Sicher schien sich Kai Havertz nicht zu sein, wie er den Gewinn des englischen Supercups (Community Shield) mit dem FC Arsenal einordnen sollte. Er ballte nach dem Sieg im Elfmeterschießen am Seitenrand zwar die Faust, richtete den Blick aber dann sofort auf seine Mitspieler. Wie ausgelassen darf der Jubel sein?
In seiner jungen Laufbahn hat der deutsche Nationalspieler bereits einige bedeutende Trophäen gewonnen. Vor seinem Wechsel zu Arsenal in diesem Sommer hatte er den FC Chelsea mit Siegtoren zum Champions-League-Gewinner (2021) und Klubweltmeister (2022) gemacht. Havertz schien sich also erst mal vergewissern zu wollen, ob es in diesem nachrangigen Community Shield angebracht war, den Erfolg ähnlich ausgelassen zu feiern. Zumal Arsenal als Meisterschaftszweiter in den Supercup quasi nachgerückt war, weil Manchester City als Meister und FA-Pokalsieger schlecht gegen sich selbst antreten konnte.
Die Reaktion der Teamkollegen fiel eindeutig aus: Sie stürmten direkt nach dem siegbringenden Elfmeter von Fábio Vieira auf den Schützen zu, Havertz folgte mit kurzer Verzögerung. Gemeinsam mit seinen Mitspielern feierte er den Erfolg, als wäre die Saison soeben zu Ende gegangen und würde nicht am kommenden Wochenende mit dem Premier-League-Start erst richtig losgehen.
Vermutlich übermannte Havertz nicht nur Euphorie, sondern auch Erleichterung: Er hatte zuvor einige Torchancen vergeben. Und auch für Arsenal dürfte der erste Titel seit dem 2020 gewonnenen Community Shield weniger essenziell gewesen sein als der Sieg über City an sich. Zuletzt hatte der Verein acht Mal gegen den Dauerchampion verloren (Torverhältnis 4:21).
Arsenals hart errungenes 5:2 nach Elferschießen im Wembley-Stadion am Sonntag (nach regulärer Spielzeit stand es 1:1) wertete Torwart Aaron Ramsdale erstaunlich offen als "Statement" für die Meisterschaft, den Rivalen schlagen zu können. Er sei überzeugt, dass hiermit die "mentale Blockade" im eigenen Team überwunden sei. Nach dem Rückstand durch einen herrlichen Schlenzer des City-Talents Cole Palmer (77. Spielminute) erzielte der eingewechselte Leandro Trossard mit einem abgefälschten Tor für die "Gunners" den Ausgleich (90.+11). Der Prestigeerfolg dürfte Motivation und Zuversicht in der Mannschaft fördern - und den Spielern vor allem ein wenig den Druck nehmen.
Arsenal rüstet auf, um die Vormachtstellung von Manchester City zu brechen
Nach dem überraschenden zweiten Platz in der Vorsaison ist der Verein bestrebt, den Abonnementmeister Manchester City dauerhaft herauszufordern. Dafür investierte man in jeden Mannschaftsteil, insgesamt knapp eine Viertelmilliarde Euro. Es kamen Innenverteidiger Jurriën Timber, Mittelfeldabräumer Declan Rice sowie Spielmacher Havertz. Mehr Geld hat bisher kein anderer englischer Klub in dieser Transferphase für Spieler ausgegeben. Schon in den Vorjahren zahlte Arsenal jeweils dreistellige Millionenbeträge für Ablösen, womit sich die Ausgaben seit 2021 auf stattliche 600 Millionen Euro belaufen. Die Zugänge sind wegen der zusätzlichen Belastung in der Champions League notwendig geworden: Erstmals seit sieben Jahren starten die Londoner wieder in der Königsklasse.
Eigentlich sollen Rice und Havertz zusammen mit Spielführer Martin Ödegaard, alle 24 Jahre alt, eines der aufregendsten Mittelfeld-Gespanne im Spitzenfußball bilden. Doch dieser Plan liegt plötzlich auf Halde. Vor wenigen Tagen musste sich Mittelstürmer Gabriel Jesus am Knie operieren lassen, die Verletzung hatte ihn in der Vorsaison schon mehrere Monate gekostet. Der Brasilianer wird Arsenal einige Wochen fehlen. Als Stellvertreter beorderte Trainer Mikel Arteta gegen City, fast schicksalhaft, Havertz in den Angriff. Bereits in der vergangenen Spielzeit musste der Offensivallrounder, der am liebsten im Mittelfeld spielt, mangels Alternativen bei Chelsea die Rolle des Torjägers übernehmen. Trotz einer Vielzahl an Chancen gelangen ihm nur neun Treffer in 47 Pflichtspielen. Auch um dieser Situation zu entkommen, trieb er den Wechsel zu den Rot-Weißen (für 75 Millionen Euro Ablöse) voran. Und erlebte nun gleich im ersten Pflichtspiel ein Déjà-vu .
Nach wunderbaren Kombinationen kam Havertz in der ersten Halbzeit gegen ManCity gleich zweimal im Strafraum aussichtsreich zum Abschluss, scheiterte aber jeweils am schnell reagierenden City-Torwart Stefan Ortega, der in den nationalen Pokalwettbewerben Stammkeeper Ederson ersetzt. Im wenig zimperlichen englischen Radiosender Talksport wurde gespottet, Havertz würde nicht mal ein "Scheunentor" treffen. Um die unliebsame Debatte über die Chancenverwertung seines Spielers abzuschwächen, hielt Arteta nach dem Match eine Lobeshymne auf seinen Zugang. Havertz sei "großartig" gewesen, erklärte der Spanier: sein Forechecking, die Physis, das Spielverständnis. Dass er keinen Treffer erzielt habe, sei einfach Pech gewesen. In der Schlussphase stellte Arteta um, ließ Havertz für kurze Zeit auf der geplanten halblinken Mittelfeldseite agieren und wechselte ihn dann aus.
Sein Pflichtspieldebüt für Arsenal gab durchaus Aufschluss darüber, über welch begabtes Team die "Gunners" verfügen. Allerdings wirkt die Startelf noch wenig eingespielt, und die Erwartungshaltung rund um den Verein hat spürbar zugenommen. Um die Transferausgaben zu refinanzieren, gilt die erneute Qualifikation für die Champions League fast als Pflicht. Am liebsten wollen sie das in Nordlondon mit der Meisterschaft verbinden. Doch nur einer der vergangenen zwölf Community-Shield-Sieger holte anschließend den Liga-Titel: Manchester City.