Tennis:Beckers neues Trainerprojekt nimmt Fahrt auf

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Erlösung: Holger Rune quält sich zum Auftakt in Basel eine Runde weiter. (Foto: Camilla Stolen/Imago)

Erstmals betreut Boris Becker Holger Rune bei einem Turnier. Der frühere Wimbledonsieger macht klar: Seine Methoden, die einst bei Novak Djokovic fruchteten, sollen nun auch den Dänen zu Erfolgen führen.

Von Gerald Kleffmann

Das erste Motiv, das diese neue, viel beachtete Kooperation öffentlich optisch besiegelte, zeigte zwei Männer vor einem Schachbrett sitzend. Links grübelte Holger Rune, rechts Boris Becker. Die Lage der Figuren verriet, dass Becker mit seinem zweiten Zug an der Reihe war. Um der Dramatik zusätzlich auf die Sprünge zu helfen, stand das Wort "Focus" über den Akteuren auf dem Foto, platziert auf Runes Instagram-Account. Der Moment war nicht so werbewirksam wie jener, als die Fußballgranden Lionel Messi und Cristiano Ronaldo ebenfalls Bauer und Könige verschoben, damals zu Marketingzwecken für eine Luxusmarke. Aber Zeichen sollten auch mit dieser Aktion gesendet werden. Die zwei meinen das ernst miteinander. Das dürfen jetzt alle wissen.

Es hatte zuvor wahrlich Tage der Geheimniskrämerei gegeben, ehe das Duo scheibchenweise kundtat, was nach SZ-Informationen längst festgestanden hatte. Rune, 20, Sechster der Weltrangliste, eines der größten Talente im Männertennis, und Becker, 55, dreimaliger Wimbledonsieger, der in den vergangenen Jahren erhebliche private Turbulenzen erlebte, als Trainer aber nachweislich Fähigkeiten besitzt, haben sich also zusammengetan.

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Die Tennisgröße ist zurück als Trainer: Der 55-Jährige hilft dem dänischen Weltranglisten-Sechsten Holger Rune - für beide ist es eine Chance in einer schwierigen Phase.

Von Gerald Kleffmann

Rune braucht dringend Hilfe. Er stieg schnell in die Top Ten auf, seit dem Sommer hatte er jedoch acht von neun Partien verloren. Er hatte sich schließlich auch von seinem On-und-Off-Coach Patrick Mouratoglou getrennt und über Instabilität in seinem Team geklagt, die ihm zu schaffen mache. Mit Becker soll das anders werden. Der kursierende Begriff eines "Supercoaches" ist allerdings doch etwas übertrieben. Der Plan ist, dass Lars Christensen Runes Hauptverantwortlicher bleibt und Becker zusätzlich sein Wissen beiträgt, als Trainer eben.

Beim Turnier in Stockholm vor einer Woche verlor Rune sofort, gegen den Serben Miomir Kecmanovic, Becker war nach einer Woche gemeinsamen Trainings in Monte-Carlo nicht nach Schweden gereist. Aber in Basel ist er nun dabei; Becker lebt in Mailand. Es ist wie immer recht unterhaltsam, wie das sogenannte Netz reagiert, aber nachdem Rune am Dienstagabend Kecmanovic, erneut sein erster Gegner, diesmal 1:6, 7:5, 6:3 besiegte, obwohl er fast am Verlieren war, beschwören einige bereits den "Becker-Effekt". Natürlich ist es für eine solche Interpretation zu früh. Der Start immerhin ist geglückt, wenn auch auf kuriose Weise.

Signale aus der Box: Boris Becker (rechts) während seines ersten Matches als Trainer von Holger Rune. (Foto: Vincent Voegtlin/Maxppp/Imago)

Vor seinem ersten Einsatz in der Box, dem Bereich, in dem die Trainer und Betreuer sitzen, war Becker noch nach Wien geflogen. Er ist mit der dort tätigen Veranstaltungsagentur verbandelt, die gerade das ATP-Turnier in Österreichs Hauptstadt ausrichtet. Bereits im Sommer war er in Stuttgart als Berühmtheit von jener Agentur verpflichtet worden, um das Rasenturnier am Killesberg zu promoten; in Wien tat er das Gleiche, wobei es bemerkenswert war, wie ausführlich er bei der Gelegenheit Alexander Zverev lobte - als frischer Trainer Runes wohlgemerkt. Zverev ist pikanterweise auch noch Runes Konkurrent um die letzten Teilnahmeplätze bei den ATP Finals im November in Turin. Abends saß Becker wieder in Basel am Platz, beziehungsweise: Er stand meist. Er greift, das fiel schnell auf, auf Coaching-Methoden zurück, mit denen er mit Novak Djokovic in den drei Jahren zwischen 2014 und 2016 erfolgreich gewesen war (sein Job beim DTB als "Head of Men's Tennis" war im Rückblick eher repräsentativ). Dazu zählte auch: dem eigenen Spieler immer signalisieren, dass man da ist. Dass er Energie von außen erhält. Und dass er mit Köpfchen agieren solle.

Becker, da ist er ganz der Schachspieler, denkt in alle Richtungen

Die gegenseitigen Erwartungen sind groß. Dass Djokovic, der Überflieger der Branche, nun aufgrund Beckers Vergangenheit als Maßstab herangezogen wird, stört Rune kein bisschen. "Es wäre schön, etwas von dem klauen zu können, was beide zusammen erreicht haben. Sie haben gemeinsam so viele Dinge richtig gemacht, vielleicht verrät Boris mir davon etwas", sagte er. Becker zieht offen den Vergleich zu seinem früheren berühmten Spieler. "Holger ist ein Rohdiamant, der geschliffen werden muss", befand er in einem Eurosport-Podcast, der Sender bezahlt ihn ebenfalls für Auftritte dieser Art. "Mir gefallen seine emotionalen Ausbrüche. Ich habe schon einmal einen gecoacht, der hieß Djokovic, der war auf dem Platz auch manchmal nicht ganz bei sich. Aber: Das ist erlaubt", sagte Becker über Rune. "Der Trainer und die Trainergruppe ist die Oase, wo der Spieler sich mal entschlacken muss." Nicht zu Unrecht sehen manche eine Art Mini-Nole in Rune; Nole ist Djokovics Spitzname. Becker mag manches in seinem Leben nicht in den Griff bekommen haben, im Tennis war er stets einer der kompetentesten Akteure und später ein Deuter, der vor allem die Kraft mentaler Stärke beschwor.

"Es ist nun mal so, dass große Matches nicht durch die Technik oder die Beinarbeit gewonnen werden", hatte er einmal bezeichnend vor Jahren der SZ erklärt. "Sondern durch das Herz und die Seele. Und dass man im entscheidenden Moment tougher ist." Manche Gedanken Beckers heute klingen eher oldschool ("die Umkleidekabine schläft nicht"), aber Rune hört sie ja aufgrund seines jungen Alters zum ersten Mal. Er ist empfänglich. "Boris hat sich als Trainer von Djokovic und als Spieler gut geschlagen. Ich bin gespannt, was er zu sagen hat", betonte er.

Becker wiederum ist schlau genug zu erkennen, dass er sich mit der einflussreichen Mutter Runes gutstellen muss, nichts im Tennisleben passiert ohne Mitsprache Anekes, die ihren Sohn zuletzt vor Kritik schützte und die Medien anging. Becker, schilderte er, telefoniere oft mit ihr. "Ich kann ihm nur helfen, wenn ich genau weiß, wie es ihm geht. Das gilt nicht nur auf dem Platz, sondern auch für sein Privatleben. Hat er Sorgen, hat er einen Höhenflug, etc.? Ich muss die Gründe wissen, warum er heute müde, morgen aber wieder fit ist." Becker, da ist er der Schachspieler, denkt in alle Richtungen.

Lars Christensen fehlt erstaunlicherweise in Basel (dafür ist der Fitnesstrainer mit dem schönen Namen Lapo Becherini dabei), und wie der dänische Sender TV2 Sport vermeldete, wird er nicht nur dort passen. Aneke Rune habe dem Sender mitgeteilt: "Es ist Lars' eigene Entscheidung, nicht in Stockholm, Basel und Paris zu sein." Das klang seltsam distanziert. Ob erste Spannungen vorliegen, wird man sehen. Beckers neuestes Trainerprojekt jedenfalls hat Fahrt aufgenommen. Am Donnerstag trifft Rune auf den Argentinier Sebastián Báez. Dann wird Becker wieder wie einst bei Djokovic stehen, sein Pokergesicht machen und die typischen Becker-Signale senden.

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