Homosexualität im Profisport:Helden im Neandertal

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Thomas Hitzlsperger (vorne): Coming-out erst nach der aktiven Zeit als Fußballer (Foto: Getty Images)

Hitzlspergers Coming-out soll aktiven Sportlern Mut machen, ihre Homosexualität offen zu leben. Aber woran scheitert das bisher? An bornierten Fans? Oder daran, dass Klubs und Sponsoren ganz zufrieden sind, wenn sich die Frage nicht stellt?

Von Claudio Catuogno, Max Möbus und Marieke Reimann

Respekt. Mut. Natürlich hat Thomas Hitzlsperger sich über all die anerkennenden Reaktionen am Tag seines Coming-outs gefreut. Der Bundestrainer. Der DFB-Präsident. Der Sprecher der Bundesregierung. Einstige Mitspieler aus England, Italien, der deutschen Nationalelf. Alle lobten seine Courage, als erster prominenter deutscher Fußballprofi seine Homosexualität zu offenbaren. Das sei "schön zu hören", sagte Hitzlsperger am Mittwochabend dem englischen Guardian. Aber: "Das ist natürlich auch Teil des Problems."

Dass er, der doch immer in erster Linie ein guter Fußballer sein wollte, jetzt quasi zur historischen Figur wird: Nationalspieler - und schwul! Dass das Normale immer noch so unnormal ist. Er hoffe wirklich sehr, sagte Hitzlsperger, "dass wir eine Zeit erleben werden, in der niemand mehr in einer solchen Situation von Mut spricht. Weil es dann ganz normal sein wird, dass ein Sportler über seine Homosexualität redet, wie andere über ihre Frauen oder Freundinnen sprechen."

Eines ist Thomas Hitzlsperger immer schon wichtiger gewesen als anderen Fußballern: dass man ihn richtig versteht. Auch in den Nuancen, und auch, wenn er "nur" über Fußball sprach. Das Coming-out war in dieser Hinsicht gewissenhaft vorbereitet: Interviews mit Zeit und Guardian, dann am Abend auf seiner Homepage noch ein schriftliches Statement sowie ein Video-Interview.

Hitzlspergers Coming-out
:Ein Anfang ist gemacht

Das Coming-out von Thomas Hitzlsperger platzt mutig in eine Zeit zweier rivalisierender Fußballfraktionen. Einer neuen Generation von Verantwortlichen und Profis, die Macho-Spieler ablehnt, steht eine Retro-Gruppe gegenüber, die allem Neuen das Etikett "schwul" aufdrückt.

Von Christof Kneer

"Ich habe im Verlauf eines langen Prozesses erkannt, dass ich homosexuell bin", präzisiert Hitzlsperger in seinen Erklärungen das, was er vorher so ähnlich bereits gesagt hatte. "Ich vertrete schon seit Jahren die Auffassung, dass die distanzlose Fragerei nach meiner Sexualität und nach der anderer Fußballer vorbei sein muss. Sie zwingt Schwächere zur Lebenslüge. Allerdings, wenn Homosexualität ein Thema sein soll, dann möchte ich ein Wort mitreden zu dem, was gesagt, geschönt oder verdeckt wird."

Ja, er hoffe, "dass ich mit diesem Schritt in die Öffentlichkeit jungen Spielern und Profisportlern Mut machen kann". Aber nein, er habe seine Karriere nicht im permanenten Gefühl verbracht, sich zu verstecken. Er habe schließlich "acht Jahre mit einer Frau zusammengelebt", die "Bewusstwerdung" über seine Neigung habe bei ihm eben etwas länger gedauert.

Und, vermutlich weil er ahnt, dass in Teilen der Medien jetzt erst recht die Wer-ist-noch-schwul-Fragerei beginnt: Er kenne "keinen einzigen homosexuellen Fußballprofi persönlich". Und in der Nationalelf wurde sowieso "kaum über Privates gesprochen". In Italien, wo Hitzlsperger 2010 sechs Ligaspiele für Lazio Rom bestritt, schrieb der Corriere dello Sport, der Deutsche habe mit seiner Offenheit "den Schmerz des Vorurteils zerschmettert". Für Tuttosport hat er "die Heuchelei umdribbelt". Und La Repubblica dichtete gar: "In Deutschland fällt eine andere Mauer."

So weit ist es wohl noch lange nicht. Das liegt schon daran, dass Hitzlsperger seine aktive Karriere 2013 beendet hat. Weshalb sich nichts daran geändert hat, dass weiterhin sämtliche schwulen Fußballprofis offenbar das Gefühl haben, es sei besser, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen.

Ist Thomas Hitzlsperger für sie wirklich der Türöffner, wie es jetzt viele erwarten? Oder hat er nur - wertvoll genug! - das Gartentor geöffnet, die Haustür ist aber noch zu? Und was fehlt jetzt eigentlich noch, damit auch diese letzte Strecke des Weges gegangen werden kann?

Die Frage, wo genau das Problem liegt, führt mitten hinein ins Macho-Milieu des Fußballs. Und die ersten, die dabei stets als Normalitätsverhinderer genannt werden, sind die Fans. "Unkalkulierbar" wäre deren Reaktion auf offen schwule Profis, befürchtet sogar der Nationalmannschafts-Kapitän Philipp Lahm, der sich ansonsten vorbildlich wie kaum ein anderer für Toleranz in allen Lebensbereichen einsetzt.

Und Belege für homophobe Tendenzen in den Kurven gibt es ja tatsächlich jede Menge, etwa Plakate oder Gesänge, mit denen Akteure auf dem Platz als "Schwuchteln" beschimpft werden. Wenn ein TV-Sender am Stadioneingang eine Umfrage macht, finden sich immer auch Fans, die Homosexuelle "eklig", "krank" und im eigenen Team überhaupt undenkbar finden.

Homosexuelle Fußballfans, die sich Woche für Woche auf den Tribünen selbst ein Bild von der heterosexuellen Mehrheit machen können, wehren sich allerdings gegen das Bild vom ewig gestrigen Fan. Dirk Brüllau, der Sprecher eines Netzwerks schwul-lesbischer Fanklubs, sagt etwa: "Es ärgert mich, dass in der Diskussion um Homophobie nur den Fans der Schwarze Peter zugesteckt wird." Patrik Maas, der beim 1. FC Köln den Fanklub "Andersrum rut-wiess" mitgegründet hat, glaubt ebenfalls, dass "die Kurven bereit sind" für ein Coming-out: "Fußballfans sind keine Neandertaler. Das Problem besteht im Sport selbst." Und auch Renate Reinartz vom Fanklub "Andersrum auf Schalke" hat den Eindruck gewonnen, dass "eher von Verbandsseite eine große Unsicherheit im Umgang mit Homophobie vorhanden ist".

Homosexueller Ex-Fußballer Urban
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Marcus Urban beendete einst seine Karriere, weil er sich als Homosexueller im Profifußball ausgegrenzt gefühlt hatte. Im Interview lobt er das Coming-out des ehemaligen Nationalspielers Thomas Hitzlsperger - und erwartet, dass ihm weitere Profis folgen werden.

Von Benedikt Warmbrunn

Im internationalen Vergleich hat der Deutsche Fußball-Bund viel unternommen: Tagungen mitorganisiert, Erklärungen initiiert und sogar eine Broschüre herausgegeben zur Bewusstseinsbildung an der Basis, wo oft sehr alte Männer mit sehr großen Berührungsängsten die ehrenamtliche Verbandsarbeit leiten. Aber den Profifußball mit seiner Heldenverklärung und seinen medialen und wirtschaftlichen Verflechtungen hat der DFB dadurch noch nicht von seinen Reflexen befreit.

Dirk Brüllau etwa weist darauf hin, "dass ein Spieler durch Sponsorenverträge eine Einnahmequelle hat, die sehr von der Außendarstellung abhängt". Er glaubt: "Die Spieler fürchten, bei einem Coming-out ihre Sponsorenverträge zu verlieren." Dass homosexuelle Sportler in den Marketing-Abteilungen großer Firmen eher durchs Raster fallen, darauf hat zum Beispiel die lesbische Fechterin Imke Duplitzer schon oft verwiesen. "Ein schwuler Fußballer bekommt, wenn er sich outet, vor allem Probleme mit dem Marktwert", glaubt auch Patrik Maas. Weshalb es den meisten Vereinen wohl ganz recht ist, wenn sich die Frage für sie gar nicht erst stellt.

Wie schwulenfeindlich ist der Fußball? Thomas Hitzlsperger hat sich da keine abschließende Meinung bilden können. "Schwer zu sagen", sagt er. "Im Fußball gibt es ja keine bekannten Homosexuellen."

© SZ vom 10.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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