Bayern-Spieler beim DFB:FC Deutschland im großen Finale

Lesezeit: 3 min

Zwei Vereinskollegen jubeln über den Finaleinzug: Bastian Schweinsteiger (links) und Manuel Neuer (Foto: dpa)

Ausnahmsweise hofft ganz Deutschland auf den FC Bayern: Bei der WM profitiert die Nationalelf enorm von den Impulsen aus München. Die Bayern-Verantwortlichen aber fürchten, dass "irgendwann im Herbst die Quittung" kommt.

Von Christof Kneer, Santo André

Mario Gomez hat das einmal erzählt. Die Spieler hätten sich auf dem Platz alle angeschaut, verzweifelt und auffordernd. Mir fällt nix ein, mach' du doch was! - das stand in den Gesichtern geschrieben, und die Verzweiflung multiplizierte sich in rasender Geschwindigkeit quer übers Feld. Der Schweinsteiger kann auch nicht helfen, dem Kroos fällt auch nix ein, nicht mal der Lahm hat eine Idee - das war der Inhalt der Flüsterpost, die man auf der Tribüne nicht hören, aber ahnen konnte. Die Spieler: waren hilflos. Sie merkten, wie ihnen dieses EM-Halbfinale gegen Italien allmählich entglitt.

Es ist eine hypothetische Frage, und wie alle hypothetischen Fragen macht es wunderbar Spaß, sie zu beantworten, weil einem niemand das Gegenteil beweisen kann. Die hypothetische Frage lautet: Würde die deutsche Mannschaft auch 2014 einem Spiel noch mal so ratlos gegenüber stehen wie damals, vor zwei Jahren im Halbfinale von Warschau? Drei Antworten sind möglich: a) ja; b) nein; c) weiß nicht. Nach den Eindrücken des WM-Halbfinales gegen Brasilien spricht zurzeit einiges für b).

"Wir wissen jetzt, wie man große Titel gewinnt", das hat Philipp Lahm vor der WM gesagt - mit "wir" hat er den FC Bayern München gemeint, dessen Profis 2012 als Champions-League-Finalverlierer gegen den FC Chelsea niedergeschlagen zur EM schlurften. Einen Sommer später haben sich die Bayern mit vier Titeln die größtmögliche Satisfaktion besorgt, und das ist es, was auch Bundestrainer Löw vor dem großen Finale in Rio das größtmögliche Vertrauen in seine Elf verleiht.

Deutsche WM-Duelle gegen Argentinien
:Als Maradona Matthäus entwischte

Trinkverbote, Spickzettel und übles Schuhwerk: Zum dritten Mal stehen sich Deutschland und Argentinien in einem WM-Endspiel gegenüber, historisch waren alle bisherigen WM-Duelle der beiden Länder. Ein Überblick.

Von Andreas Babst und Matthias Schmid

Ausnahmsweise hofft jetzt mal ganz Deutschland, dass es sich auf den FC Bayern verlassen kann.

Die Nationalmannschaft und der FC Bayern, das ist ein Thema, seit es den FC Bayern gibt. Beide Teams haben sich immer gegenseitig beeinflusst, und im Sommer 2014 könnten theoretisch beide Seiten voneinander profitieren: Joachim Löw setzt Bayern ein, die vor Selbstbewusstsein kaum laufen können; und die Bayern lassen sich inspirieren von jenem Modell, das Löw im Laufe des Turniers zur Reife gebracht hat.

Aber der zweite Teil des Plans wird nun nicht mehr funktionieren. Denn Toni Kroos, der im Zentrum des DFB-Erfolgsmodells steht, wird nach der WM kein Bayern-Spieler mehr sein. Zwar steht die endgültige Einigung mit Real Madrid über letzte Vertragsdetails immer noch aus, was manchen Bayern-Verantwortlichen schon wieder "ein Prozent Resthoffnung" gibt; aber die restlichen 99 Prozent, sagen dieselben Verantwortlichen, werden am Ende den Ausschlag geben.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Wie Xavi und Iniesta zusammen

Toni Kroos dringt in eine neue Dimension vor. Manuel Neuer schüchtert die Gastgeber erst ein, später ernüchtert er sie. Und Thomas Müller jagt Miroslav Kloses WM-Torrekord. Die DFB-Elf in der Einzelkritik.

Von Christof Kneer und Philipp Selldorf, Belo Horizonte

Toni Kroos ist die Figur, die schon aus der WM hinaus und in die nächste Saison hinein weist. Kroos ist die Figur, die der deutschen Bundesliga tatsächlich jetzt schon Hoffnung gibt. Die Liga weiß ja längst, dass sie gegen diese Bayern nur dann mal eine Chance hat, wenn die Bayern von einem Turnier zurückhumpeln; nach der WM 2010 wurde Dortmund Meister, nach der EM 2008 Wolfsburg, nach der WM 2006 Stuttgart. In der Saison nach der WM 2006 wurde der Bayern-Trainer Felix Magath entlassen, nach der WM 2010 erwischte es Louis van Gaal, obwohl der den Fußball erfunden hat (Quelle: van Gaal).

Drei Original-Bayern werden am Sonntag im großen Finale stehen, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller, und in der Startelf werden sechs Münchner erwartet. Vielleicht wird Bayern in Rio Weltmeister, aber in der Kommandozentrale an der Säbener Straße haben sie im Moment wenig Zeit, sich auf die Schulter zu klopfen. Sie sind damit ausgelastet, sich Sorgen zu machen.

Allein neun FC-Bayern-Spieler haben das letzte WM-Wochenende erreicht (sieben Deutsche plus Robben und Dante), man werde "irgendwann im Herbst die Quittung für diese WM bekommen", sagt ein Klubfunktionär. Während der Rest des Fußball-Landes zurzeit nicht über den Sonntag hinausdenkt (Finale! Rio!), werfen sie bei Bayern schon ernste Blicke in die letzten August-Wochen. Erster Spieltag: zu Hause gegen Wolfsburg. Zweiter Spieltag: auf Schalke.

Und im Mittelfeld: kein Kroos. Wenn sich die deutsche Nationalmannschaft im September zu EM-Qualifikationsspielen trifft, sollte sie sich nicht darauf verlassen, dass sie gleich wieder ein Erfolgsmodul aus München geliefert bekommt. Toni Kroos wird dann mit Sami Khedira aus Madrid anreisen, während die Bayern immer noch damit beschäftigt sein werden, die Nachfolge jenes Spielers zu regeln, der all die Jahre nice to have, aber im Zweifel eben doch verzichtbar war - und der nun, da er gerade angefangen hat, unverzichtbar zu werden, die Stadt verlässt.

Der Bundestrainer, der im September vielleicht, aber vielleicht auch nicht Joachim Löw heißt, wird sein zentrales Mittelfeld in absehbarer Zeit erst mal ohne den FC Bayern bauen müssen. Philipp Lahm bleibt ein Kandidat fürs Zentrum, aber von Bastian Schweinsteiger erwarten sie alle, dass er seine traditionelle Turnier-Tapferkeit wieder mit Fehlzeiten im Alltag büßen wird. Bei Bayern müssen sie selbst erst mal ein Gefühl entwickeln, wen sie künftig im Herzen des Spiels sehen wollen, aber der Favorit ist ein brasilianisch-stämmiger Spanier (Thiago), der einem deutschen Bundestrainer ebenso wenig weiterhilft wie die neueste Idee, die sie in München gerade entwickeln.

Nach der Verpflichtung des spanischen Linksverteidigers Juan Bernat, so ist im Klub zu hören, soll David Alaba künftig häufiger auf seiner Lieblingsposition im Zentrum auftauchen. Klar, Deutschland bringt das nichts, denn Alaba ist Österreicher. Aber für die Bayern hat die Lösung einen erheblichen Vorteil: Denn Österreicher kehren eigentlich nie ermüdet von einer WM zurück.

© SZ vom 11.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungJoachim Löw bei der Fußball-WM
:Alle feiern Klose, keiner Löw

Innere Einkehr statt Extravaganz: Das Spektakel gegen Brasilien verfolgt Joachim Löw mit stiller Aufmerksamkeit auf einem Mauervorsprung. Das Publikum hat immer noch Vorbehalte gegen diesen Bundestrainer, die tief sitzen. Es ist die Angst vor einem weiteren Schönheitspreis.

Ein Kommentar von Philipp Selldorf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: