Winter in Oberwiesenthal:O Arzgebirg, wie bist du schie!

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Zwischen Plattenbau und Bemmenplatte: Ski fahren in Oberwiesenthal, dem einstigen St.Moritz der DDR.

Thomas Becker

Stau an der "Himmelsleiter". Wenn Sonne und Neuschnee locken, wollen viele in den Himmel. Auch wenn's nur der sächsische ist. Dann steht man schon mal eine halbe Stunde am Lift mit dem vielversprechenden Namen, der auf den Fichtelberg führt. Der war mal der höchste Berg der DDR und ist jetzt mit seinen 1215 Metern eine eher mediokre Mittelgebirgserhöhung. Sogar der Keilberg gegenüber im tschechischen Klinovec ist 30 Meter höher.

(Foto: SZ-Grafik: Michael Mainka)

Mit den Superlativen ist es nicht mehr weit her in Oberwiesenthal. Man lebt dort zwar in der "höchstgelegenen Stadt Deutschlands", doch auf mancher Hinweistafel heißt das dann nicht 914Meter über dem Meer, sondern 914Meter über der Ostsee. Willkommen im ehemaligen St.Moritz des Erzgebirges!

Wintersport in der Diaspora

Wer sich in Oberwiesenthal als Ski fahrender Wochenendgast aus München outet oder gar in München erzählt, er gehe übers Wochenende zum Skifahren nach Oberwiesenthal, der schaut in beiden Fällen in fragende Gesichter. Nur wer in der alpinen Diaspora aufgewachsen ist, weiß auch ein Skigebiet mit bloß 300 Höhenmetern zu schätzen - und fährt dann auch von neun bis halb fünf, egal, wie mau der Schnee ist, wie lange die Schlange am Lift. Die 23 Euro für den Skipass wollen ausgenutzt sein.

Die "Himmelsleiter" ist der mit Abstand poetischste Name weit und breit. Schon der nächstbeste Wanderpfad trägt den schnörkellosen Namen "Bärenfangweg" - da scheint sich ein Bedürfnis nach klaren Verhältnissen Bahn gebrochen zu haben.

Unten im Ort heißen die Gaststätten Deutscher Kaiser, Helgas Bierstube, oder Neues Haus - klarer geht's nicht. Die wenigen Ausreißer fallen direkt ins Auge: eine Kneipe namens Blaue Banane - Slogan: "einfach proBIERen". Auch nicht schlecht ist das Aussichtsrestaurant mit dem sprechenden Namen Das Guck. Apropos Humor - das Appartementhotel des ehemaligen Skispringers Jens Weißflog wirbt mit dem Slogan "Abspringen, ausspannen, aktiv sein." Da blüht der Flachs, da lässt man sich gerne nieder. Oder der dezent auf dem Teller platzierte Hinweis im Hotel Panorama: "Das Frühstück ist zum Frühstücken da und nicht für die zusätzliche Verpflegung."

Überfluss ist wahrlich kein Thema in Oberwiesenthal. Zweieinhalbtausend Menschen leben hier, Tendenz fallend. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Zahl der Übernachtungen nurmehr halb so hoch wie in den touristisch gesehen goldenen DDR-Zeiten. Und der Tourismus ist schon lange die einzige nennenswerte Industrie.

Einst lebte der Ort von Bodenschätzen. Im 16.Jahrhundert wurde Silbererz gefunden; noch heute sind die Bergleute im Stadtwappen präsent. Gegrüßt wird mit "Glück auf!" - aber nur in den Prospekten.

Lesen Sie weiter, wie Oberwiesenthal zu DDR-Zeiten zum vielbesuchten Urlaubsziel wurde.

1906 wurde der Skiclub Unter- und Oberwiesenthal gegründet, fünf Jahre später fanden hier die ersten Deutschen Skimeisterschaften statt. Nach langem Hin und Her entstand 1924 die erste Schwebebahn Deutschlands. Sie ist heute noch in Betrieb. In dreieinhalb Minuten trägt sie 45 Passagiere auf den Fichtelberg und ist mit ihren gelben Stützpfeilern ein echter Hingucker.

(Foto: Foto: picture alliance)

1938 kam eine große Skisprungschanze hinzu; auf dem Vorgängermodell wurde man schon mit elf Metern deutscher Meister. Mittlerweile gibt es drei Schanzen. Jens Weißflog tat hier 1996 seinen letzten Hüpfer.

Der Name Weißflog steht für die Entwicklung Oberwiesenthals zu DDR-Zeiten. Nach dem Krieg waren Teile des Orts Sperrgebiet, alle Hotels wurden zu Ferienheimen des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds. Die 1936 von einem Nazi-Funktionär zum Kurort erklärte Gemeinde wurde "Kurort der Werktätigen".

Kaderschmiede für Hochleistungssportler

Stasi und NVA quartierten sich in schicken Hotels wie dem Birkenhof ein; für das gemeine Volk gab es die 800-Betten-Betonburg des Gewerkschaftsbunds und die Plattenbauten am Sparingberg. Bald konnte man sich wieder dem Sport zuwenden, vielmehr der Profilierung über den Hochleistungssport.

1953 fanden die ersten DDR-Meisterschaften in den alpinen Disziplinen statt. Eine Jugendsportschule wurde gegründet, aus der die Medaillensieger der DDR hervorgingen. Noch heute wirbt man mit den erfolgreichen Athleten wie Sylke Otto, Viola Bauer oder René Sommerfeldt.

Jens Weißflog - Spitzname: der Erzgebirgsadler - kam als Jugendlicher in die Kaderschmiede, legte eine beispiellose Karriere hin, wurde Volkskammerabgeordneter, Träger des Vaterländischen Verdienstordens, Ehrenbürger von Oberwiesenthal und TV-Experte. Sein Hotel liegt am Waldrand, gehört aber nicht ihm, sondern einer Chemnitzer Immobiliengruppe, wird nicht von ihm geführt, sondern von Gattin Nicola. Ganze Busladungen machen Station. Es ist das ehemalige Gästehaus eines bekannten Mannes: Stasi-Chef Erich Mielke.

Die DDR scheint in Oberwiesenthal noch nicht lange tot zu sein. Erst vor sechs Jahren wurden die zwei Stasi-Richtfunktürme abgerissen. Der "Ferienpark" und das Hotel am Fichtelberg sind Betonberge aus längst vergangen geglaubten Zeiten. So manche DDR-Urkunde hat noch einen Platz an der Wand. Das Fichtelberghaus mit seiner wechselhaften Geschichte wurde 1967 zu Propagandazwecken zum "repräsentativen, internationalen Zentrum des Sports und der Touristik" umgebaut.

Lesen Sie weiter, was der Ort touristisch zu bieten hat.

Nach der Wende wurden neue Hotels hochgezogen, Gaststätten und Ferienheime wieder für jedermann geöffnet. Zu den uralten Liften - ein Einer-Sessellift stammt noch vom VEB Schwermaschinenbau Leipzig, Baujahr 1963 - gesellten sich zwei Schlepper, ein Vierer-Sessel, die "Himmelsleiter", Flutlicht, Schneekanonen und eine Halfpipe, in der die Snowboarder schon ihre Junioren-WM austrugen. 75Kilometer Loipe und Skiwanderwege kommen dazu, das Biathlon-Stadion wurde 2006 erneuert, weitere Aus- und Umbaupläne für 100Millionen Euro liegen in der Schublade.

Selbstversuch im Après-Ski

Doch im Ort sind viele Häuser aufgegeben worden, nicht nur das Ski- und Heimatmuseum in der Karlsbader Straße. "Einsturzgefahr", erklärt ein Mann im Blaumann. Und wer in der Touristen-Information nach Sehenswürdigkeiten fragt, hält außer dem Fahrplan für die Schmalspurbahn aus dem Jahr 1897 bald auch ortsfremde Prospekte in der Hand: Neudorfer Suppenmuseum, Schaubergwerk "Herkules-Frisch-Glück" in Beierfeld, Museum zur "Geschichte des erzgebirgischen Vogelfangs"? Dann doch lieber das Après-Ski-Leben testen.

Im "Pistenblick" eifert man dem österreichischen Vorbild mit Jagatee nach. Der DJ bemüht Kamellen wie "Gehn wir mal rüber zum Schmitt seiner Frau". Erste Mitsinger beim "Holzmichel": Flucht! Derweil herrscht an der Talstation in der "Alten Lawine" tote Hose. Vor der Holzhütte "Projut 12" lockt ein Schild mit dem Angebot "Bei zehn DM Umsatz: eine Freifahrt auf der Rodelbahn". Drinnen wird's dann russisch: Moskovskaja, Soljanka und Absinth zum Selberbasteln. Die Bedienung mahnt: "Nicht gleich das Wasser rein, sonst springt das Glas."

Abendunterhaltung für nur einen Euro

Abendessen in Oberwiesenthal kann auch lustig sein. Im Restaurant Silbermine gibt es Bergmannspfanne, Sächsische Bemmenplatte und Königsberger Klopse. Wenn im Saal nebenan bloß nicht dieser Alleinunterhalter losgelegt hätte: "California Blue". Sagt der kleine Sohn zum Vater: "Papa, trink schnell aus!" Das selbe Spiel im Fichtelberghaus: Tanzabend mit Live-Musik, ein Euro Eintritt. Ein Duo spielt "California Dream", zum Eisenerzerweichen.

Endlich, im Neuen Haus, direkt am offenen Grenzübergang: Keine Unterhalter, einfach nur essen. Auf der Karte stehen "Bauernfrühstück an Mixed Pickles", "Schnitzel von Tellerrand zu Tellerrand" und die Steakinfo: "Portion Frischfleisch zwischen 240 und 260 Gramm Rohgewicht." Fast möchte man mit dem Heimatsänger Anton Günther ausrufen: "O Arzgebirg, wie bist du schie!" Aber das würden sie einem Münchner eh nicht abnehmen.

Informationen

Anreise: Von München aus über die A 93 zur Abfahrt Cheb/Eger, dann über Karlsbad etwa 80 Kilometer durch die Tschechische Republik. Oder auf der A 72 über Hof bis Zwickau, weiter auf der B 101 und B 95. Übernachtung: Das Vier-Sterne-Hotel Panorama bietet im März Spezialpreise: DZ ab 85 Euro, Tel.: 037348/78103, Mail: info@panoramahotel-oberwiesenthal.de

Weitere Auskünfte: www.oberwiesenthal-kurort.de, www.oberwiesenthal-ski.de

Die nächste Reportage führt in die wachsende Seenlandschaft in der Lausitz.

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