1. FC Nürnberg:Jetzt ist Ruhe

Lesezeit: 3 min

Niederlage bei der Premiere: Der neue Nürnberger Trainer Markus Weinzierl hatte Grund zum Brüllen. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Beim 2:3 gegen Kiel versucht Trainer Markus Weinzierl, den Club mit simplen Handgriffen auf Kurs zu bringen - doch am Ende kehrt eine fast schon beklemmende Stille im Stadion ein.

Von Sebastian Leisgang

Am Sonntagmittag hat Dieter Hecking ein paar erstaunliche Sätze gesagt. Wer mit seinen Gedanken gerade woanders war und deshalb nur mit einem Ohr zuhörte, der dürfte diesem Ohr wohl kaum getraut haben. Es waren noch ein paar Minuten bis zum Spiel zwischen dem 1. FC Nürnberg und Holstein Kiel, Hecking, 58, stand mit einem Mikrofon auf der Umlaufbahn des Max-Morlock-Stadions und setzte zu einer Rede an, die einer regelrechten Hymne gleichkam.

Die Mannschaft, sagte Hecking, habe eine Menge für den Erfolg getan. Und weil es ein außergewöhnlicher Geist sei, der die Spieler verbinde, habe nicht nur Hertha BSC, sondern auch Bayer Leverkusen gegen Nürnberg "nur die Rücklichter gesehen". Eine Leistung, die dazu führte, dass der Club etwas erreicht habe, was er schon seit 1968 nicht mehr erreicht hat: Der 1. FC Nürnberg, verkündete Hecking, sei deutscher Meister.

Deutscher Meister? Der 1. FC Nürnberg? Nein, beim Club sind sie nicht vollkommen übermütig geworden, nur weil sie gerade den Trainer ausgetauscht haben und deshalb davon ausgehen, dass schon bald wieder bessere Zeiten anbrechen. Der FCN darf sich zwar tatsächlich deutscher Meister nennen - allerdings nur deutscher Ü40-Meister.

Möller Daehli und Duah spielen auf den Positionen, auf denen sie am besten sind

Die Anhänger nahmen das dennoch zum Anlass, ihren Verein schon vor dem Spiel zu besingen. Zwei Stunden später aber, in denen auch Holstein Kiel zunächst nur die Nürnberger Rücklichter gesehen hatte, war selbst in der Nordkurve eine fast schon beklemmende Ruhe eingekehrt. Keine Anfeuerungen, keine Gesänge, der Club hatte 2:3 verloren, der Einstand von Markus Weinzierl war misslungen.

Mit simplen Handgriffen hatte Nürnbergs neuer Trainer zunächst versucht, seinem Team jenen Halt zu geben, den es unter Robert Klauß in mehreren Spielen nicht mehr gefunden hatte. Beim 0:3 vor einer Woche in Karlsruhe hatte sich sogar der Eindruck aufgedrängt, dass sich die Mannschaft nicht einmal mehr auf die Suche begebe - nun waren es gleich mehrere Ideen, mit denen Weinzierl versuchte, den Club wieder auf den rechten Weg zu bringen.

Als sich Weinzierl, 47, vor dem Spiel gegen Kiel einen Plan zurechtlegte, fiel ihm offenbar etwas ein, was Klauß zuletzt nicht mehr eingefallen war. Zugegeben, es ist nicht so, dass das auf der Hand gelegen hätte. Es genügte nicht, einfach eins und eins zusammenzuzählen. Man musste schon ein bisschen weiter denken, dann waren es aber gleich zwei Erkenntnisse, die Weinzierl am Ende hatte: Er stellte, erstens, Spieler wie Mats Möller Daehli und Kwadwo Duah auf jene Position, auf der sie am besten sind - und er gab ihnen, zweitens, mit auf den Weg, dass sie schießen müssen, wenn sie ein Tor erzielen wollen.

"Wir können nicht erwarten, dass die Fans große Geduld haben", sagt Kapitän Schindler

Als der Ball dann rollte, raunten die Nürnberger Fans schon nach ein paar Sekunden, weil Lino Tempelmann im Mittelfeld den Ball verstolperte. Und wenig später war der Beifall eher verhalten, als Enrico Valentini nach einem Freistoß zum Kopfball kam, dabei aber derart wenig Druck dahinter brachte, dass Kiels Torwart Thomas Dähne den Ball mit der Brust hätte stoppen können. Da hatte man allerdings noch das Gefühl, dass das Raunen etwas leiser und der Beifall etwas lauter ausfiel, als er ausgefallen wäre, wenn Klauß und nicht Weinzierl an der Seitenlinie gestanden hätte. Allzu lange hielt dieser Eindruck allerdings nicht an. In den letzten Minuten stellten die Anhänger nicht nur die Unterstützung ein - sie klatschten sogar höhnisch in die Hände, als Valentini aus dem Rückraum weit über das Kieler Tor schoss.

All das ließ ziemlich tief blicken. Obwohl die Saison gerade einmal elf Spiele alt ist, hatte die Atmosphäre am Sonntagnachmittag zumindest in der letzten Viertelstunde etwas von Endzeitstimmung. Später sagte Kapitän Christopher Schindler: "Es ist unsere Pflicht, die Fans wieder zurückzugewinnen. Wir können nicht erwarten, dass sie große Geduld haben."

Es ist ja eine beträchtliche Menge Kredit, die der Club mittlerweile schon verspielt hat. Mit Weinzierl sollte nun alles besser werden, die 90 Minuten gegen Kiel ließen aber erahnen, dass die Probleme tiefer liegen dürften, als dass sie ausschließlich mit einem Trainerwechsel zu lösen wären. Eine Stunde lang gaben die Nürnberger zwar gute Ansätze zu erkennen und führten zur Halbzeit durch einen Distanzschuss von Tempelmann mit 1:0 - wie schnell der Mannschaft in der zweiten Hälfte aber das Spiel entglitt, wie sehr der Ausgleich den Club aus der Bahn warf, wie wenig ihm danach einfiel, um in der verbleibenden halben Stunde vielleicht doch noch einmal zurückzukommen, all das war derart erschreckend, dass Mittelfeldspieler Fabian Nürnberger hinterher gestand: "Jeder von uns Spielern würde auch pfeifen, wenn er nicht selbst auf dem Platz stehen würde. Wir sind im Abstiegskampf - und im Moment sind wir zu Recht da."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: