Rotwandhaus über dem Spitzingsee:Lammschnitzel und Stierhoden auf 1884 Meter Höhe

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Die Gäste des Rotwandhauses im bayerischen Alpenvorland sind oft Münchner und eher selten an alpinistischen Höchstleistungen interessiert. Gut, dass nicht nur die Besucher kulinarisch anspruchsvoll sind, sondern auch der Wirt.

Dominik Prantl

Dieser Beitrag ist erschienen am 6. Juni 2012. Wir haben die Übernachtungspreise aktualisiert. Darüber hinaus ist der Text unverändert.

Ein Archivbild des Rotwandhauses noch vor dem Umbau, der 2011 abgeschlossen wurde: Auf der Westseite sind Hütten durch einen Anbau ersetzt, im Untergeschoss ein Blockheizkraftwerk eingebaut. (Foto: Dimitri Bondarenko, Fotolia)

Um zwölf Uhr sagt Peter Weihrer: "Gleich bin ich bei dir." Eine halbe Stunde später steht er noch immer zwischen den Zapfhähnen, "stimmt, wir wollten ja reden", ehe er um 13 Uhr dann meint: "Vielleicht is' gscheider, du kommst am Nachmittag vorbei."

Auf die Idee, den Wirt des Rotwandhauses an einem Samstagmittag zum gemütlichen Plausch zu treffen, kommen wahrscheinlich auch nur Flachlandtiroler und Journalisten. Zwar hängen die Wolken so tief in den Bayerischen Bergen, dass beim Aufstieg weder Rauhkopf noch Rotwand und erst recht kein Panorama zu sehen ist, aber das scheint die Kundschaft nicht zu schrecken.

Und wer da nicht alles vom Spitzingsee heraufmarschiert und -strampelt! Mountainbiker, von denen manche ihr teures Sportgerät einen Gutteil des Weges schieben, Schafkopfbrüder, halbe Schulklassen, Südeuropäer mit Handtasche inklusive Miniaturhund, der aussieht wie eine Kreuzung aus Ratte und Rotfuchs.

Münchner Wanderhütte. Man sagt das immer ein bisschen abwertend, ungefähr so wie Fast Food oder Hollywoodstreifen, weil es ja doch nichts für Berggänger mit echten Ambitionen ist, sondern nur ein austauschbares Produkt für die gemeine Masse, eine Nullachtfünfzehn-Herberge. Doch wenn man Peter Weihrer am Nachmittag endlich in einer ruhigeren Phase erwischt und nach dem Profil seines Publikums befragt, sagt der ein einziges Wort: "Anspruchsvoll."

Dabei ist die Rotwand mit ihrem 1884 Meter hohen Aussichtsgipfel oberhalb des Rotwandhauses einer der Münchner Hausberge schlechthin, nicht einmal Weihrer würde das abstreiten. Seit 1987 ist er hier oben, sommers wie winters, und - seit dem Umbau im vergangenen Jahr - erstmals sogar 363 Tage pro Jahr. "Wir probieren das jetzt einfach mal", sagt er.

Er weiß, dass er auf sein Münchner Stammpublikum zählen kann, das den Großteil der Tagesgäste ausmacht. Auch freie Betten sind häufig rar, weil aus den weiter entfernten Ecken Bayerns Übernachtungsgäste strömen. "Am Wochenende sind wir eigentlich immer ausgebucht", sagt Weihrer.

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Schon vor einiger Zeit belegte der Deutsche Wanderverband per Studie, dass das Tagesziel keineswegs immer ein Gipfel sein muss, sondern längst auch Almen und Hütten als würdiger Lohn eines Bergausfluges gelten. Darauf, dass allein die wachsende Wanderleidenschaft die Ausflüglerscharen in sein Domizil treibt, vertraute Weihrer aber nicht.

Er definierte sich als Hüttenwirt neu. Noch in der ersten Hälfte seines mittlerweile 25-jährigen Wirkens war seine Speisekarte ein Dokument der Einfallslosigkeit, denn sie enthielt die übliche Bergsteigerkost von der Erbsensuppe bis zum Würstel. "Fast Food der Berge", nennt Weihrer die Gerichte von einst. Er dachte sich damals: "Es kann doch nicht sein, dass jeder das Gleiche kocht" - und stellte im Jahr 2000 das Menü komplett um.

Er brachte ja alle Voraussetzungen für etwas kreativere Kulinarik am Berg mit. Im Brixental bei Kitzbühel aufgewachsen, absolvierte er eine Ausbildung zum Koch und entschied sich gegen die Arbeit auf den zwei elterlichen Höfen. "Ich bin Wassermann, ich brauche meine Freiheit", sagt Weihrer, und man ist sich nicht sicher, ob er das bierernst meint. Schließlich bedeutet ein Wirtsjob in den Bergen ja alles andere als Freiheit.

"So richtig Urlaub habe ich das letzte Mal 1997 gemacht", sagt er. Davor aber, 1984, ging er ein Jahr nach Frankreich, in die Nähe von Marseille, um zu sehen "wie die dort kochen". Die Erkenntnis: "Auch nur mit Wasser. Vielleicht mit etwas mehr Butter."

Aber er stellte etwas noch viel Wichtigeres fest, nämlich wo er hingehört. Während dieses einen Jahres verlor das Meer die Anziehungskraft auf den Wassermann, oder wie Weihrer in seiner ungekünstelten Tiroler Art sagt: "A Meer is a Meer. Des is immer gleich."

Dagegen die Berge! "Viele wissen den Wandel über die Jahreszeiten gar nicht mehr zu schätzen", bedauert er. Ihm gefällt es, wenn das Weiß des Winters die Tourengeher anlockt zur Rotwand-Reibn, einer der beliebsten Skirunden der Münchner. Oder wenn sich der Schnee dann langsam zurückzieht und die latschenbewachsenen Hänge freigibt.

Und dann der Sommer, der Herbst! Diese Vielfalt hat anderes verdient als angebrannten Leberkäse und versalzene Erbsensuppe. Außerdem bringen die Münchner ihre Münchner Ansprüche mit. Das bezieht sich immer seltener auf alpinistische Herausforderungen.

An den Ruchenköpfen, dem traditionsreichen Klettergebiet um die Ecke, sei es ruhig geworden. "Früher, als es weniger Kletterhallen gab, standen die Leute dort Schlange", sagt Weihrer.

Bald redet er sich in Form. Über die Kunst des Spätzlemachens und wie sich durch das Mahlen des Mehls die Molekülstruktur verändert. Sein Fleisch - Lamm, Rind und Schwein - beziehe er vom Hof seiner Familie in Hopfgarten. Der Käse komme von einer Alm aus dieser Gegend, der Apfelsaft, natürlich naturtrüb, aus Bad Feilnbach. Seine Spezialität? Lammschnitzel. Paniert. Mit Dijonsenf. "Geht gut", sagt er.

Manche seiner Stammgäste reisen teilweise zweimal pro Woche aus München an und essen Gerichte wie Lüngerl, Rinderzunge oder Lammeintopf. Der Renner sind übrigens die selten servierten Stierhoden, "paniert oder geschnetzelt mit Majoran". Bereitet er auch die Gulaschsuppe tatsächlich selber zu?

Er schaut, als habe man ihn nicht nur in seiner Kochehre gekränkt, sondern auch seine Freundin verführt, legt drei Finger aufs Herz und sagt: "Ich schwör's dir. Da kannst du hier jeden fragen." Wie mehr als 100 Hütten im Alpenraum ist das Rotwandhaus seit langem Teil der Alpenvereins-Kampagne "So schmecken die Berge", welche die Verwendung regionaler Produkte fördert.

Auch die Albert-Link-Hütte 700 Meter tiefer gehört dazu. Dort wurde dank der Tallage an einer Teerstraße das alpine Versorgungsprinzip auf den Kopf gestellt: Die auf der Hütte hergestellten Produkte wie Holzofenbrot, Bergkäse und Wildsalami gibt es mittlerweile auch in einer Kletterhalle bei München zu kaufen.

Informationen

Anreise: Mit dem Auto oder der Bayerischen Oberlandbahn und Bus zum Spitzingsee. Von dort in etwa zwei bis zweieinhalb Stunden über einen breiten Forstweg zum Rotwandhaus, bayerischeoberlandbahn.de

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Unterkunft: Rotwandhaus, Spitzingsee 3, 83727 Schliersee, Tel.: 08026/7683, Übernachtung ab 22 Euro, mit Halbpension ab 57 Euro, AV-Mitglieder jeweils 10 Euro weniger, rotwandhaus.de

© SZ vom 06.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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