Basketball:Zwei auf Mission

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"Wir haben nur ein bisschen Geschichte geschrieben": Luisa Geiselsöder hat bei der EM in Slowenien viel Selbstvertrauen gesammelt. (Foto: Jure Makovec/AFP)

Vor mehr als drei Jahren wurden die Nationalspielerinnen Luisa Geiselsöder und Leonie Fiebich in die US-Profiliga WNBA gedraftet. Angekommen sind sie dort bis heute nicht. Ihr Ziel ist ohnehin ein anderes: Sie wollen den deutschen Frauenbasketball nach vorne bringen.

Von Andreas Liebmann

Mit etwas dichterischer Freiheit wäre es wohl so gewesen: Als Luisa Geiselsöder umgeknickt war und am Boden lag, da dachte sie unmittelbar an ihren großen Traum von der US-amerikanischen Profiliga WNBA, der in diesem bitteren Moment wohl fürs Erste geplatzt war. Und natürlich hatte sie auch sofort wieder jene magische Nacht im April 2020 vor Augen.

Die Wahrheit verhielt sich viel profaner. "Ich dachte nur: Scheiße, tut das weh!", erinnert sich die Basketballerin - und lacht.

Luisa Geiselsöder, 23, sitzt in einem Café in ihrer Heimatstadt Ansbach, sie deutet auf die Narbe, die über ihren Sneakers hervorlugt. Drei Bänder waren damals gerissen im Sprunggelenk, es war ihre bisher größte Verletzung. Ihre Karriere hat das tatsächlich ein bisschen durcheinandergewirbelt, weshalb sie nun viel erzählt über die Schwierigkeiten, die den Weg in den Profibasketball begleiten, auch über Missstände in Deutschland, aber es wird kein melancholisches Gespräch: Als es um die jüngste Europameisterschaft in Slowenien geht, da funkeln ihre Augen. "Wir haben nur ein bisschen Geschichte geschrieben!", sagt sie mit breitem Grinsen.

In diesem Grinsen spiegelt sich der Stolz des gesamten Teams. Vier Spielerinnen aus Bayern zählten zur Starting Five: Svenja Brunckhorst, die in Wasserburg aufwuchs, Leonie Fiebich aus Landsberg, Emily Bessoir aus München und Geiselsöder, die ihre Profilaufbahn in Nördlingen begann. (Die Fünfte, Centerin Marie Gülich, kann allenfalls auf etwas Verwandtschaft in Oberbayern verweisen.) Erstmals seit zwölf Jahren hatten sich Deutschlands Basketballerinnen wieder für eine EM qualifiziert, dort überraschend das Viertelfinale erreicht und sich als Sechste einen Platz für die Olympia-Qualifikationsturniere erkämpft. Geiselsöder und die gleichalte Fiebich waren gemeinsam schon mit den deutschen Jugendauswahlen erfolgreich, fast immer war auch die zwei Jahre jüngere Bessoir dabei. "Leo und ich, wir schreiben Geschichte zusammen", stellt Geiselsöder nun fest, was auch weiterhin eines ihrer gemeinsamen Ziele mit dem Nationalteam ist. Vor gut drei Jahren aber sah es so aus, als könnten sie noch eine ganz andere Geschichte miteinander schreiben.

Auf der Suche nach Selbstvertrauen arbeitet Geiselsöder auch mit einer Mentaltrainerin zusammen

Es geht um jene besondere Nacht im April 2020, die Nacht des alljährlichen WNBA-Drafts. Gemeinsam mit der Berlinerin Satou Sabally waren auch Geiselsöder und Fiebich von US-Klubs gedraftet worden. Vor Marie Gülich, die damals in der WNBA spielte, hatten es überhaupt erst drei andere Deutsche in der Geschichte bis in die amerikanische Profiliga geschafft. Nun also drei weitere auf einen Schlag. Zudem wusste man um die aussichtsreichen College-Karrieren von Bessoir und Saballys jüngerer Schwester Nyara, 23.

Wer damals meinte, Deutschlands Talente würden nun die WNBA im Sturm erobern, musste gut drei Jahre später allerdings feststellen: Zwei von ihnen, Fiebich und Geiselsöder, kamen niemals dort an.

Luisa Geiselsöder erinnert sich trotzdem gern an die Nacht des Drafts. Es war Lockdown, eine triste Zeit, die Familie beschloss, den Anlass zu zelebrieren: Alle putzten sich heraus, Luisa, die Jüngste von drei Geschwistern, trug ein schwarzes Kleid, der Bruder legte sich ein Hemd an, sie machten Sushi, es gab Sekt. Am Morgen hatte der Coach der Dallas Wings angerufen und sie vorgewarnt, dass sie Interesse an der Fränkin hätten. Plötzlich dann großes Geschrei: An Position 21 wird ihr Name eingeblendet. Geiselsöder selbst bekommt es erst gar nicht mit. Noch während sie es realisiert - Dallas, selbes Team wie Sabally -, brüllen wieder alle: Gleich als 22. wird Fiebich gewählt, ins Team von Gülich, Los Angeles Sparks. Welche Zufälle! Ihr gemeinsamer Basketball-Lebensweg sollte weitergehen. "Wer träumt nicht von der WNBA", fragt Geiselsöder nun.

Der Rest ist schnell erzählt. Wegen der Pandemie habe Dallas sie im ersten Jahr noch nicht holen wollen. Nach einem Profijahr in Nördlingen wechselte sie nach Frankreich, in eine der europäischen Topligen, zu Landerneau in die Bretagne. Mit knapp 20, ohne ein Wort Französisch. Sportlich lief alles besser als erwartet, sie zählte zu den Besten der Liga auf den großen Positionen - bis sie im Frühjahr umknickte. "Du bist gerade auf dem Spitzenpunkt und so stolz auf dich", schildert sie, "und mit einer blöden Landung ist alles aus." Sie musste operiert werden, Dallas hatte sich erledigt, der Weg zurück war mühsam. Nach zwei Jahren wechselte sie innerhalb der Liga zu La Roche, kam mit dem Trainer nicht klar, verlor ihr Selbstvertrauen. "Bis jetzt mein schlimmstes Jahr", sagt sie. Inzwischen arbeitet sie mit einer Mentaltrainerin zusammen.

Einmal hat sie die EM schon gewonnen - mit der U18: Leonie Fiebich. (Foto: Sven Beyrich/Sports Press Photo/Imago)

Leonie Fiebich sitzt im Garten ihres Elternhauses in Landsberg am Lech. Auch sie hat die Nacht des Drafts natürlich nicht vergessen, auch wenn die Eindrücke von der EM gerade viel frischer sind. "In Jogginghose und Pulli" habe sie die Übertragung damals verfolgt, in Wasserburg, wo sie zu der Zeit spielte. Gerade hatte sie ihren zweiten Kreuzbandriss überwunden, die Erwartungen seien entsprechend niedrig gewesen. Allerdings hatten auch sie in den Tagen zuvor Coaches aus den USA angerufen, für die sie extra schnell noch etwas Englisch gepaukt hatte. Und natürlich sei sie dann doch nervös geworden.

Fiebichs Euphorie legte sich schnell. Die anstehende Corona-Saison in der Blase habe sich für Neulinge nicht so angeboten, erzählt sie, im Jahr danach hätten sich die Sparks "gar nicht für mich interessiert". Auch als Chicago Sky die Rechte an ihr übernahm, sei es mit der Kommunikation nicht besser geworden. "Das hat sich dann ein bisschen verlaufen, ich habe aufgehört, mich damit zu beschäftigen." Fiebich spielt inzwischen für Casademont Saragossa in Spanien, ebenfalls eine Topadresse. Vor der EM hat die Liga sie zur wertvollsten Spielerin gewählt. Die WNBA sei "ein krasses Business", sagt sie, man müsse sich damit abfinden, dass man wenig Einfluss auf das Handeln der Klubs habe. Ihre Priorität liege daher auf Europa, auch die Art des Basketballs gefalle ihr dort besser, zumindest in der Euroleague. In dieser höchsten europäischen Liga könnte sie sich bald mit Gülich duellieren, die für Valencia spielt, und auch mit Geiselsöder, die in Frankreich bei Basket Landes zu alter Stärke zurückfinden will.

In New York verschafft sich Fiebich Einblicke in eine "andere Welt"

In der WNBA (einer Sommerliga, die viele Profis mit Engagements in Europa kombinieren) wurde Fiebich mittlerweile an New York Liberty weitergereicht, das Team von Nyara Sabally - wo man nun allerdings Interesse an ihr hat. Wenige Tage nach dem Gespräch wird sie einer Einladung nach New York folgen, es wird ihr erster USA-Aufenthalt seit Kindertagen sein. Die EM, bei der Fiebich eine Anführerin war, hat ihr da sicher nicht geschadet. Dabei, verrät sie jetzt, hatte sie wegen eines Meniskusschadens nur mit "wahnsinnigen Schmerzen" spielen können und viel mehr geworfen als athletisch zum Korb zu ziehen. Und bei der deutlichen Viertelfinal-Niederlage gegen Spanien hätten die Gegnerinnen aus der Liga dummerweise genau gewusst, was gegen sie und Centerin Gülich zu tun wäre. Diese Partie, gesteht sie, habe sie "immer noch nicht verdaut". In der U18 hat Fiebich schließlich schon mal eine Europameisterschaft gewonnen, im Finale gegen Spanien. Mit Geiselsöder und Bessoir. "Ich kriege gleich Gänsehaut, wenn ich daran denke."

Bei der zurückliegenden Frauen-EM war Fiebich eine Art Klassensprecherin, sie hat viel Kritik geäußert an den Zuständen in Deutschland, hat ihr Team und die neue Trainerin gelobt und versucht, die Aufmerksamkeit, die das Turnier dem Frauenbasketball brachte, bestmöglich zu nutzen. Das Turnier sei "extrem wichtig für unsere Entwicklung" gewesen, sagt sie nun - und meint nicht nur das Sportliche.

Wenn man mit Geiselsöder spricht, hört man fast dieselben Thesen. Auch sie kritisiert die schwache Präsentation der Damen-Bundesliga (DBBL), gerade im Vergleich zur BBL der Männer; mit einer kaum brauchbaren Website, wackeligen Bildern eines Streaming-Anbieters, für die man zahlen muss. Und sie weiß inzwischen, wie es anderswo läuft. "In Frankreich werden alle Spiele frei auf Youtube übertragen", erzählt sie; so steige die Aufmerksamkeit, mehr Menschen kämen in die Hallen, das wecke das Interesse der Sponsoren, und am Ende sei "viel mehr Geld im System".

Ein besonderer Dorn im Auge ist ihr die fehlende Ausländerbegrenzung in Deutschland. In der DBBL seien die Ausländerinnen "die Königinnen", manche Klubs setzten nur auf sie. Viele deutsche Spielerinnen wichen daher in die zweite Liga aus, konzentrierten sich aufs Studium oder gingen ans College. Bei der EM standen nur zwei Spielerinnen aus der in Europa nicht konkurrenzfähigen DBBL im deutschen Kader. In Frankreich etwa sei die Zahl der Ausländerinnen pro Team auf vier begrenzt, maximal zwei aus den USA. Einheimische Spielerinnen verdienten nicht etwa weniger, sondern oft sogar mehr als auswärtige.

Auch dass der Verband sich bei ihr nach der schweren Verletzung kein einziges Mal gemeldet habe, sieht Geiselsöder als Indiz dafür, dass grundsätzlich etwas nicht stimmt mit dem Stellenwert.

Sie haben die EM als Plattform bestmöglich genutzt: Leonie Fiebich (li.), Luisa Geiselsöder (re.) und Marie Gülich. (Foto: Tilo Wiedensohler/camera4+/Imago)

Es ist, wie gesagt, kein melancholisches und auch kein anklagendes Gespräch. Im Zuge der EM, bei der die deutschen Spiele kostenlos übertragen wurden, hat sich schon einiges verändert. Die Mannschaft wollte diese Chance nutzen, der Deutsche Basketball Bund hat sie erstmals mit einem professionellen Fotoshooting ins Turnier geschickt und zwei Social-Media-Experten eingesetzt. Dem Wunsch des Teams, Trainerin Lisa Thomaidis längerfristig zu binden, ist der Verband kürzlich nachgekommen, und er habe ihnen angekündigt, künftig mehr in sie zu investieren, erzählt Geiselsöder.

Dann erwähnt sie noch, dass die Nationalspielerinnen erst seit etwa einem Jahr etwas Geld bekommen für ihre Länderspiele. "Leo und ich wollen immer für Deutschland spielen, das ist uns eine Ehre", sagt sie, dafür riskierten sie allerdings auch jedes Mal ihr Kapital: ihre Körper, die sie brauchen, um in den Vereinen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die aktuelle Entlohnung sei deutlich geringer als bei den Männern, aber "ein erster Schritt". Sie wollen das weiter ausbauen, sagt Geiselsöder, "auch für künftige Generationen". Sie wollen etwas bewegen für den deutschen Frauenbasketball, das ist ihre gemeinsame Mission.

Und die WNBA? "Da bin ich gelassen", sagt Luisa Geiselsöder. Erst wieder Selbstvertrauen holen, dann vielleicht ein paar Highlight-Videos in die USA schicken. Niemand hat mehr Rechte an ihr, sie ist frei verfügbar. Man könne den Sprung auch mit 30 noch schaffen.

Leonie Fiebich sieht das ähnlich entspannt. Mit einem Unterschied: Als sie zurückkehrt aus New York, wo sie zwei Spiele gesehen, Trainings mitgemacht und viele Leute kennengelernt hat, berichtet sie dann doch von einer "richtig coolen Erfahrung" aus einer "anderen Welt" - auf die sie sich freuen würde. Wenn nichts mehr dazwischenkommt, dürfte sie in einigen Monaten die siebte Deutsche in der Geschichte der WNBA sein.

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