Angelique Kerber:Das Turnier ihres Lebens

Wimbledon

Endlich am Ziel ihrer Träume: Angelique Kerber darf die Rosewater-Dishes-Trophäe küssen.

(Foto: Toby Melville/Reuters)
  • Dass Angelique Kerber in diesem Jahr in Wimbledon triumphiert, liegt auch an ihrem neuen Trainer Wim Fissette.
  • Der Belgier hat ihr beigebracht, dass man große Titel vor allem dann gewinnen kann, wenn man nicht länger nur läuft und die Bälle zurückbringt.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen in Wimbledon.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Erstaunlich leer war die Terrasse des Spielerbereichs, in dem am Mittag noch Gedränge geherrscht hatte. Viel Prominenz war ja über den grünen Kunstrasen geschritten, ehe dieses wichtigste Match im Frauenturnier begann. Anna Wintour, Lewis Hamilton und Tiger Woods etwa hatten sich als Zuschauer auf den Centre Court begeben, der nun still vor sich hindöste.

Martina Navratilova, die früher so fantastisch Serve&Volley gespielt hatte, schritt vorbei. An einem der Holztische saß ein Grüppchen. André Kreidler kam gerade an, der Physio, der kürzlich noch den Olympiasilber-Schränken des deutschen Eishockey-Teams die Muskeln geknetet hatte. Er trug einen Teller mit Pasta und Salat in der Händen. Auf dem Tisch standen Wasserflaschen. "Ich bin geschafft und kann eigentlich gar nicht so viel sagen", sagte die Dame neben ihm. Tüten, gefüllt mit Utensilien aus dem Souvenirshop, standen auf dem Boden. Vorhin noch war Beata Kerber überlebensgroß überall zu sehen gewesen. Auf den Videoleinwänden, als sie eingeblendet worden war. Sie setzte sich erst mal und atmete durch. Was für ein Tag.

Wann gewinnt das eigene Kind schon mal Wimbledon?

Angelique Kerber hatte es jedenfalls geschafft. Die 30-Jährige hatte an diesem Samstag im Finale Serena Williams mit 6:3, 6:3 so deutlich beherrscht, wie es das Ergebnis andeutet. Es war ihr erster Titel in Wimbledon, es war der erste deutsche seit 22 Jahren, als Steffi Graf 1996 die letzte ihrer sieben Rosewater Dishes in Empfang nehmen durfte. Nun aber war Kerber noch irgendwo unterwegs, in Pressekonferenzräumen, Fernsehstudios, auf dem Clubhaus-Balkon, bei Sponsoren. Einfach mal so bei der berühmtesten Veranstaltung im Tennis siegen und dann schön feiern gehen, so ist das nicht mehr.

Vorhin, ehe sie zu den Medien sprach, hatte Kerber sich noch in einer Blitzzeremonie eine lila Brosche anstecken lassen, unterhalb der rechten Schulter. Vorstandsmitglied Richard Stoakes begrüßte das neueste Mitglied im All England Lawn Tennis and Croquet Club. Die einfachste Art, dort aufgenommen zu werden, sagen sie hier gerne, genüsslich und leicht snobistisch lächelnd, sei es, Wimbledon zu gewinnen. Ansonsten keine Chance. Die Liste: dicht. Versuchen Sie es im nächsten Leben wieder!

Es traf sich also vorzüglich, dass Kerber das Turnier ihres Lebens gespielt hatte.

"Ja, es war das perfekte Turnier", bestätigte jedenfalls auch Wim Fissette, ein freundlicher, zurückhaltender Belgier, der Kerber im vergangenen Herbst als Trainer übernommen hatte. Er kam quasi als Feuerwehrmann. "Sie hatte die richtigen Matches gehabt als Vorbereitung für das allergrößte Match", sagte Fissette. Erste Runde, die frühere Finalistin Wera Zvonarewa, 33, aus Russland als Gegnerin, gut zum Reinkommen ins Turnier. Zweite Runde die aufmüpfige Amerikanerin Claire Liu, 18, sie biss sich nach einem Satzverlust durch. Test bestanden. "Ich wusste danach, ich muss mein Tennis steigern", gab Kerber einsichtig zu. "So kann ich das Turnier nicht gewinnen."

"Sie ist richtig herausgefordert worden", sagt ihr Trainer

Sie bezwang daraufhin die hart schlagende Naomi Osaka, 20, aus Japan, eine, der eine große Karriere vorhergesagt wird. Die kraftvolle Schweizerin Belinda Bencic, 21, gegen die sie in vier Duellen nie gewinnen konnte. Die schlitzohrige Russin Daria Kassatkina, 21. Als letzte beim Ansturm der neuen Generation Jelena Ostapenko, 21, die draufhaut wie bei einem Himmelfahrtskommando. Die Lettin hatte 2017 so die French Open gewonnen. "Sie ist richtig herausgefordert worden", urteilte Fissette über seine Spielerin. Kerber hatte tatsächlich unterschiedliche Hürden gemeistert, und das mit einer Taktik, die neu ist für sie. Sie hat jetzt mehrere Taktiken. "Sie hat festgestellt, dass man nur mit Laufen und Bälle zurückbringen zwar Matches gewinnen kann, aber keine großen Turniere", erklärte Fissette weiter. Das Ziel sei es gewesen, "auch mal öfter den Spielplan zu ändern".

"Sie spielte von ersten bis zum letzten Punkt wirklich gut"

Die überdreht agierenden Kassatkina und Ostapenko ließ sie cool wie ein Türsteher auflaufen, indem sie ihnen die Fehler überließ. Williams, in ihrem vierten Turnier seit der Rückkehr als Mutter sicher nicht ganz austrainiert, überrumpelte sie mit energischem Winkelspiel und druckvollen, langen Schlägen. Kerber spielte, wie Williams spielen wollte. Das war fast frech. "Das ganze Paket kam zusammen", lobte Fissette, der mit der Landsfrau Kim Clijsters bereits drei Grand-Slam-Titel errungen hatte. "Sie hat super aufgeschlagen, sie hat offensive Stärken gezeigt wie auch ihre defensive Qualität."

Geholfen hat Kerber auch ihre Erfahrung. Sie sei ja schon 30 Jahre alt, sagte sie, als sie bei ihrer Pressekonferenz erklären sollte, wie sie es schaffe, in wichtigen Partien nicht zu enttäuschen. In Melbourne bei den Australian Open hatte sie in ihrem allerersten Grand-Slam-Endspiel Serena Williams bezwungen. Im Wimbledon-Finale danach war sie der inzwischen 23-maligen Grand-Slam-Siegerin fast ebenbürtig. Bei den US Open 2016 jubelte sie auch, weil Karolina Pliskova ihr Können im letzten Moment nicht umsetzen konnte. Nur beim Olympia-Finale in Rio de Janeiro hatte Kerber das Pech, dass Monica Puig aus Puerto Rico sich die Seele für ihr kleines Land aus dem Leib gekämpft hatte.

"Ich kenne das Gefühl, da rauszugehen zu Halbfinals und Finals", sagte Kerber. Sie fokussiere sich auf sich. Im Match gegen Williams saß wahrlich Prominenz in der Royal Box, etwa Kate und Meghan, die Mitglieder des Königshauses, die tags darauf auch in allen englischen Zeitungen abgelichtet wurden. "Ich habe nicht hoch geschaut", versicherte Kerber, und wer will ihr das nicht glauben?

Nur einmal verlor Kerber den Überblick

Sie hatte für die Decodierung von Williams nur 65 Minuten benötigt. Sie hatte gar keine Zeit für Sightseeing der anderen Art. "Sie spielte vom ersten bis letzten Punkt wirklich gut", erkannte Williams an, "sie spielte unglaublich heute." Nur einmal verlor Kerber den Überblick. Sie konnte sich nicht mehr genau an den Matchball erinnern. "Sie hat beim Return den Ball verschlagen, oder?" Ja, so war es. Und schon lag sie flach am Boden und schlug die Hände übers Gesicht.

Auch bei den Feierlichkeiten hat Kerber übrigens dazugelernt, anders als in Melbourne hatte sie diesmal in London in Maßen getrunken, auch wenn es wieder spät wurde. Am Sonntag kehrte sie in den All England Club zurück, einige Gespräche standen wieder an. Und sie suchte sich im Kleiderfundus etwas Passendes für das traditionelle Champions Dinner aus, das am Abend anstand. "Schlichtes" und etwas "ohne Blingbling" habe sie gewählt, verriet sie, etwas, "das zu Wimbledon passt". So wie ihr Spiel bei diesem Turnier.

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