Basketballerin Bessoir bei der EM:Die Zweifel sind verflogen

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Im Einsatz für die UCLA Bruins und fürs deutsche Nationalteam: Emily Bessoir befindet sich in ihrem dritten College-Jahr - jetzt spielt sie bei der Basketball-EM mit. (Foto: Brian Rothmuller/Imago)

Die Münchnerin Emily Bessoir bringt mit ihren 1,92 Metern alles mit, um im Profi-Basketball durchzustarten. Erst einmal aber will sie das College abschließen - und mit Deutschland ab Donnerstag bei der Europameisterschaft überzeugen.

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Plötzlich sackte es weg, einfach so. Ohne erkennbaren Grund, ohne Erklärung, ohne Verabschiedung. Emily Bessoir tat einfach nur das, was sie schon ihr Leben lang macht, sie führte einen Basketball, ging ins Eins-gegen-eins. "Ich hab einen Spin-Move angesetzt, einen, den ich immer mache", erinnert sie sich - das linke Knie aber machte nicht mit, es knickte einfach nach innen. Das Kreuzband war durch.

Es ist nicht leicht zurzeit, sich mit der 21-jährigen Münchnerin für ein Telefonat zu verabreden. Vielleicht später im Bus, überlegt sie, oder am Flughafen-Gate. Sie ist viel unterwegs im Moment, sie ist das inzwischen auch wieder gewohnt, und das ist gut so. Denn es heißt, dass all ihre Ängste und Zweifel, die sie nach der gravierenden Verletzung vor gut eineinhalb Jahren befielen, verflogen sind. "Ich hatte mir Sorgen gemacht, ob ich jemals wieder auf demselben Level spielen könnte wie davor", sagt sie. Gerade hat sie ihre ersten A-Länderspiele absolviert, und ja: sie kann.

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Es ging zuletzt alles recht schnell für Bessoir. Ende April stellte der Deutsche Basketball Bund (DBB) die Kanadierin Lisa Thomaidis als neue Frauen-Bundestrainerin vor, nachdem sich ihr Vorgänger Walt Hopkins nach erfolgreicher EM-Qualifikation, der ersten Finalrunde seit 2011, "aus persönlichen Gründen" zurückgezogen hatte. "Ich wusste lange nicht, wie der Sommer für mich aussieht", sagt Bessoir. Dann kam der Anruf, die Einladung zu ihrem ersten Lehrgang. Mitte Mai nahm sie den Flieger aus den USA, wo sie am College spielt, durfte ihr Semester online beenden. Das viele Unterwegssein kennt sie natürlich, all ihre College-Auswärtsspiele sind mit Flügen verbunden, das Programm dort ist straff.

Der europäische Basketball ist smarter als in den USA, "nur nicht mit dem Kopf durch die Wand", sagt die College-Spielerin Bessoir

Hier war es nun nicht anders. Vom Trainingscamp in Kienbaum ging es zu einem Turnier nach Istanbul, dann zu Testspielen nach Tel Aviv, Training in NRW, letzter Test im italienischen Pordenone. Und an diesem Donnerstag geht es schon los mit der Europameisterschaft in Ljubljana: Auftakt gegen Frankreich (20.45 Uhr), gleich ein Topteam. Tags darauf Slowenien (18 Uhr), am Sonntag Großbritannien (12.15 Uhr).

Thomaidis hatte den Turnierkader zuletzt noch verkleinert, aber Emily Bessoir blieb dabei. Bei ihrem Debüt gegen Tschechien am 26. Mai hatte sie sich mit 18 Punkten und elf Rebounds gleich mal als Topscorerin eingeführt. "Ich glaube, dass ich viel Energie reinbringen kann", sagt sie. Der europäische Basketball sei "etwas smarter", nicht nur mit dem Kopf durch die Wand, ihr gefällt das.

So schnell alles nun auch ging, überraschend kam der Karriereschritt nicht. Im Gegenteil. Als Bessoir den Zweitligisten TS Jahn München verließ, um in Los Angeles ihr Stipendium an der renommierten University of California (UCLA) anzutreten, rief ihr der damalige Sportchef Armin Sperber nach, sie sei "die Beste, die wir vielleicht je haben werden". Athletisch, gute Ballbehandlung, sichere Distanzwürfe, 1,92 Meter groß. Und weil sie aus einer echten Basketballfamilie kommt, ist sie praktisch in der Halle aufgewachsen. Gemeinsam mit Leonie Fiebich führte sie das Münchner Mädchen-Bundesligateam 2018 zur deutschen WNBL-Meisterschaft; mit Fiebich und Luisa Geiselsöder gewann sie 2016 EM-Silber mit dem U-16-Nationalteam, 2018 holte sie mit der U 18 EM-Gold. So sahen bislang die meisten ihrer Sommer aus. "Mit Leo und Luisa gewinne ich Championships", gab sie gerade forsch in einem Podcast zum Besten - was recht praktisch ist, weil sie den beiden nun ja in die A-Nationalmannschaft gefolgt ist.

Bessoirs kleine Verspätung liegt nicht nur an ihrem Kreuzband, denn Fiebich und Geiselsöder sind beide knapp zwei Jahre älter als sie. Schon damals war Emmy, wie man sie nennt, oft die Jüngste, und hätte Thomaidis nicht vor drei Wochen noch Bessoirs UCLA-Teamkollegin Lina Sontag, 19, nachnominiert, sie wäre auch diesmal das Küken. Schüchtern hat sie als Forward bislang aber nicht agiert. Vom ersten Tag an habe sie attackiert, um es in den endgültigen Kader zu schaffen, sagt sie selbst, in einigen Tests zählte sie zur Startformation. Die langjährigen Wegbegleiterinnen haben der Nachzüglerin die Eingewöhnung leicht gemacht. Das ganze Team sei "megacool", sagt sie, von gegenseitigem Respekt geprägt und - neben dem Talent - auch mit überdurchschnittlicher Körpergröße ausgestattet. "Wir haben große Fortschritte gemacht", sagt Bessoir nach den intensiven Wochen, "aber da ist immer noch viel Luft nach oben." Die Generalprobe gegen Italien am Sonntag gewann das DBB-Team mit 70:65.

Statt Abläufe zu trainieren, musste Bessoir lernen, wie man an Krücken geht

Am College, wo sie Abschlüsse in Psychologie und Kommunikationswissenschaften anstrebt, hat Emily Bessoir inzwischen eine andere Rolle, da war sie in ihrem dritten Jahr zuletzt eine der Erfahrenen, die immer reden und vorangehen sollten. Einfach war ihr Start nicht. Als es losgehen sollte, war L.A. gerade zum Corona-Hotspot geworden, es dauerte Monate, ehe klar war, dass sie einreisen durfte und eine Saison stattfinden würde, wenn auch ganz anders, als sie sich das vorgestellt hatte: in einer Bubble. In der Vorbereitung auf die zweite Saison riss das Kreuzband. Während die anderen an ihren Abläufen feilten, musste sie lernen, wie man an Krücken geht. Erst im dritten Jahr lief alles so, wie sie sich das erhofft hatte.

Ihre Verletzung, die lange Reha, das Comeback mit einer Schiene, all das hat Emily Bessoir in den sozialen Medien dokumentiert. Sie hat dabei viele Kontakte geknüpft, eine richtige Community habe sich gebildet. Viele im Basketball erleiden eine solche Verletzung, Frauen deutlich öfter als Männer. Leonie Fiebich hat schon zwei Kreuzbandrisse überwunden, ihre ältesten Basketballfreundinnen aus München haben diese Erfahrung ebenfalls machen müssen. Weibliche Anatomie, Zyklus, vieles spiele dabei eine Rolle, auch darüber sprach sie im DBB-Podcast. Eine richtige Erklärung dafür, warum ihr das in jenem Moment passiert sei, die suchte sie trotzdem vergeblich. "Ich war fit, hatte gut geschlafen, mich gut ernährt, mich gut gefühlt. Die Verletzung gehört wohl einfach zu unserem Sport."

Die Zeit auf Krücken und der Austausch darüber hätten ihr jedenfalls verdeutlicht, welch elementare Bedeutung das Basketballspielen für ihr Leben doch habe, wie wichtig ihr der Sport in einem Team sei. Nach dem College werde sie auf alle Fälle ein paar Jahre professionell spielen, ob in der WNBA, in Europa oder in Australien. 2026 findet die Weltmeisterschaft dann in Berlin statt, sie nennt das "ein greifbares Ziel". Aber jetzt ist sie erst mal unterwegs.

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