Berlin (dpa/bb) - Mit dem Start in die 30. Kältehilfe-Saison haben die Organisatoren eine verstärkte Bekämpfung der Ursachen von Wohnungs- und Obdachlosigkeit gefordert. „Die rasante Ausweitung der Kältehilfe muss ein Ende haben“, sagte Caritasdirektorin Ulrike Kostka am Dienstag in Berlin. Mit mehr Plätzen werde das eigentliche Problem nicht gelöst und man laufe Gefahr, Provisorien zum Dauerzustand zu machen. „Was wir vor allem brauchen, sind bezahlbare Wohnungen.“ Diakonie-Direktorin Barbara Eschen sprach sich für den Ausbau ganzjährig verfügbarer Unterkünfte aus. Ziel müsse aber sein, Menschen wieder in eigene Wohnungen zu bringen.
In den vergangenen Jahren wurde die Zahl der Kältehilfe-Plätze stark erhöht, zudem die Saison verlängert. Von Dienstag an stehen laut Senatsverwaltung für Soziales gut 440 Schlafplätze im Warmen zur Verfügung, bis Jahresende sollen es mehr als 1150 sein. Das sind noch einmal etwas mehr Plätze als im vorigen Winter in der Spitze. 2009/10 hatte es laut Angaben im Schnitt 369 Schlafplätze gegeben. Die aktuelle Saison geht bis Ende April 2020, die meisten Angebote finden Obdachlose in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg.
Die Kältehilfe sei ein „letztes Notsystem“, nachhaltige Lösungen seien jedoch am Anfang der Kette gefordert, sagte der Vorsitzende der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (Liga Berlin), Oliver Bürgel. Er sprach sich zum Beispiel für verstärkte Sozialberatungen und ein behördliches Frühwarnsystem bei Mietschulden und drohender Zwangsräumung aus. 30 Jahre Kältehilfe seien „kein Grund zum Feiern, sondern eher ein Artmuszeugnis“.
„Berlin braucht eine aktive Wohnungsbaupolitik anstatt die Folgen eigenen Versagens zu verwalten“, erklärte der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Thomas Seerig.
Kostka forderte unter anderem eine langfristige Sozialbindung für mindestens 30 Prozent der Neubauwohnungen, den Stopp von Leerstand, Spekulation und Zweckentfremdung von Wohnraum und die Verhinderung von Zwangsräumungen, indem Mietschulden übernommen werden. Sie sprach sich für eine sorgfältig entwickelte Mietensteuerung aus, bei der mögliche Folgen für alle Gruppen, wie etwa kleine private Vermieter, vorher geklärt sein müssten. Der von Rot-Rot-Grün geplante Mietendeckel sei zwar keine schlechte Idee, das Vorgehen aber womöglich überstürzt.
Nach Schätzungen leben 6000 bis 8000 Menschen in Berlin auf der Straße, Tendenz steigend. Viele von ihnen kommen aus Osteuropa. Die Zahl der Menschen in Berlin ohne eigene Wohnung, die bei Verwandten, Freunden, in Übergangsunterkünften oder Wohnheimen leben, wird auf etwa 50 000 geschätzt.
Eine Zählung und Befragung der Berliner Obdachlosen ist für Januar 2020 angekündigt. Die Statistik, die lange von Verbänden gefordert wurde, ist Teil eines kürzlich beschlossenen neuen Senatsprogramms. In den „Leitlinien zur Wohnungslosenpolitik“ sind diverse Vorhaben aufgelistet, um Hilfsangebote für Wohnungs- und Obdachlose zu verbessern und stadtweit besser zu koordinieren. Damit sei Berlin „gut aufgestellt“, die Pläne müssten aber auch umgesetzt werden, sagte Eschen. Kostka bescheinigte der Politik einen „ganz deutlich veränderten“ Willen beim Umgang mit dem Thema.
Die Kältehilfe wurde 1989 von Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbänden und der damaligen Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales ins Leben gerufen. Das Netz beteiligter Akteure ist seitdem deutlich gewachsen. Wesentlich ist bis heute das Engagement zahlreicher ehrenamtlicher Helfer.