber als zentraler Verteidiger". Er liebäugelte auch schon öffentlich mit dem AC Mailand, von dem ihm sein Nationalmannschaftskollege und Kumpel Olivier Giroud bei jeder Gelegenheit vorschwärme.

Wie reagiert der FC Bayern, dessen Verantwortliche es traditionell nicht schätzen, wenn das balltretende Personal Abwanderungswünsche in der Presse kundtut? "Bei uns kann keiner seinen Abgang mit Aussagen einleiten, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Das gibt es bei uns nicht", sagte Vorstandschef Oliver Kahn vor ein paar Tagen bei Sky. Und weiter: "Benjamin weiß, was er am FC Bayern hat. Wir wissen auch, was wir an ihm haben. Wir können die Emotionen der Spieler, die mal hoch und mal runter gehen, einordnen und managen."

Nagelsmann wird ihm wohl kaum eine Garantie für die Innenverteidigung geben

Doch auch den Bayern-Bossen ist bekannt, dass Pavards Vertrag in München nur noch bis 2024 Gültigkeit hat, man den Weltmeister also nur noch in diesem Sommer lukrativ verkaufen könnte. Auch deshalb ist nicht abwegig, was der Kicker meldet: Bayern wolle den Franzosen langfristig binden, Gespräche sollen direkt nach seiner Rückkehr aus Katar aufgenommen werden. Knackpunkt könnte auch hier die Forderung des Spielers werden, ausschließlich als Innenverteidiger eingesetzt zu werden. Diese Garantie wird Trainer Julian Nagelsmann ihm höchstwahrscheinlich aber nicht geben.

Und so läuft der selbstbewusste Nordfranzose Gefahr, dort zu landen, wo er sich in diesen Tagen auch bei der Nationalmannschaft positioniert hat und wo es besonders unbequem ist: zwischen allen Stühlen.

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