Wimbledon:Das turbulente Jahr der Angelique Kerber

Wimbledon: Da sinkt sie zu Boden: Angelique Kerber gewinnt Wimbledon

Da sinkt sie zu Boden: Angelique Kerber gewinnt Wimbledon

(Foto: AFP)
  • Die neue Wimbledon-Siegerin hat zwölf turbulente Monate hinter sich. Vor einem Jahr schied Angelique Kerber noch im Achtelfinale des Rasenturniers aus - und stellte danach alles auf den Kopf.
  • Ende Ende des Jahres trennte sie sich etwa von ihrem langjährigen Trainer Torben Beltz, seitdem arbeitet sie mit dem Belgier Wim Fissette zusammen.
  • 2018 könnte das beste Jahr ihrer Karriere werden.

Von Matthias Schmid

Als sich Angelique Kerber am Samstag um exakt 17.18 Uhr in den Staub des legendären Centre Court in Wimbledon fallen lässt, geht auch ein turbulentes und bewegendes Jahr für die beste deutsche Tennisspielerin zu Ende. Zwölf Monate zuvor hatte sie die Tennisanlage noch als Geschlagene verlassen. Als Nummer eins der Welt angereist, verlor sie damals im Achtelfinale gegen die spätere Gewinnerin Garbiñe Muguruza in drei Sätzen. Es war mehr als eine gewöhnliche Niederlage, es war eine Zäsur in ihrem Tennisleben, das sie danach Stück für Stück umkrempelte. Ein Rückblick in acht Akten.

10. Juli 2017

Angelique Kerber sitzt nach der Niederlage gegen Muguruza im größten Interviewraum von Wimbledon. Ihre Schultern hängen herab, als würden sie eine unsichtbare Last nach unten drücken. Sie spricht leise, ihre Augen sind leicht gerötet. Schon in den Tagen davor hat sich angedeutet, dass Kerber nicht bei sich ist, dass ihr alles irgendwie zu viel ist, dass sie eigentlich nur schnell weg will von dem Ort, der ihr als Kind so viel bedeutet hat. Sie wolle später mal Wimbledon gewinnen, hatte sie als Teenager in einem Fernsehinterview keck kundgetan. Doch von dieser Chuzpe ist an diesem Tag nicht mehr viel geblieben.

Obwohl sie ihre beste Partie des Jahres spielt, es ist ein packendes Achtelfinale mit vielen Wendungen. Eine knappe Niederlage, die ihr eigentlich Mut machen sollte. Aber das Positive kann Kerber in diesem Moment nicht erkennen. Nach ihrem imponierenden Jahr 2016 mit Siegen bei den Australian Open und den US Open lernt sie die Schattenseiten des Rummels als Nummer eins der Welt kennen. Spaß scheint ihr das alles nicht zu machen, es ist vielmehr eine freudlose Bürde, die sie nicht zu schultern vermag.

29. August 2017

Kerber verliert bei den US Open in der ersten Runde gegen die aufstrebende Japanerin Naomi Osaka mit 3:6, 1:6. Es ist der neue Tiefpunkt einer Saison voller Tiefpunkte, ihre sportliche Krise hält unvermindert an und nichts deutet in jenen Tagen darauf hin, dass sich so schnell etwas ändern könnte. Sie hat das Tennisspielen nicht verlernt, aber sie scheint nicht mehr daran zu glauben, dass sie es noch kann. Es klingt fast trotzig, als sie danach sagt: "Ich gebe nicht auf, ich weiß, was ich kann." In der Weltrangliste fällt sie erstmals nach fünf Jahren wieder aus den Top Ten.

13. November 2017

Nachdem Kerber die Saison mit zwei weiteren Niederlagen und ohne Turniersieg beendet hat, reist sie auf die Seychellen und veröffentlicht auf Facebook einen offenen Brief an ihre Fans ("Nachricht aus dem Urlaub"). Es ist ein emotionaler Rückblick und beginnt mit den Worten: "Hallo ihr lieben". Sie schildert darin, dass "es auch diese wichtigen Erfahrungen sind, die beruflichen Rückschläge, in denen man sehr viel über sich selbst lernt. Ich bin in den letzten zwölf Monaten einen großen Schritt vorangekommen, wobei der Maßstab in meinem Leben nicht immer nur die Weltrangliste ist. In den letzten zwei Jahren ist so viel passiert und es stimmt eben beides - alte Erinnerungen können beflügeln, aber auch ein Bremsklotz sein." Sie schaut in ihrem Brief aber nicht nur zurück, sondern auch voraus und kündigt Veränderungen an. "Seid euch sicher - ich werde mich mit ganzem Herzen auf 2018 vorbereiten und auch neue Wege gehen. Für euch, aber ebenso für mich. Denn Tennis ist meine Leidenschaft." Der Brief endet mit: "Alles Liebe, eure Angie"

16. November 2017

Drei Tage später verkündet Kerber auf Twitter, wie ihre neuen Wege aussehen werden. Sie trennt sich von ihrem langjährigen Trainer Torben Beltz und will künftig mit dem belgischen Tennislehrer Wim Fissette zusammenarbeiten, der auch schon die Nummer eins der Welt, Simona Halep, und die frühere Weltklassespielerin Kim Clijsters betreut hat. Auch Sabine Lisicki hat er 2013 überraschend ins Endspiel von Wimbledon geführt. Fissette gilt als gewiefter Taktiker, der genau weiß, was er will. "Es ist eine neue Chance und ich bin gespannt, herauszufinden, was wir gemeinsam erreichen können", fügt Kerber in ihrem Tweet hinzu. Dass sie einen neuen Trainer engagiert, ist ein logischer, aber gleichzeitig für sie auch ein ungewöhnlicher Schritt, die gebürtige Bremerin ist ein Gewohnheitsmensch, der nur sehr widerwillig ihr nahes Umfeld neu ordnet. Es zeigt gleichzeitig aber, dass sie es mit dem Neuanfang ernst meint.

2018 läuft es plötzlich wieder besser

13. Januar 2018

Die erste offizielle gemeinsame Dienstreise endet mit dem Turniersieg in Sydney. Kerber besiegt im Finale die Australierin Ashleigh Barty mit 6:4, 6:4 und offenbart einige Neuerungen. Sie wirkt aktiver auf dem Platz, selbstbewusster und variabler. Sie nimmt die Bälle wieder früher, vor allem mit der Vorhand gelingen der Linkshänderin viele direkte Punkte. Auffällig ist zudem, dass sie mit der Rückhand die Bälle häufiger als Slice spielt, also mit Unterschnitt und den einen oder anderen Stoppball einstreut. Der elfte Titel auf der Profitour ist gleichzeitig auch der erste seit dem US-Open-Sieg 2016. In der Weltrangliste geht es wieder nach oben, nachdem sie bis auf Rang 22 durchgereicht worden war.

25. Januar 2018

Dass sie wieder auch im Kopf bereit ist für die ganz großen Siege deutet Kerber im Halbfinale der Australian Open in Melbourne an. Sie liefert sich mit der Weltranglistenersten Simona Halep ein episches Duell. Beide hauen in Höchstgeschwindigkeit auf die Bälle ein und verblüffen die Zuschauer auch in der Defensive in den entlegensten Ecken mit ihrer Zähigkeit und Kampfkraft, sie touchieren beide ihre spielerischen und körperlichen Grenzen. Bei 6:5 im dritten Satz schlägt Kerber zum Matchgewinn auf. Sie verpasst das Endspiel allerdings, weil sie den letzten Punkt nicht machen kann, obwohl sie zweimal die Chance zum Finaleinzug offeriert bekommt; sie verliert den finalen Durchgang mit 7:9.

Doch anders als noch vor Monaten erscheint sie hinterher nicht desillusioniert zur Pressekonferenz, sondern wirkt mit sich und der Welt im Reinen. Sie ahnt wohl, dass sie solche Matches auf allerhöchstem Niveau braucht, um wieder ganz nach oben zu kommen. "So ein Spiel wie heute ist etwas, das ich mitnehmen werde für den Rest des Jahres", sagt Kerber: "Dass ich wirklich einfach wieder von Match zu Match gehe, nicht mehr zu weit nach vorne schaue, nicht mehr zurückgucke, sondern es einfach wieder genieße, Tennis zu spielen."

29. Juni 2018

Beim Vorbereitungsturnier in Eastbourne verpasst Kerber den zweiten Turniersieg des Jahres nur knapp. Gegen ihre Freundin Caroline Wozniacki vergibt Kerber im zweiten Satz einen Matchball und muss ich am Ende mit 6:2, 6:7 und 4:6 geschlagen geben. Doch mit dem Finaleinzug hat sich Kerber zur Mitfavoritin auf den Titel in Wimbledon aufgeschwungen, sie mag den schnellen, unberechenbaren Untergrund, weil er ihrem Spiel mit den flachen Grundschlägen zugute kommt, sie kann die Bälle auf Hüfthöhe nehmen und so beschleunigen.

14. Juli 2018

Ein Jahr nach ihrer Flucht aus Wimbledon ist Kerber bei ihrer Rückkehr in den All England Club nicht wiederzuerkennen. Sie ist entspannt wie lange nicht und geht mit der gestiegenen Erwartungshaltung gelassen um. Sie schaue weder nach links noch nach rechts, betont sie während der Zeit im Südwesten Londons immer wieder. Sie ist wieder ganz bei sich und weiß, dass sie zu allem fähig ist; erst recht, als sie die einzige verbliebende Top-Ten-Spielerin im Feld ist. Ihre neue Lässigkeit lebt sie auch im Endspiel gegen die siebenmalige Wimbledon-Siegerin Serena Williams aus, sie verzagt zu keinem Zeitpunkt, "sondern nimmt das Heft selber in die Hand", wie sie sagt. Sie schlägt gut auf und spielt forsch und variantenreich - bis zum Matchball. "Da war ich so nervös wie noch nie und wollte den Aufschlag nur reinspielen und habe auf einen Fehler von Serena gehofft", gab sie anschließend zu.

Williams macht ihr den Gefallen und schlägt den Return ins Netz. Kerber ist plötzlich Wimbledonsiegerin. Die erste Deutsche seit dem Sieg von Steffi Graf vor 22 Jahren gegen Arantxa Sanchez Vicario. Kerber ist nun endgültig in den kleinen Kreis der erfolgreichsten deutschen Sportler aufgestiegen. Viel wird nun auf sie in den nächsten Monaten einstürzen. Sie ist nach einem turbulenten Jahr aber darauf vorbereitet. Kerber sagt: "Ich kenne mich jetzt besser als Tennisspielerin und als Mensch. Ich bin reifer und stärker geworden." Es dürfte nicht ihr letzter großer Sieg bleiben.

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