Skiregionen und ihre Urlauber:Schussfahrt ins Klischee

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Inder fahren bevorzugt in Schweizer Skiorte, Briten spendieren Freigetränke am Arlberg und Russen feiern mondän in Österreich: Sind manche Skigebiete bei ausländischen Touristen immer noch beliebter als andere?

Jede Nation hat Ihre eigenen Vorlieben bei der Wahl ihrer Wintersportregion. Nur: Was ist wirklich dran an den gängigen Klischees? Was treibt Niederländer zum Après-Ski ins Zillertal? Pöbeln die Briten noch in St. Anton? Und wo sind die Russen eigentlich tatsächlich? Ein Streifzug durch die wichtigsten Enklaven der Alpen.

Gruß in die Heimat: Die Inder lieben besonders Engelberg in der Schweiz. Sogar Schneematsch ist "wonderful". (Foto: Hans Gasser)

Bollywood am Titlis

"Wir schauen aus dem Fenster, sehen den Schneematsch und sagen: Mist! Die schauen raus und sagen: 'wonderful!'" So hat der Direktor der Titlis-Bergbahnen einmal die Begeisterung der Inder für Engelberg zusammengefasst. Dass der kleine Ort die meisten Übernachtungen von Indern in der ganzen Schweiz hat, liegt freilich auch noch an anderen Dingen: Viele Hotels haben sich auf die indische Klientel spezialisiert, seit hier mehrere Bollywoodfilme gedreht worden sind. Ski fahren wollen die Inder nicht, aber sie spazieren von der Bergstation auf den Gletscher hinaus, Frauen in Sari und Sandalen rutschen durch den Schnee, man posiert vor der Kamera mit Schneebällen, schließlich haben die meisten dieses Element noch nie berührt. Im Bergrestaurant Trübsee verköstigen mehrere indische Köche die heiklen Gäste. 1000 indische Essen seien es täglich zur Hauptsaison, sagt ein Sprecher der Bergbahnen. In letzter Zeit kämen sogar noch etwas mehr Chinesen als Inder. Doch die erhalten ihr chinesisches Essen strikt getrennt von den Indern im anderen Bergrestaurant. haag

Briten in Spendierhosen

1928 erfand der englische Skipionier Arnold Lunn in St. Anton zusammen mit dem Österreicher Hannes Schneider das Arlberg-Kandahar-Rennen, das bis heute jedes Jahr stattfindet. Seitdem ist die Liebe der Briten zu ihrem "Stanton" ungebrochen: Mehr als 200 000 Übernachtungen von Gästen aus dem Vereinigten Königreich zählte St. Anton im vergangenen Winter, mehr als jeder andere österreichische Skiort. Besonders englischen Touristen hängt der Ruf betrunkener Pöbler an. Derlei Benehmen scheint beim Après-Ski aber ohnehin in feuchtfröhlicher Stimmung unterzugehen: "Die Briten unterscheiden sich vor allem von den Österreichern, weil sie nicht nur für sich selbst bezahlen, sondern Runden für den ganzen Freundeskreis ausgeben", so eine Sprecherin vom Tourismusverband St. Anton. Dabei habe die Liebe der Briten zu St. Anton heute wahrscheinlich nicht mehr nur mit Arnold Lunn zu tun, sondern auch mit dem schwächelnden Euro, der Skiurlaub und Schnapsrunden für Briten erschwinglicher macht. evth

Allgäuer Ruhrpott

Es muss an dem geräumigen Talkessel liegen, an dem Umstand, dass die Berge zwar zum Greifen nah sind, aber eben doch noch in einer Entfernung, die sie nicht bedrohlich wirken lässt. In Oberstdorf im Allgäu gibt es dieses Nah-und-weit-genug-Gefühl. So kann der Besucher ins Hochalpine blicken, auf schneebedeckte Gipfel, ohne von den Alpen erdrückt zu werden. So begründet eine Sprecherin des Tourismusverbandes, warum so viele aus Nordrhein-Westfalen - insbesondere aus Köln, Wuppertal und Essen - nach Oberstdorf kommen. Eine Sonthofener Firma bietet dazu einen speziellen Haustür-zu-Haustür-Service an: Die Gäste werden mit dem Taxi zu Hause abgeholt und bei ihrer Pension abgesetzt. Außerdem liebe der Westfale Winterwanderungen, Bergkäse, Kässpatzen, die Allgäuer Tracht und vor allem den Almabtrieb im Herbst. Doch selbst in den Wintermonaten machen die Gäste aus Nordrhein-Westfalen mehr als ein Viertel der insgesamt rund eine Million Übernachtungen aus. Auf einen derart hohen Wert kommen nicht einmal die Gäste aus dem nahegelegenen Baden-Württemberg. Von denen reisen zwar mehr an, doch bleiben sie weniger lang. mai

Kyrillisches Zillertal

Der Russe wirft mit den Geldscheinen nur so um sich, sobald er Champagnerflaschen und Versace-Logos blitzen sieht, und wählt deshalb ausschließlich die mondänen Wintersportorte der Schweiz zum Skifahren. Soweit das Klischee. Doch in St. Moritz machten die Russen in der vergangenen Wintersaison gerade einmal drei Prozent der Übernachtungen aus. Stattdessen feiern sie ihr Weihnachten am 6. Januar besonders gerne im österreichischen Mayrhofen: Von den insgesamt 1,3 Millionen Übernachtungen im vergangenen Winter wurden zehn Prozent von russischen Touristen gebucht. Der Ort stellt sich ein auf die Gäste: Speisekarten in kyrillischer Schrift sind in Mayrhofener Restaurants die Regel, im Europahaus im Zentrum wurde dieses Jahr sogar eine russisch-orthodoxe Weihnachtsfeier organisiert. Und das Klischee vom Luxus-Russen? "Russische Touristen shoppen zwar schon gerne", räumt ein Sprecher vom Tourismusverband Mayrhofen ein. Aber auch dem Tiroler Brauchtum und regionalen Gerichten wie Zillertaler Graukassuppe seien die russischen Gäste nicht abgeneigt. evth

Dolce Vita im Engadin

Italiener machen auch im Winter am liebsten in der Heimat Urlaub, in Madonna die Campiglio oder Cortina d'Ampezzo beispielsweise. Wenn es schon das Ausland sein muss, dann das Engadin in der Schweiz gleich um die Ecke. Insbesondere die Mailänder Oberschicht absolviert gerne mal die nur etwa 160 Kilometer - vorbei am langgestreckten Comer See mit seinen vielen Sommerresidenzen - hinauf nach St. Maurizio, St. Moritz. Das liegt 1700 Meter höher, und der Niederschlag fällt geflockt statt in Tropfenform. Der kulturelle Kontrast ist aber weit geringer als der geographische. Jede zehnte Übernachtung zahlt ein Italiener. Zudem besitzt unter den etwa 2000 in St. Moritz lebenden Ausländern etwa die Hälfte einen italienischen Pass, viele Einheimische beherrschen die Sprache der südlichen Nachbarn. Eine Ausnahme sind die Italiener aber nicht. Auch Deutsche machen in der polyglotten Schweiz am liebsten im deutschsprachigen Osten und im Norden Urlaub. dop

Niederländischer Après-Ski-Hit

Wo exakt die Liebe der Niederländer zu Gerlos herrührt, weiß auch Günther Hauser, Geschäftsführer des hiesigen Tourismusverbandes, nicht genau. Jedenfalls sei es "eine sehr lange gewachsene Geschichte". Schon vor dem Zweiten Weltkrieg kamen die ersten Flachländer in die kleine Gemeinde im Zillertal, eine Studiengesellschaft verstärkte die Massenwanderung in den 1960ern, und mittlerweile kommt kein vernünftiges Reisebüro in den Niederlanden an Gerlos vorbei. Eine große niederländische Tageszeitung wählte die Skidestination gar zum beliebtesten Alpenort der Landsleute. Der Niederländer-Anteil an den Übernachtungen liegt in Gerlos und Umgebung über den gesamten Winter bei durchschnittlich rund 50 Prozent, ganz zu schweigen von den Einnahmen durch das Après-Ski. Bei den Niederländern ist geselliges Beisammensein samt Alkoholzufuhr nach dem Pistenbesuch gewissermaßen eine Familienangelegenheit. "Da ist oft auch noch die Oma mit dabei", weiß Hauser. Und viele Skilehrer und Angestellte in der Gerloser Gastronomie stammen inzwischen aus demselben Land wie ihre Gäste. dop

Panorama für Polen

Der Stubaier Gletscher lockt immer mehr Polen nach Tirol: "Seit 15 Jahren gibt es eine stete Steigerung bei polnischen Gästen", so eine Sprecherin vom Tourismusverband Stubai, im vergangenen Winter wurden hier 6,5 Prozent der Übernachtungen von Polen gebucht. Das liegt wohl auch daran, dass Stubai den osteuropäischen Markt gezielt bewirbt: So lachte 2008 in Polen von zehn Millionen Milchtüten eine Skifahrerin in polnischer Tracht, im Hintergrund das Stubaier Gletscherpanorama. evth

Einsame Spitze

Die Deutschen sind in deutschsprachigen Wintersportorten beinahe überall die stärkste ausländische Fraktion. Ob Zermatt, St. Moritz, Kitzbühel, St. Anton oder Gröden - Deutsche werden dort in den nächsten Wochen überall vor allem auf Landsleute treffen. dop

© SZ vom 22.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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