Als sich die Fähre nach einer Stunde Fahrt dem kleinen Hafen mit der mediterran-farbigen Häuserzeile nähert, hat kaum ein Passagier einen Blick für die Insel. Alle lehnen steuerbord an der Reling, halten Smartphone oder Kamera hoch. Dort liegt das Wrack der Costa Concordia. Dahinter verblasst Giglio, eine der sieben Inseln des toskanischen Archipels, die man die "schönsten Kinder der Toskana" nennt.
Wer den Blick vom Wrack abwendet, sieht im Hafen zwei Leuchttürme: einer ganz in Grün, der andere in Rot. Bis zur Havarie des Kreuzfahrtschiffes waren die beiden bunten Leuchttürme und ein wuchtiger Sarazenenturm der auffälligste Blickfang im Hafen von Giglio.
Hinter der Mole ist die Zeile der ein wenig an Saint-Tropez erinnernden Häuser, die in schöner Abwechslung in den warmen Farben des Südens gestrichen sind. Ein Bild, das einstimmt auf das, was die östlich von Korsika gelegene Isola del Giglio zu bieten hat - und was wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen wird, wenn das inzwischen aufgerichtete Wrack des Kreuzfahrtriesen aus dem Blickfeld verschwunden ist.
Von Giglio Porto aus führt der Weg auf kurvigen Straßen über die Granithügel zur westlichen Inselseite. Vorbei an kleineren, in traditionellen Steinterrassen angelegten Weinbergen geht es zur Bucht von Giglio Campese.
Oben auf dem Berg thront Giglio Castello, der dritte Ort auf der nur 21 Quadratkilometer großen Insel. Das Eiland hat 1600 Einwohner, davon sind einige Hundert Wahl-Insulaner. Unterhalb des kleinen Ortes liegen die anmutig geschwungene Bucht und das smaragdgrüne, klare Meer, das hier ein Paradies für Sporttaucher ist. Und über dieses Paradies kam der Schiffbruch wie ein Sündenfall.
In der Bucht von Giglio Campese dümpelt gerade ein Dreimaster, ein paar Segelboote zeichnen sich vor der untergehenden Sonne ab. Linkerhand ragt ein bizarrer Felsen aus dem Wasser, der so wirkt, als habe eine Gigantenhand ihn aus Thailand hierher verpflanzt. Spektakulär wäre das falsche Wort, um diesen Ort zu beschreiben. Er lädt eher dazu ein, es sich gemütlich zu machen - zum Beispiel für ein Frühstück am Strand.
Eines der schönsten Dörfer Italiens
Die Sonne ist über den Berg gewandert und scheint auf den imposanten Torre di Vendetta (Turm der Rache). Danach geht es hoch zum wuchtigen Kastell, Schmuckstück von Giglio Castello. Dieses darf sich "uno dei più belli borghi d'Italia" rühmen, eines der schönsten Dörfer von Bella Italia zu sein. Das sollte es auch, denn die Umgebung steht diesem Ruf in nichts nach: winzige Sandbuchten, umrahmt von Felsen, dicht bewaldete Bergkuppen und im Frühjahr eine Vegetation, die mit Farben und aromatischen Gerüchen besticht.
Bei der Panoramasicht von Giglio Castello spielt das glitzernde Mittelmeer die Hauptrolle. Im Dunst ist Elba zu erkennen, die größte der "schönsten Kinder der Toskana", aber auch die Insel Montecristo und das Festland mit seinem beeindruckenden Monte Argentario. Ruhig ziehen ein paar Segler dahin. Wer nicht baden will, nutzt am besten das kleine Netz der Wanderwege, das auch in den menschenleeren Süden Giglios führt, nach Punta del Capel Rosso mit seinem rot-weiß gestreiften Leuchtturm.
Der Insulaner Mario erzählt gern von einem gewissen Signore aus Cascina nahe Pisa, der seit mehr als drei Jahrzehnten auf die Insel kommt und sich jedes Mal aufregt, weil dieses nicht in Ordnung sei oder jenes falsch laufe auf Giglio - um sich schließlich seufzend zu ergeben: "Eh, si, die Insel ist wie eine überaus schöne Frau voller Fehler: Man kennt sie, man leidet an ihr, man hat sich aber in sie verliebt." Und dann bucht er für das nächste Jahr.
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Warten auf die Fähre für das Festland in Giglio Porto: Hier hat sich das Schreckliche zugetragen, hier arbeiten Hunderte Bergungsspezialisten, um den Schandfleck 2014 wegschaffen zu können - am besten vor Beginn des Sommers, damit nicht noch eine dritte Saison im Schatten der Costa Concordia steht. In der kleinen Kirche des Hafenortes wird weiter zum Gebet für die 32 Opfer des Schiffbruchs aufgerufen, die Bergungsleute des amerikanisch-italienischen Konsortiums bevölkern noch die Hafenzeile mit den kleinen Restaurants.
Daneben liegen Läden, die Honig von Giglio verkaufen oder auch den raren und darum teuren Wein ihrer Insel. Wenn die Fähre ablegt, bleibt eine Insel zurück, die deren Bewohner sich auf eines freuen: Normalität.
Informationen
Die Insel erreichen Touristen mit einer Fähre vom Hafen Porto Santo Stefano aus. Der nächste Bahnhof ist Orbetello Monte Argentario, von dort aus fahren Shuttlebusse. Die nächsten Flughäfen sind Pisa, Roma Fiumicino und Roma Ciampino.
Auf der Insel nutzen Urlauber am besten Taxen oder Busse. Sie können auch Motorroller oder Autos mieten. Weitere Informationen unter www.giglioinfo.de, Fährverbindungen finden Sie auf www.toremar.it.