In diesem Tal ist etwas anders. Man merkt das spätestens, wenn einem nach langer, kurvenreicher Fahrt auf einem ziemlich ausgesetzten Bergsträßchen am Eingang des Hauptortes Safien-Platz zwei Kamele anglotzen - so tiefenentspannt, als sei nicht die Wüste Gobi, sondern das Bergdorf ihr angestammtes Habitat. Sie heißen Dschingis und Aladin, und haben, wie ihre Besitzerin, die Bio-Bäuerin Angelika Bandli betont, keinen wirtschaftlichen Zweck: "Sie dienen meinem Seelenheil."
Dinge, die dem Seelenheil, oder, eine Nummer kleiner, der Schönheit dienen, gibt es im Safiental viele. Es ist gewissermaßen der absolute Gegenentwurf zu Flims und Laax auf der anderen Seite des Rheintals, wo man sich höchst erfolgreich als "Alpenarena" vermarktet mit unzähligen Pistenkilometern und noch mehr Hotelbetten. Weder vom einen noch vom anderen gibt es hier besonders viel: Hotelbetten sind es knapp 200, die meisten davon in kleinen Gasthäusern oder zu Bed & Breakfasts umgebauten, wunderschönen alten Walser Holzhäusern. Pistenkilometer sind es genau 4,5. Und die werden von einem einzigen Schlepplift erschlossen, der zu 100 Prozent mit Solarstrom betrieben wird. Es ist der erste Solarlift der Welt, den die Bewohner des hübschen und sehr sonnigen Dorfs Tenna als Genossenschaft betreiben. Und es ist wohl der einzige Lift der Welt, der auch Geld verdient, wenn er still steht: Der Strom aus den über dem Kabel montierten Solarpaneelen wird ins Netz eingespeist: 15-mal so viel, wie man für den Liftbetrieb braucht.
Hasen, Rehe - und ab und an ein Kamel: Die Almwiesen sind auch im Winter belebt
Das kleine Skigebiet ist relativ vielseitig und mit einer Wochenkarte, die 100 Franken kostet, in der Schweiz wohl kaum zu unterbieten. Aber seine wirklichen Trümpfe spielt das Tal für all jene aus, die mit Schneeschuhen, Langlauf- oder Tourenskiern in die Berge wollen. Von Thalkirch, dem hintersten Ort, wo das sonst sehr steile und enge Tal weit und grandios wird, gibt es zahllose Skitourenmöglichkeiten. Im Grunde ist die ganze Westseite des Tals ein einziger Skitourenspielplatz, mit nie zu steilen, aber auch nie zu flachen Almwiesen. Piz Tomül, Strätscherhorn, Camanagrat sind nur die beliebtesten. Die Ostseite des Tals wird von wilden, 3000 Meter hohen Bergen begrenzt, Bruschghorn, Gelbhorn und dahinter der Beverin, nach dem der Naturpark benannt ist, zu dem auch das Tal gehört. Tiere sind hier eindeutig in der Überzahl, Rehe und Hasen springen allenthalben über die Straße, weiter oben sieht man mit dem Fernglas Gämsen und viele Steinböcke und im Schnee die Spuren von Fuchs und Birkhühnern. Man sollte nur aufpassen, keine Wildruhezonen zu betreten oder zu befahren. Auf Schildern am Ausgangspunkt der Touren wird darauf und auf die Geldbußen hingewiesen. Der Wildhüter erfährt es schneller, als man wieder zum Tal hinausfahren kann.
Die Nutztiere, vor allem die Kühe, bestimmen hier nicht nur das Speisenangebot, das von der Bio-Salsiz über den einjährigen Alpkäse bis zum selbst gemachten Joghurt reicht. Sie prägen selbst im Winter das Landschaftsbild: In kaum einem anderen Tal stehen mehr Heustadel, Ställe und Almhütten herum, pittoresk sonnenverbrannt und nach den jüngsten Schneefällen mit einer dicken weißen Haube. Der Grund: Das Weideland war hier immer in sehr kleine Parzellen aufgeteilt, auf denen die Bauern hoch über dem Dorf ihre Heuställe bauten. Da man im steilen Gelände leichter die Kühe hinauf- als das Heu herunterbrachte, fütterte man sie von Stadel zu Stadel durch, bis sie im Hochwinter im Dorf angekommen waren, wo dann das dortige Heu bis zum Frühjahr reichte.
Heute arbeitet man natürlich mit Traktoren, und die vielen Heuställe haben eigentlich keine Funktion mehr, außer dass sie schön sind und mindestens so gut fürs Seelenheil wie ein Kamel.