ATP-Turnier in Stuttgart:Slice und Stopp und trallala

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En garde! Oscar Otte bei seinem Achtelfinalsieg in Stuttgart gegen den Weltranglisten-16. Denis Shapovalov. (Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty)

Oscar Otte spielt ein sehr eigenwilliges Tennis - zunehmend erfolgreich. Da Alexander Zverev verletzt pausieren muss, ist der Kölner zurzeit sogar der beste deutsche Profi in der Weltrangliste.

Von Gerald Kleffmann, Stuttgart

Sein erstes Match auf Rasen? Oscar Otte sitzt in einem winzigen Raum auf der Anlange des TC Weissenhof, jetzt überlegt er kurz. "2017 in der Qualifikation von Wimbledon", fällt ihm ein. Sein Blick verrät: Da kommt noch eine Pointe. Und sie kommt. "Da hab ich eine schöne Klatsche von Daniel Brands kassiert", erzählt Otte mit staunenden Augen. "Ich hatte mich todesunwohl auf dem Belag gefühlt." Schon im Training sei er "ausgerastet und durchgedreht", er habe auf Rasen "einfach nicht gewusst, was ich machen soll". Überhaupt, seine Emotionen früher. Ein Ungezügelter sei er gewesen. "Ich habe nur gelabert, nur getextet. Auch wenn ich mit Doppelbreak im dritten Satz geführt und nur ein Break kassiert habe." Heute ist er, so gesehen, ein anderer Mensch. "Das mit den Ausbrüchen habe ich ganz gut hinbekommen."

So ist es, wie er auch bei seinen beiden tadellosen Siegen bislang beim ATP-Turnier in Stuttgart demonstrierte. Am Montag hat er den deutschen Kollegen Daniel Altmaier bezwungen, an diesem Donnerstag gar den Weltranglisten-Sechzehnten, Denis Shapovalov aus Kanada, 7:6 (6), 7:6 (4) im Achtelfinale. Wobei Otte schon noch die Gabe besitzt, originell zu texten.

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In der Pressekonferenz hatte er auf die Frage, wie er das finde, nun der beste aktive deutsche Tennisprofi sein, da Alexander Zverev nach seinem Sturz bei den French Open fehle, geantwortet: "Ganz ehrlich, das hört sich vollkommen krank an für mich." Und wenn ihm jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, er sei mal die deutsche Nummer eins oder auch nur die Nummer zwei, "hätte ich gesagt: Alter, was ist denn mit dir los?". Dabei muss man ja eher fragen: Was ist los mit Oscar Otte, 28, aus Köln und wohnhaft in Essen? Der ist auf einmal so gut?

Die Aktion mit dem angedeuteten Joint machte Oscar Otte im Internet berühmt

In der Weltrangliste wird Zverev auf Platz zwei geführt, und selbst wenn der 25-Jährige, der sich gerade von seiner Operation am Sprunggelenk erholt, noch länger ausfallen sollte, wird ihn Otte nicht einholen können. Aber von jenen deutschen Profis dahinter, die zurzeit fit sind und dieser Tage bei der Boss Open am Killesberg antreten, steht niemand höher als Otte. Mindestens Nummer 53 wird er nach der Veranstaltung sein. Bezwingt er am Freitag im Viertelfinale den Franzosen Benjamin Bonzi (ATP-58.), wird er in die Top 50 einziehen, so hoch stand er nie. Es sei ein "cooles Gefühl, quasi fast ganz oben angekommen zu sein", sagt er und betont: "Aber das ist noch lange kein Grund abzuheben."

Das dürfte bei diesem 1,93-Meter-Schlaks nicht zu befürchten sein. Denn seit er im vergangenen Jahr erstmals die größeren und großen Bühnen seines Sports betreten hat, nachdem er sich zuvor bei Challenger-Turnieren verdingte, ist klar: Solche Auftritte haben ihn nicht überfordert, nicht eingeschüchtert. Legendär war nicht nur seine packende Fünfsatzniederlage in Wimbledon gegen den dreimaligen Grand-Slam-Sieger Andy Murray (der am Donnerstag in Stuttgart den Kasachen Alexander Bublik 6:3, 7:6 besiegte).

Zu einem Meme, einem dieser gefeierten Bilder im Internet, wurde seine Reaktion, als er bei einem Ballwechsel mit dem Schotten ausgerutscht war. Da legte sich Otte flach hin und tat so, als rauche er Gras, also einen Joint. Darauf muss man in einer solchen Situation erst mal kommen. "Die Strafe dafür habe ich dann auch in Kauf genommen", erzählte Otte Ende April amüsiert beim Turnier in München, wo er ebenfalls schon begeisterndes Tennis geboten und das Halbfinale erreicht hatte.

Kommt beim Publikum an: Oscar Otte jubelt nach seinem Match am Donnerstag. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Deutsche Turniere liegen ihm, sagt er, und er kommt bei diesen auch an. In Stuttgart war, wie in München, diese Metamorphose der Zuschauer zu spüren: Erst schauen sie sich in Ruhe diesen Zwirbler an, auf einmal werden sie Feuer und Flamme für diesen Kerl.

Otte wirkt eben wie einer, der alles gibt, dazu wartet er mit einem unterhaltsamen Spielstil auf. "Ich sehe mich als intuitiven Spieler", so beschreibt er sich und sagt in einem Rutsch: "Mein Coach labert mich auch vor einem Match nicht voll, er kennt mich gut. Ich mache es dann ja eh nicht so. Ich entscheide auf dem Platz, wie ich den nächsten Ball spiele. Ich weiß es manchmal selber gar nicht. Es kommt so aus mir raus, wie es mir gerade einfällt." Mit seinem Vorbild Roger Federer würde er sich nie vergleichen, eher mit dem Kroaten Marin Cilic, nur: "Ich mach auch mal Slice und Stopp und trallala." Auch Murray war übrigens begeistert von Otte, am Netz in Wimbledon hatte er zu ihm gemeint: Bleib dran!

Otte blieb dran, und als Hauptgrund seines relativ späten Kletterns in der Rangliste nannte er wiederholt die langjährige Arbeit mit seinem Trainer Peter Moraing. Der 60-Jährige war mal die Nummer 142 der Weltrangliste. Selbst nach Phasen, in denen es nicht lief, vertraute ihm Otte. Irgendwann habe es "Klick gemacht". Vor allem im Kopf. Matches wie gegen Murray haben ihm gezeigt: "Hey, ich kann da wirklich mithalten." Jetzt freilich will Otte mehr, er empfinde es überhaupt nicht als Bürde, das deutsche Männertennis plötzlich als Übergangs-Nummer-Eins zu repräsentieren. "In der Rolle zu sein, ist unglaublich, das pusht mich natürlich noch extrem mehr." Und dann schlussfolgert er in der ihm eigenen Art: "Ich werde mich jetzt nicht auf die faule Haut legen."

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