Vielleicht hätte man sich unten in Appenzell einmal erkundigen sollen, wie das eigentlich genau funktioniert mit dem Whiskytrek. Nur ist es dafür jetzt zu spät. Auf der Meglisalp, die schon 1000 Jahre alt ist und trotzdem nicht von gestern, steht Sepp Manser in der Küche des Berggasthauses und stellt eine Frage, die mehr einer Aufforderung gleichkommt. "Magst was probieren von dem Whisky?" Nun ja, eigentlich sind es bis zum Tagesziel, dem Säntisgipfel, noch 1000 Höhenmeter, es ist gerade Mittag und es kommen ja noch ein paar Stationen, also vielleicht, oder doch nicht. "Kein Problem", sagt Manser, "das geht locker", und er schenkt ein.
Ach ja, der Alpstein im Appenzellerland, schön ist es hier, verdammt schön. Selbst Atheisten könnten auch ganz ohne Alkohol auf den Gedanken kommen, dass bei der Entstehung dieses Gebirgszuges im Osten der Schweiz die Hand Gottes im Spiel gewesen sein muss und einige Kerben für Alpwiesen und Seen in die nun steil abfallenden Felsriegel geschlagen hat. Wie kaum woanders in den Alpen wird am Alpstein heute die meist urbane Sehnsucht nach der Älplerromantik befriedigt: mit frischer Milch von Kühen und Ziegen, Molkebad und Käsereiführungen; mit an Felsen geduckten Hütten und zu kleineren Alpdörfern gruppierten Gebäuden wie auf der Meglisalp. Hin und wieder rennt ein Murmeltier im Schweinsgalopp vorbei.
Aber Whisky in großen Fässern? Das passte nicht so wirklich in die Landschaft. Bis Sepp Manser kam.
Der ist nicht so ganz der Typ, der sich darum schert, ob und wem das jetzt passen könnte. Er betreibt die Meglisalp schließlich schon in der fünften Generation, "und die sechste steht schon bereit". Außerdem war er ja nicht hundertprozentig unvoreingenommen, nachdem er winters mal unten in der Brauerei Locher in Appenzell gearbeitet hat und den dortigen Besitzer Karl Locher kannte. Der war vor 20 Jahren in die Whiskyproduktion eingestiegen. Einige Schritte bei der Herstellung von Bier und Whisky haben ja durchaus Gemeinsamkeiten. Irgendwann kamen Locher und Manser auf die Idee, ein paar Whiskyfässer im Felsenkeller auf der Meglisalp einzulagern. Manser kam damit ins Fernsehen; manch einer der Nachbarwirte wollte jetzt auch ein Fass. 2015 wurde in einer Kooperation des Appenzeller Bergwirtevereins und der Brauerei schließlich der Whiskytrek ins Leben gerufen.
Inzwischen verfügt jedes der 25 Berggasthäuser der Region über eine eigene Whisky-Edition des sogenannten Säntis Malt, und genau genommen ist das schon ein erstaunlicher Marketingtrick: Das Urprodukt ist immer das gleiche; es kommt ja aus demselben Haus. Nur das, was die Experten das Finish nennen, also die finale Lagerung, macht den Unterschied. Mal bekommt der Whisky den letzten Schliff in einem alten Sherryfass, mal in einem Rotwein- und dann wieder in einem Portweinfass. Außerdem ist von Bedeutung, in welcher Höhe das Fass gelagert wird, also ob etwa im Gasthaus Alpenrose in Wasserauen auf knapp 1000 Meter oder knapp unterhalb des Säntis-Gipfels auf 2500 Meter über dem Meer. Dadurch sind die Unterschiede zumindest teilweise so fein, dass man schon ein gewaltiger Feinschmecker sein muss, um die Nuancen wirklich mit der Zunge auszumachen.
Allerdings funktioniert der Whiskytrek eben ohnehin nicht so, dass man auf der Meglisalp bei Sepp Manser für den dritten Vormittagsdrink in dessen Küche stolpert, während er gerade ein Rösti mit erstaunlicher Hingabe auf dem Teller drapiert. Vielmehr soll der Whiskytrek-Besucher vorab ein Gutscheinheft für acht, neun oder auch 26 verschiedene Whiskyfläschchen mit je 100 Milliliter Inhalt erwerben, um diese gesammelt von den 25 Hütten wieder hinab ins Tal zu tragen (das 26. gibt es in der Brauerei). Das ist allein deshalb gar nicht so paradox, wie es sich anhört, weil der sofortige Konsum spätestens an einigen der ausgesetzten Bergwege wie am mit Drahtseilen gesicherten Lisengrat zu einem ungesunden Schlingerkurs führen könnte. Für reine Sauftouren ist der Whisky ohnehin zu teuer, wie Manser einräumt. Das Neunerheft kostet 150 Schweizer Franken, die einzelne Flasche 25. Die komplette 26er-Batterie schlägt mit ernüchternden 390 Franken zu Buche.
Wie sehr sich der Whiskytrek trotz oder gerade wegen der preislichen Hürde zur Erfolgsgeschichte entwickelt hat, überraschte selbst den passionierten Single-Malt-Fan Sepp Manser. Je nachdem, welchen Wirt man auf dem Trek befragt, werden auf jeder Hütte pro Wandersaison etwa 500 bis 1500 der 100-Milliliter-Flaschen abgegeben. Laut dem Marketingspezialisten der Brauerei Locher wurden so seit 2015, rechnet man alle Hütten zusammen, etwa 50 000 bis 60 000 Flaschen verkauft.
Dabei hielten einige Wirte den Whiskytrek zunächst für eine regelrechte Schnapsidee; Whisky und Berge - eine schwierige Kombination, so der Tenor. Im Berggasthaus Rotsteinpass macht Albert Wyss noch heute keinen Hehl aus seiner anfänglichen Skepsis. Statt des üblichen 200-Liter-Fasses hat er deshalb nur einen 50-Liter-Bottich in der alten Telefonkabine der Hütte stehen. Früher habe sein Vater in einer Saison vielleicht zwei Flaschen unter die Gäste gebracht, so Wyss. Woher sollte dann die Nachfrage kommen "nach etwas derart Hochwertigem, das auch noch seinen Preis hat?" Ihm ist es dann jedoch auch wichtig zu sagen: "Aber wir haben mitgezogen."
Beim Appenzeller Bergwirteverein macht man seit Längerem die Erfahrung, dass es sinnvoller ist, an einem Strang zu ziehen, als wenn jeder auf seinem mehr oder weniger abgelegenen Haus vor sich hinwurschtelt. Vor einigen Jahren nutzte der Wirteverein mit dem Alpsteinpass die Sammelleidenschaft der Wanderer. Jeder, der mehr als fünf Franken auf einer Hütte konsumierte, erhielt zuerst einen Stempel, später einen Aufkleber vom Berggasthaus, "wie Paninibildchen", sagt Ruedi Manser, der den gleichen Urgroßvater wie der Sepp von der Meglisalp hat, dessen Berggasthaus Alter Säntis aber einen beschwingten Marsch weiter oben liegt, nur wenige Meter unterhalb des Gipfels. Wer damals mit dem Pass sämtliche Berggasthäuser abklapperte, erhielt eine Trophäe, etwa eine Stirnlampe, einen Rucksack oder ein Oberteil, stets mit Logo versehen. Im letzten Jahr des Bestehens wurden 12 000 Pässe ausgegeben, 4000 Inhaber holten sich die Prämie - "und machten damit Werbung für uns", so Manser vom Alten Säntis.
Der Appenzeller Postenlauf für zahlungsbereite Volljährige ist damit nicht nur ein weiteres Lehrstück in Vermarktung - wer sonst schafft es als "höchstgelegener Whiskytrek der Welt" in die Medien? Der Weg kann auch als weiteres Beispiel dafür dienen, wie eine ganze Region von einer Kooperation profitiert. Dabei muss natürlich nicht jeder Wanderer zwingend Whisky trinken. Es muss auch nicht jeder Wirt von dem Produkt so überzeugt sein wie der Meglisalp-Manser, der das Lechtaler Hirsch-Entrecôte ebenso mit dem hauseigenen Whisky verfeinert wie das Rehtatar und die Schokomousse. "Interessant ist für uns einfach, dass der Gast in unserem Gebiet bleibt, dort auch konsumiert und nächtigt", sagt der Säntis-Manser. Selbst wer nur eine Neun-Flaschen-Tour zurücklegen will, muss sich schon sehr beeilen, um ohne eine einzige Übernachtung in der Region auszukommen. Das 26er-Paket zieht häufig sogar mehrere Aufenthalte im Appenzellerland nach sich, da sich nicht alle Hütten miteinander verbinden lassen.
Wie einst der Alpsteinpass für einen neuen Köder Platz machen musste, soll nun auch der ohnehin schon um ein Jahr verlängerte Whiskytrek nach dieser Saison von der nächsten Idee abgelöst werden. Ruedi Manser, also der Wirt vom Alten Säntis, meint: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es nach fünf, sechs Jahren etwas Neues braucht." Was das genau ist, kann oder will noch niemand verraten. Aber wächst da nicht direkt am Wegesrand zwischen Seealpsee und Wasserauen gar wundervoller Wacholder? Und mischt nicht die Alpenbitter AG in Appenzell einen respektablen Gin? Man könnte doch mal ...