London:Im Vorgarten der britischen Stars

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Im Hampstead läuft man Emma Thompson und Liam Gallagher über den Weg - ungestört, denn Touristen kommen selten in den Londoner Stadtteil.

Wo läuft man Oasis-Sänger Liam Gallagher und Starkoch Jamie Oliver über den Weg? Wo steht man mit Herbert Grönemeyer an der Kasse? Wo kann man stundenlang durch Wald und Wiesen wandern und ist doch nur vier U-Bahn-Stationen von Big Ben entfernt? Natürlich in Hampstead, dem schönsten Fleckchen Londons.

Wohnort vieler britischer Promis: Hampstead (Foto: Foto: 'Britain-on-view/dpa/tmn)

So mancher heute unbezahlbare Stadtteil in der britischen Metropole war früher ein Slum, Notting Hill und Islington zum Beispiel. Hampstead nördlich der Innenstadt war dagegen schon immer exklusiv: Im 18. Jahrhundert war es der Kurort von London, denn es liegt auf der Höhe und war nicht in den berüchtigten Nebel aus den Ausdünstungen der weltweit ersten industrialisierten Stadt gehüllt. Als der Moloch ausuferte und schließlich das gesamte Land rund um Hampstead verschluckte, blieb die Enklave unangetastet: Man wähnt sich am Stadtrand, wenn nicht gar auf dem Land. Das liegt vor allem an Hampstead Heath, einem hügeligen Wald- und Wiesengebiet.

Bei gutem Wetter rückt halb London hierhin aus. Es gibt einen Badesee für Männer, einen für Frauen und einen "mixed pond". Ziel vieler Besucher ist der Herrensitz Kenwood House mit seiner Gemäldegalerie. Im Sommer ist dieser Teil des Heath an jedem Samstag Schauplatz von Konzerten mit wunderbar englischer Atmosphäre: Man sitzt auf Picknickdecken und lauscht bei Champagner sehr gepflegt der meist klassischen Musik.

Auch der Herbst hat seine Reize. An schönen Sonntagnachmittagen lassen die Londoner auf Parliament Hill ihre Drachen steigen. Die bunten Vögel im weichen Licht der untergehenden Sonne, darunter die Dächer von Hampstead und Highgate und dazu ein spektakulärer Ausblick ins Themsetal auf die schier endlose Stadt - wenn man das einmal erlebt hat, versteht man wieder besser, warum so viele Menschen schrecklich enge Behausungen, überfüllte U-Bahnen und ein ständig überzogenes Konto in Kauf nehmen, um in dieser Stadt leben zu können.

Von Kenwood aus ist es nur ein kurzer Spaziergang zum Friedhof von Highgate, einem Ort von melancholischer Schönheit. Das Gatter quietscht, ein gewundener Pfad führt in den Totenwald. Spärliches Sonnenlicht fällt durch das Blätterdach. Einzelne Strahlen beleuchten Engel mit gebrochenen Flügeln und Grabplatten unter Efeu und Farn. Mitten im Gestrüpp steht ein Konzertflügel aus Marmor. Ein schlafender Löwe bewacht das Grab eines Zirkusdirektors, ein Hund hält seinem Herrn seit einer Ewigkeit die Treue, ein Pferd harrt seines Reiters im kniehohen Gras und ist darüber moosgrün geworden.

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Jetzt geht es durch ein Tor in eine Gruft, eine wahre Nekropolis. Völlige Stille - und zu beiden Seiten Kammern mit Särgen. In den 70er Jahren wurden hier Okkultismus und Teufelskult zelebriert, Hollywood nutzte den Friedhof als preiswerte Kulisse für Horrorfilme mit Christopher Lee. Heute ist all dem ein Riegel vorgeschoben - der Friedhof wird von einer gemeinnützigen Vereinigung geschützt. Der westliche Teil des Friedhofs war einst eine parkähnliche Anlage, in der sich nur die Allerreichsten eine Grabstätte leisten konnten. Auf dem östlichen, dem armen Teil des Friedhofs hat dagegen Karl Marx 1883 seine letzte Ruhestätte gefunden. Der tonnenschwere Bronzekopf wurde dem Grab 1954 in überdimensionierter Ostblock-Manier übergestülpt. "Workers of all lands, unite!", steht auf dem Sockel.

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Lena Prieger

So wie Marx im 19. Jahrhundert nach London flüchtete, kamen nach ihm viele andere Deutsche in die Weltstadt, und Hampstead war immer erste Wahl. 1921 wurde hier Peter Ustinov geboren, sein Vater war Presseattaché der deutschen Botschaft. Nach der Machtübernahme der Nazis setzte ein Emigrantenstrom ein; deutsche Konditoreien, Clubs und Restaurants entstanden. Zu den bekanntesten deutschsprachigen Zuzüglern gehörten Erich Fried, Elias Canetti und Sigmund Freud.

Der Seelendoktor aus Wien erreichte Hampstead 1938 schwer krebskrank, um dort "in Freiheit zu sterben". Er nahm alles mit - auch seine berühmte Couch. Zu sehen ist sie in seiner Villa, die heute ein Museum ist. In dem geräumigen Haus konnte sich Freud, der in Wien sehr beengt gelebt hatte, ausbreiten und sogar einen eigenen Garten genießen. Weiße Fensterrahmen im roten Backstein, Efeuranken und rauschende Bäume: In dieser stillen, friedlichen Welt ist er am 23. September 1939 im ersten Monat des Zweiten Weltkriegs gestorben.

Hampstead ist heute nicht mehr die Künstlerkolonie, die es lange gewesen ist - es ist dafür einfach zu teuer. Wohl aber ist es ein beliebter Wohnort für Popstars und Hollywood-Schauspieler. Helena Bonham Carter ("Zimmer mit Aussicht") wirft sonntagvormittags ihr Leergut in den Glascontainer in der England's Lane ein, und Oscar-Preisträgerin Emma Thompson ("Sinn und Sinnlichkeit") lebt noch immer in derselben Straße, in der sie in den 60er Jahren aufwuchs. Die Reichen und Schönen wissen es zu schätzen, dass sie in Hampstead keine Autogrammjäger zu fürchten haben. Die ganz normalen Touristen kommen meistens nicht so weit - und jeder, der hier wohnt, würde es als unsagbar peinlich empfinden, einen Star anzuquatschen. Man tut einfach so, als würde man ihn gar nicht erkennen.

© Christoph Driessen, dpa/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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