DFB-Elf vor dem Frankreich-Spiel:Modernisierer im schweren Alltag

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Einst galt Bundestrainer Joachim Löw als Chefideologe des deutschen Fußballs, doch seine Rolle hat unter Debatten und Resultaten gelitten. Beim Test in Frankreich muss er improvisieren.

Von Philipp Selldorf, Paris

Eigentlich hatte man Joachim Löw wieder im schwarzen Rollkragenpullover erwartet. Wie neulich in Düsseldorf, als er überaus einträchtig mit Dortmunds Meistercoach Jürgen Klopp die Ergebnisse der Trainertagung referierte. Schließlich ist Paris, wo der Bundestrainer am Dienstag zum bevorstehenden Länderspiel gegen Frankreich (Mittwoch, 21 Uhr) dozierte, die Heimat des Existenzialismus, und dessen führendes Erkennungszeichen ist neben der filterlosen Zigarette eben jener schwarze Rollkragenpullover.

Doch Löw wählte Hemd und Schal, locker um den Hals geschlungen, was zwar ebenfalls ein Statement war - aber lediglich ein modisches, kein philosophisches. Die Philosophie des Bundestrainers hat in der jüngeren Vergangenheit einen gewissen Rezeptionswandel erfahren. Einst galt Löw als der Chefideologe des deutschen Fußballs, seine sportliche Lehre hatte weltanschaulichen Charakter, weil sie Wettkampf mit Ästhetik verband.

Aber seine Geltung als wegweisender Modernisierer hat unter dem Eindruck der Ergebnisse und Debatten gelitten, nicht nur auf den Zuschauerplätzen und bei den von Amts wegen kritischen Experten, sondern auch im Kreis der zunehmend selbstbewussten Trainerkollegen und vor den Autoritäten der großen Klubs, die ihm das Personal liefern. Löw bekommt es unter anderem dann zu spüren, wenn ihn bei Testspielen der DFB-Elf plötzlich Absagen erreichen, die es früher eher nicht gegeben hätte.

Selbstredend wird der Bundestrainer in Paris auch ohne den verletzten Stürmer Klose, den just fürs Testspiel verhinderten Schweinsteiger und die schlagartig abgemeldeten Dortmunder Reus, Götze und Schmelzer eine erstklassige Formation zum Treffen mit den Franzosen schicken. Nur auf der Position des linken Außenverteidigers muss er ernsthaft improvisieren, die übrige Elf hat wahrlich nicht das Aussehen einer Behelfsauswahl.

"Wir haben einen guten Kader - auch wenn jetzt einzelne Spieler ausfallen", hat Löw in Paris betont und die Gelegenheit willkommen geheißen, dass er somit "für den Ernstfall testen" könne. Doch er hat das Publikum auch ausdrücklich wissen lassen, dass es keinen Grund gebe, Verschwörungstheorien zu bilden.

"Es ist kein Rückschlag. Diese Problematik gibt es, seit es Länderspiele gibt", sagte er und berichtete von seinen Fleißarbeiten, nachdem ihn am Montag die schlechten Nachrichten erreicht hatten: "Ich habe mit allen Spielern telefoniert und Rücksprache mit den Ärzten gehalten." Ergebnis: "Diese Spieler sind krank."

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Für den Bundestrainer ist der Alltag schwieriger geworden, so viel lässt sich feststellen. Da es im Jahr 2013 kein Turnier gibt, das ein nationales Interesse gegen die Einzelinteressen der Vereine setzt, hat es Löw nicht leicht mit seinen Argumenten. Außer dem im Herbst anstehenden Finale um die WM-Qualifikation gebe es "noch ein paar andere Dinge, die wichtig sind", betonte er jetzt in Paris - und klang ziemlich angestrengt, als er sein Programm erläuterte: "Es ist ein Jahr der Weiterentwicklung, und es ist ein Jahr der Konzentration. Um sich vorzubereiten auf ein großes Turnier."

Im März geht es im Laufe eines Doppelspieltags zweimal gegen Kasachstan, man darf gespannt sein, wie das in München und Dortmund bewertet wird. In Leverkusen meldete Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser bereits vorbeugend Protest an, sollte Löw auf die Idee kommen, die bisher verschmähten Bayer-Profis Kießling und Castro für die Sommertour durch die USA mobilisieren zu wollen.

Eben diese Absicht hat der DFB-Coach nun noch mal bekräftigt, er will, sollten Bayern und Dortmunder durch Endspielverpflichtungen verhindert sein, "das Beste aus dieser Situation machen: Wir werden vielleicht mal ein paar andere Spieler sehen."

In Frankreich genießen Löw und seine Mannschaft, wie er in Paris erfahren durfte, weiterhin hohe Achtung. Beim Meeting mit der Presse in einem Hochhaushotel musste der Trainer jedoch hören, dass auch diese Wertschätzung inzwischen ein wenig zwiespältig ausfällt. Ein französischer Journalist schlug vor, dem deutschen Team den Ehrentitel "romantische Verlierer" zu geben.

Der Mann zog einen wohlmeinenden Vergleich zur legendären Equipe Tricolore mit Michel Platini, die bei den Weltmeisterschaften 1982 und 1986 großen Fußball spielte und trotzdem verlor. Löw war um Fassung bemüht.

Er zog ein Gesicht, das einerseits lächelte und andererseits Empörung nicht verbergen konnte, holte tief Luft und hielt schließlich einen langen Vortrag über seine Erfolge in der Vergangenheit - und der Zukunft: Sie handelten von "den enormen Fortschritten"; davon, dass er Deutschland auf den Weltranglistenplatz zwei geführt habe; und davon, dass das Erreichen der großen Ziele schon sehr nahe sei: "Ich glaube", sagte Löw, "dass die Mannschaft ihre beste Zeit noch vor sich hat." Die Botschaft war nicht nur an den französischen Journalisten gerichtet.

© SZ vom 06.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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