Reisebuch:Eine andere Welt

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Der niederländische Fotograf Pie Aerts nimmt sich Zeit für Menschen und ihre Geschichten. Dafür ist er an Orte gegangen, die sich der Moderne noch entziehen.

Von Stefan Fischer

Die Augen. Es ist der Blick der meisten Menschen, der einen bannt als Betrachter dieser Fotografien. In diesen Blicken - fast immer neugierig, manchmal fordernd - liegt eine große Verbindlichkeit. Die Porträtierten signalisieren ein ernsthaftes Interesse am Gegenüber - und scheinen ein solches selbst einzufordern. Die Lebensgeschwindigkeit jener Menschen, die der Niederländer Pie Aerts für seinen Band "Tales from the Roads Less Travelled" besucht hat, ist wesentlich geringer als in der westlichen Welt. Und die Begegnungen mit Fremden sind bedeutsamer. Es gibt insofern wenig Flüchtigkeit in den Aufnahmen. Auch deshalb, weil Aerts sich Zeit nimmt, für die Menschen, für ihre Geschichten, die er in einem einzigen Bild erzählen oder wenigstens andeuten will.

Diese Erzählungen handeln von lokalen Kulturen, die von der "im Entstehen begriffenen homogenen Weltkultur" noch nicht überwältigt, verwandelt und aufgesaugt worden seien. Jedenfalls noch nicht vollständig. Es gibt, so Pie Aerts, einen Zusammenhang zwischen der Zahl der Fremden, die einen Ort besuchen, und dem Grad, in dem sich die Besuchten, die selbst nicht reisen, dem Lebensstil der Besucher anpassen. Auf den weniger stark bereisten Straßen ist die Wahrscheinlichkeit höher, auf Unbekanntes zu treffen. Wobei diese Straßen auch durch Italien verlaufen können: Pie Aerts war im Herbst in den Abruzzen, in dem mittelalterlichen Bergdorf Santo Stefano. Ein Ort, der sich in vielerlei Hinsicht der Moderne entzieht. Auch erinnern Aerts' Aufnahmen an kein Bild, das man mit Italien verbindet.

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Wobei der Fotograf nicht den Fehler begeht, das Traditionelle als das per se Bessere anzusehen. Er trifft in der indonesischen Provinz Papua Menschen, die noch im Urwald leben und ihn auch nicht verlassen wollen. Eine Lebensweise, die kaum jemanden älter als 40 Jahre alt werden lässt. Gleichzeitig tun sie viel dafür, ihren Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen - wissend, dass sie damit die eigene Kultur auslöschen.

In Rajasthan trifft Pie Aerts das Hirtenvolk der Rabari. Die Angehörigen müssen nach 15 Generationen ihre Heimat verlassen, weil der Wassermangel aufgrund des Klimawandels ihre Herden bedroht - ein Aufbruch, um die Vergangenheit vielleicht doch noch bewahren zu können. Gauchos in Patagonien wiederum nehmen viele Annehmlichkeiten der Gegenwart an, weshalb "die echte Version, der wahre Gaucho", so Aerts, nur noch schwer zu finden ist. Er stellt das ohne Bedauern fest. Denn es wäre vermessen, einem Menschen vorzuwerfen, dass er nicht leben möchte wie zu vorindustriellen Zeiten.

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Die Fotografien lenken den Blick insofern auch nicht so sehr auf das Alte, sondern das andere. Es zeigt sich, wenn man genauer hinschaut, wenn man nicht das Erwartete sucht und nicht schon vorher alles zu wissen glaubt. In Varanasi hat Aerts nicht die Leichenverbrennungen fotografiert, sondern das alltägliche Leben der Bewohner in den bunten Gassen.

Pie Aerts : Tales from the Roads Less Travelled. Aus dem Englischen von Sofia Blind. Verlag teNeues / Mendo, Kempen 2019. 288 Seiten, 60 Euro.

© SZ vom 16.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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