Basketball:Erbe einer Baustelle

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"Über unseren Erfolg haben wir uns am Anfang selbst gewundert": Für Luis Prantl und die Wasserburger Basketballerinnen läuft es gut in der zweiten Liga. (Foto: Andreas Liebmann)

Wasserburgs Basketballerinnen, einst deutsche Serienmeister, konsolidieren sich in der zweiten Liga. Ihr Cheftrainer Luis Prantl ist erst 23, Enkel des Abteilungsgründers - und so erfolgreich, dass sich die Frage aufdrängt: Käme ein Aufstieg nicht viel zu früh?

Von Andreas Liebmann

Vielleicht würde er sich ein paar Sorgen machen, der Joe, ganz sicher wäre er vor allem stolz. Leider kann ihn das niemand mehr fragen, auch all die Leute nicht, die sich am 11. Januar seinetwegen in der Wasserburger Hofstatt trafen; dick eingepackt, um sich gemeinsam an den Joe zu erinnern und Anekdoten auszutauschen.

Für Luis Prantl, den Basketball-Frauentrainer des TSV Wasserburg, dürfte das eine seltsame Begegnung mit seiner Vergangenheit gewesen sein. Sie alle kannten seinen Großvater, den Prantl Joe, alle hatten etwas zu erzählen, Bürgermeister, ehemalige Kollegen, Wegbegleiter. Sie trafen sich an der Prantl-Linde , jenem Baum, der damals am historischen Marktplatz gepflanzt worden ist, um an Jörg Prantl zu erinnern. So hieß er nämlich richtig, der Lehrer, Naturschützer, Stadtrat - und Gründer der Basketballabteilung. Sein Todestag jährte sich zum 25. Mal, und Luis Prantl war bewegt davon, wie viele Leute gekommen waren. Erzählen konnte er aber nichts. Nur zuhören. Denn Luis Prantl ist ein sehr junger Cheftrainer, gerade mal 23. Seinen Opa hat er selbst nie kennengelernt. Und doch setzt er nun gewissermaßen dessen Erbe fort.

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Am vergangenen Samstag hat Luis Prantl viel durchzustehen an der Seitenlinie, er hadert, schimpft, feuert an, applaudiert. Immer wieder wechselt die Führung, kurz vor Schluss liegt Wasserburg vermeintlich sicher vorne, 67:60 gegen Würzburg. Es ist hektisch, viele Ballverluste, vergebene Freiwürfe - und plötzlich bietet sich den Gästen beim 68:66 die unverhoffte Gelegenheit, mit der Schlusssirene auszugleichen oder vorbeizuziehen, doch sie nutzen sie nicht. Die Wasserburgerinnen jubeln euphorisch, Prantl atmet tief durch. Die Tribüne ist wie immer gut gefüllt, der Lärm gewaltig.

Später wird Prantl diese Kulisse loben, sie hat seinem Team mal wieder enorm geholfen. Drei Starting-Five-Spielerinnen fehlten, die Portugiesin Tess Santos verletzt, die Perner-Schwestern, ihre besten Eigengewächse, krank. "Wir wollten alles raushauen", sagte die Distanzwurfspezialistin Manuela Scholzgart nach dem Sieg stolz. "Es war totaler Teamgeist", stellte Abteilungsleiterin Johanna Retzlaff fest. Trotz der Ausfälle haben sie den zweiten Tabellenplatz verteidigt in der zweiten Bundesliga Süd. Nächsten Sonntag (16 Uhr) kommen die Dillingen Diamonds.

"Wir wollten eine regionale Lösung, einen, der sich total identifiziert."

Zur Zeit des Treffens unter der Linde war Wasserburg sogar Tabellenführer. Es gab dann drei Niederlagen nacheinander. "Über unseren Erfolg haben wir uns am Anfang selbst gewundert", sagt Luis Prantl. Das Team sei diszipliniert und arbeite hart, aber es sei auch sehr jung. Die kleine Delle fand er weniger überraschend.

Jörg Prantl, der den Basketball als junger Lehrer in den Fünfzigerjahren aus München nach Wasserburg brachte, erst ans Luitpold-Gymnasium und von dort zum TSV, erlebte die erfolgreichste Zeit seiner Sparte nicht mit. Anfang 1999 starb er, unerwartet und plötzlich, mit 68. 2001 stiegen die Frauen in die erste Liga auf - und dominierten sie: Elf Meistertitel und neun Pokalsiege häufte der Klub an, spielte Europapokal. Der Abstieg 2022 hatte finanzielle und strukturelle Gründe, und im Jahr darauf stand das Team knapp davor, in die Regionalliga abzustürzen. Nach Jahren des Durchwurstelns war kaum noch Struktur vorhanden, kein Unterbau, und Luis Prantl ist heilfroh, dass er nicht schon in dieser Phase, die er "chaotisch" nennt, den Cheftrainerjob übernommen hat. Bastian Wernthaler verhinderte dann als Interimscoach das Schlimmste.

Zwei Verstärkungen kamen vor der Saison aus den USA, Kayla Simmons (li.) und Danielle Shafer. (Foto: Andreas Liebmann)

"Wir wollten eine regionale Lösung", erklärt Johanna Retzlaff die mutige Wahl des Nachfolgers, "einen, der sich total identifiziert." Das war eben Luis Prantl; der in Wasserburg lebt und aus dem Verein kommt; der dann, wie er erzählt, als Jugend-Bundesligaspieler beim FC Bayern nicht recht an eine Spielerkarriere glaubte, weshalb er sich früh fürs Coaching interessiert habe: in der Jugend des TSV Wasserburg, nach dem Abi im Nachwuchsstab von Medi Bayreuth. Später Rosenheim, Traunstein, BC Hellenen München. Nun ist er Chef eines Zweitligisten, seine bisher größte Aufgabe. "Es war schon eine große Verantwortung, die wir ihm da aufgebürdet haben", weiß Retzlaff. Doch sie bereut es nicht, auch wenn Prantl etwa mit Manuela Scholzgart noch in der Jugend zusammenspielte. Auch Sophie Perner ist so alt wie er. 2017 war sie Rookie des Erstligateams und er Co-Trainer, auch da kannten sie sich schon länger. "Jetzt bin ich Kapitänin und er Chefcoach - und es harmoniert gut", sagt Perner.

Die Mannschaft ist nicht wesentlich verstärkt worden im Vergleich zu den Chaostagen. Für die ehemalige DBB-Aufbauspielerin Levke Brodersen kam Danielle Shafer, 28, für mehr Tempo und Zug zum Korb; und statt Brittany Autry räumt nun Kayla Simmons, 23, unter den Körben auf, alle aus den USA. Zusammen mit der Portugiesin Tess Santos sind das auf dem Papier drei Profispielerinnen - eine Rechnung, der Luis Prantl widerspricht. Zum einen sei Santos des Berufs wegen gekommen, den sie in Vollzeit ausübe, glücklicherweise spiele sie auch weiter Basketball. Und zum anderen investierten etwa die Studentin Sophie Perner und ihre Schwester Maria, die noch zur Schule geht, derart viel in ihren Sport, dass sie von Profis kaum zu unterscheiden seien.

"Der schlauere Weg wäre, es langsam angehen zu lassen", findet die scheidende Abteilungsleiterin

Tabellenplatz eins jedenfalls ist in Reichweite für den ehemaligen Serienmeister, die Playoff-Teilnahme ist sicher - und das Ziel? "Wir wollen gewinnen", sagt der Coach, "ich sehe eine realistische Chance, ins Finale einzuziehen." Retzlaff sagt: "Wir wollen zeigen, was wir sportlich draufhaben, und gehen aufs Ganze." Doch so deutlich beides klingt, es soll noch nichts besagen zum Thema Aufstieg. Denn dass im Leistungsniveau zwischen erster und zweiter Liga ein eklatanter Unterschied besteht, ist auch Prantl sehr bewusst. "Demütig bleiben" will er, "von Spiel zu Spiel denken" - und vor allem: "weiter die Baustelle richten, in der wir immer noch stehen".

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Das hätte die Abteilungsleiterin kaum schöner ausdrücken können, denn neben den sportlichen Anforderungen sieht Retzlaff auch, was sonst noch dranhängen würde an einem Aufstieg: Verdopplung des Budgets, Wohnungen für Profis, mehr Trainingszeiten, dazu stetig steigende Auflagen, weil die erste Liga ihr Professionalisierungsdefizit aufholen will.

Johanna Retzlaff wird sich im April wieder aus der ersten Reihe zurückziehen, "aus privaten Gründen", wie sie sagt, sie werde der Abteilung aber "sehr verbunden bleiben" und sich weiter einbringen. Seit sie das Amt übernahm, war sie damit beschäftigt, Altlasten loszuwerden, Arbeit und Verantwortung wieder auf viele Schultern zu verteilen. Sie hat Mitstreiter fürs Social Media gefunden und für die Abteilungsleitung (damit nun auch potenzielle Nachfolger), und sie hat viel Geld und Personal in die Jugendarbeit umgeleitet, wie sie betont. Die Talente, die sie gerade einbauen, würden in der ersten Liga vielleicht keine Spielminute abbekommen. Noch stehen sie ja gar nicht vor einer solchen Entscheidung, aber Retzlaff findet: "Der schlauere Weg wäre, es langsam angehen zu lassen und lieber noch ein paar Jahre in der zweiten Liga an den Strukturen zu arbeiten."

Vielleicht würde er sich doch keine großen Sorgen machen, der Prantl Joe, wer weiß. Aber stolz wäre er.

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