Basketball in Ulm:Aschenputtel will nicht träumen

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Der erst 19-jährige Ulmer Spielmacher Juan Núñez (re.) erregt gerade mit seinen starken Leistungen Aufsehen. (Foto: H. Langer/Imago)

Prominente Weggänge - und trotzdem auf Platz eins: Der deutsche Basketball-Meister Ulm überrascht erneut die Konkurrenz, auch dank neuer Talente. Nur Trainer Gavel warnt vor "dunklen Zeiten".

Von Ralf Tögel, Neu-Ulm

Plötzlich flossen bei Brandon Paul wieder Tränen. Als der Basketball-Profi seinen Meisterring von den Ulmer Geschäftsführern Thomas Stoll und Andreas Oettel auf dem Parkett der Ulmer Arena überreicht bekam, erging es ihm wie vor fünf Monaten an derselben Stelle, als der 32-Jährige kurz von seinen Gefühlen übermannt wurde. Es war die hochemotionale Rückkehr des Flügelspielers an seine alte Wirkungsstätte, wo er mit dem schwäbischen Bundesligisten den ersten Meistertitel gefeiert hatte. Dieses Wiedersehen illustrierte aufs Trefflichste, was mit dem deutschen Basketball-Meister seither geschehen ist.

In Paul, Spielmacher Yago dos Santos, Center Bruno Caboclo und Joshua Hawley haben die wohl vier entscheidenden Spieler für diesen überraschenden Triumph den Verein verlassen. Während sich das brasilianische Duo dos Santos und Caboclo den beiden finanzstarken serbischen Euroleague-Vereinen Roter Stern und Partizan angeschlossen haben, zog es Hawley in die französische Liga zu Blois Basket. Was man sportlich als Rückschritt bezeichnen darf, aus finanzieller Sicht aber als nachvollziehbare Entscheidung, wie Thorsten Leibenath findet: "Er ist jetzt 27 Jahre alt, da muss ein Profi auf das beste Angebot schauen", erklärte der Ulmer Sportdirektor ohne Groll. Denn dieser Meistertitel hat nicht nur den Verein ein ganzes Stück weiter ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, er hat auch bei der Konkurrenz Begehrlichkeiten geweckt. Dos Santos und Caboclo etwa würden mittlerweile das "Sechs- bis Achtfache verdienen", schätzt Leibenath.

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Brandon Paul war mit dem montenegrinischen Serienmeister Buducnost Podgorica am vergangenen Dienstag in die Ulmer Arena zurückgekehrt, zum sportlichen Vergleich im Eurocup. Das ist der zweithöchste europäische Wettbewerb hinter der Euroleague, Ulm gewann nach einer feinen Leistung mit 84:67 Punkten. Dass die Ulmer keinen Startplatz in der Euroleague bekommen haben, die bekanntlich aus dem Wettbewerb der Landesmeister entstanden ist, auch das ficht die Verantwortlichen nicht weiter an. "Das ist ein privater Wettbewerb, da werden große Städte wie Berlin oder München vorgezogen", erklärt Geschäftsführer Stoll.

In der Tat, die europäische Königsklasse ist eine geschlossene Liga, getragen von den beteiligten Schwergewichten des Kontinents - Metropolen mit großen Basketballvereinen wie Barcelona, Madrid, Mailand, Athen, Istanbul oder eben dem FC Bayern, der kürzlich eine A-Lizenz und damit permanentes Startrecht erhalten hat, sind für das wirtschaftlich orientierte Konzept unerlässlich. Berlin und München im Übrigen wurden von den Ulmern auf ihrem Weg zum Meistertitel in dieser Reihenfolge aus dem Titelrennen befördert, ehe Bonn in der Finalserie mit 3:1 Siegen bezwungen wurde.

"Wahrscheinlich müssten wir den Eurocup gewinnen, um in der Euroleague spielen zu dürfen", sagt Stoll. Selbst das scheint angesichts des Ulmer Laufs nicht ausgeschlossen zu sein. Im Eurocup steht die Mannschaft von Trainer Anton Gavel nach fünf Siegen aus sieben Spielen prächtig da, in der Bundesliga führen die Schwaben nach sechs Siegen das Tableau sogar an - vor den beiden Euroleague-Teilnehmern aus Berlin und München. Das war nach dem Verlust besagter vier Schlüsselspieler nicht zu erwarten, aber der Meister hat die Lücken effektiv geschlossen: In US-Center Williams Trevion, dem brasilianischen Spielmacher Georginho de Paula, L. J. Figuera (Dominikanische Republik) und Dakota Mathias (USA) kamen vier Akteure, die sich bisher nahtlos in die Mannschaft einfügen. Zudem wurde der Rest des Kaders gehalten, was vorwiegend auf den deutschen Positionen eine wichtige Rolle spielt - wo sich etwa Karim Jallow zu einem Anführer entwickelt hat.

Bei Ulm besticht ein 19-jähriger Spielmacher

Die Ulmer sind bekannt für ihr gutes Scouting, wozu man auch Glück benötige, wie Stoll zugibt: Bei jeder Verpflichtung "müssen wir ins Risiko gehen". Denn dass sich die Spieler derart gut entwickeln wie in der Meistersaison, ist nicht selbstverständlich, oft sind es Akteure, die sich etwa in der NBA nicht durchsetzen konnten, auf der Vereinssuche wenig Fortune hatten oder erstmals ins Ausland gehen. Und wenn die Zugänge so richtig einschlagen, sind sie nicht zu halten. Das könnte bald auf Spielmacher Juan Núñez zutreffen, der Spanier ist 19 Jahre alt und erregt nicht nur in der Bundesliga Aufsehen. Das sei nun mal das Schicksal "eines Ausbildungsvereins", erklärt Leibenath, wozu der Sportdirektor einen interessanten Ansatz hat: "Wieso soll das ein Nachteil sein? So haben die Fans in den vergangenen Jahren immer wieder sehr interessante Spieler gesehen." Wie Cristiano Felício. Der Center war vor zwei Jahren mangels passendem Angebot von den Chicago Bulls aus der NBA nach Ulm gewechselt - und war eine Attraktion in der Liga.

Immer schön bescheiden bleiben: Ulms Meistertrainer Anton Gavel. (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

In der vergangenen Saison war die "Ulmer Cinderella-Story", wie Stoll die Spielzeit nennt, die Attraktion in der Bundesliga - und momentan ist kein Ende abzusehen. "Es werden auch wieder dunkle Zeiten kommen", warnt hingegen Anton Gavel. Will man bei diesem Bild bleiben, dann ist der Ulmer Trainer das Aschenputtel in der Geschichte. Gavel hat sein erstes Bundesligajahr an verantwortlicher Position mit dem maximalen Erfolg abgeschlossen, für große Euphorie sieht er dennoch keinerlei Grund. Was denn dieser Erfolg mit ihm gemacht habe? "Gar nichts", sagt der Mann, der als Spieler fünfmal deutscher Meister war, "ich habe noch viel zu lernen." Gerade hat der ehemalige Nationalspieler, der 2019 als Coach der zweiten Mannschaft in der dritten Liga in das schmucke Leistungszentrum Orange Campus wechselte, seinen Trainerschein bestanden. Sein Ziel für diese Saison? "Ach, es sind gerade mal sieben Spiele gespielt, abwarten." Er werde weiter hart arbeiten, für Träumereien, etwa von einem großen Euroleague-Klub, habe er schon gar keine Zeit, außerdem: "Ich bin hier am richtigen Ort."

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