In dieser Serie stellen wir reisende Fotografen vor. Normalerweise. Die Corona-Krise bringt nun auch diejenigen zum Innehalten, die sonst ständig unterwegs sind. Bis es wieder losgehen kann, erzählen uns einige von ihnen, wie sie die Reisepause erleben - und zeigen uns Bilder von Orten, an die sie besonders gerne denken.
Reisefotografie, davon ist Michael Runkel überzeugt, war noch nie so wichtig wie jetzt: "Bilder von schönen Orten, an denen die Menschen schon gewesen sind oder zu denen sie gerne einmal reisen würden, helfen ihnen doch dabei, ein bisschen von den negativen Gedanken wegzukommen, die sie momentan umschwirren." Auch an sich selbst bemerkt er gerade diesen Effekt - und kann dafür auf einen wirklich außergewöhnlichen Bilderschatz zurückgreifen.
Nach Besuchen in allen 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen gehört der 50-Jährige zu den meistgereisten Menschen der Welt. Mehr als zweieinhalb Millionen Bilder hat er im Lauf der Zeit gemacht, allein 35 000 bei seiner letzten langen Tour, die nun durch die Corona-Krise vorläufig in San Diego ein Ende gefunden hat. Während er dort mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern abwartet, wie es weitergeht, sichtet und bearbeitet er seine jüngsten Aufnahmen - eine "fast meditative" Beschäftigung in diesem ungewohnten Stillstand.
Sein Blick wandert dabei zum Beispiel zurück in den extremen Frost im Nordosten Sibiriens, wo er sich zuletzt aufhielt. Die berüchtigte Fernstraße R504, wegen der vielen Toten bei ihrem Bau während der Sowjetzeit bekannt als "Straße der Knochen", verläuft nahe dem kältesten bewohnten Ort der Welt, Oimjakon.
Im Winter herrschen dort im Schnitt minus 50 Grad Celsius. In dieser Gegend hat Runkel auch Rentierzüchter besucht, die den kaum vorstellbaren Bedingungen trotzen.
Hätte sich die Welt nicht binnen weniger Wochen so verändert, wäre Runkel in diesem April unterwegs in fast gegenteiliger Kulisse - an Bord eines Frachtschiffs zu den entlegensten Inseln Polynesiens. Diese Fahrt durch die Südsee ist nun auf den kommenden Februar verschoben. Ob seine Ziele für diesen Sommer, darunter das brasilianische Amazonasgebiet, die kanadische Bahnstrecke Rocky Mountaineer sowie Nordvietnam und Kasachstan wieder rechtzeitig erreichbar sind, wartet der Globetrotter gezwungenermaßen ab.
"Die Welt hat sich während meines bisherigen Reiselebens so unglaublich geöffnet, es war zuletzt so einfach wie nie zuvor", sagt Runkel. Diese Möglichkeiten hat er genutzt wie kaum jemand sonst. Eine seiner schönsten Reisen, so erzählt der Fotograf, war dabei im Oktober 2019 in Afghanistan.
Ganz abgesehen von der spektakulären, wenig bekannten Natur: In solchen Gegenden zu beobachten, wie Menschen mit extremen Umständen zurechtkommen, rückt für Runkel gerade in der aktuellen Weltkrise vieles zurecht. "Wir leben gerade erst in einem Wenige-Wochen-Schicksal, die Menschen dort in einem Dauerschicksal, immer mit dem Gedanken, vielleicht gleich sterben zu müssen." Zu sehen, dass selbst in einem Jahrzehnte währenden Kriegszustand möglichst normale Leben geführt werden, bleibt dem Fotografen eindrücklich in Erinnerung.
Runkel selbst hat 2003 das verheerende Erdbeben in Iran überlebt und durch weitere Grenzerfahrungen unterwegs für sich gelernt, "nie in Panik zu geraten - weil man sonst Dinge macht, die irrational sind". Mit Hilfe dieser Ruhe und seriöser Informationen will er auch die jetzige Zeit bewältigen. Die Auswirkungen des Virus bemerkte er schon im Januar, als ein lokaler Veranstalter seinen geplanten Besuch in China deswegen absagte.
Davor war gerade eine besondere Tour durch Myanmar gelungen, unter anderem zu den Chin, bei denen die Gesichter der Frauen von tätowierten Spinnennetzen und anderen traditionellen Mustern bedeckt sind.
Wenn Runkel jetzt über Orte nachdenkt, die er gerne einmal wiedersehen möchte, fallen ihm Naturschönheiten ein wie der Tamul-Wasserfall im mexikanischen Bundesstaat San Luis Potosi.
Oder er gerät ins Schwärmen angesichts der Skurrilität von Orten wie Belogradtschik in Bulgarien. Dort wurde die Kaleto-Burg inmitten urzeitlicher Felsen gebaut.
Als bekennender Wüstenfan hat der Fotograf schon fast alle Ecken der Sahara selbst gesehen. Das Aïr-Massiv in Niger wäre ein Wunschziel für die Zukunft: "Da warte ich nur darauf, irgendwann hinzufahren." Für den Moment bleibt Abwarten, Hoffen, "mehr Zeit, als ich in den letzten 30 Jahren hatte" - und der Blick auf zweieinhalb Millionen Erinnerungsbilder.
Michael Runkel teilt seine Arbeit unter anderem hier auf seiner Website sowie auf Instagram .
Alle bisherigen Folgen der SZ-Serie "Reisefotografen" finden sich hier unter www.sz.de/thema/Reisefotografen.